Bereits im nächsten Winter drohen Stromlücken, nicht erst 2025: Das sagen die Experten des Bundes und stellen eine Strompreis-Explosion in Aussicht. Für die SP ist deshalb die Zeit reif, das Umweltrecht zu lockern. Sie will etwa riesige Solaranlagen in den Alpen ermöglichen.
Strom wird teurer. Viel teurer. Die Tarife dürften nächstes Jahr um knapp 50 Prozent steigen, freilich mit grossen regionalen Unterscheiden. Für einen 5-Zimmer-Haushalt mit durchschnittlichem Verbrauch führt das zu Mehrkosten von rund 180 Franken im Jahr. Das ergab eine Umfrage der Elcom bei den Energieversorgungsunternehmen.
Die Aufsichtsbehörde des Bundes über den Elektrizitätsmarkt hatte am Donnerstag an ihrer Jahresmedienkonferenz in Bern noch mehr schlechte Nachrichten: Weil in Frankreich viele AKW stillstehen und wegen des Kriegs in der Ukraine ist unsicher, ob die Schweiz im kommenden Winter genug Strom importieren kann. Blackouts drohen deshalb nicht erst 2025, wie die Elcom letztes Jahr warnte, sondern schon im Winter 2022/2023. «Es kann sein, dass wir gut durch den Winter kommen», sagte Elcom-Präsident Werner Luginbühl, es sei aber auch möglich, dass Massnahmen zur Reduktion des Stromverbrauchs ergriffen werden müssten. Diese reichen vom Appell, Strom zu sparen, bis zu Eingriffen in den Strommarkt.
Eine Stunde vor der Elcom präsentierte die SP Bundeshausfraktion Rezepte für mehr Versorgungssicherheit im Winter. Darunter finden sich altbekannte Ideen wie eine Solarpflicht für grosse Dächer und Neubauten. Bemerkenswert sind indes zwei Punkte, in denen die SP-Fraktion einen politischen Kurswechsel vornimmt: Sie spricht sich erstmals für eine Lockerung des Umweltrechts aus – einen Schritt, den SP-Bundesrätin und Energieministerin Simonetta Sommaruga bisher stets vermeiden wollte.
Zum einen fordert die Fraktion ein dringliches Gesetz «für den schnellen Bau von Fotovoltaik in Hochlagen». Damit soll der Bundesrat möglichst unkompliziert Solarparks in den Bergen bewilligen können. Die Regelung solle nur vier Jahre gelten und auf eine installierte Leistung von drei Gigawatt begrenzt sein. Das entspricht laut dem SP-Papier Solarparks mit einer Fläche von schweizweit insgesamt rund 30 Quadratkilometern. Diese müssten ausserhalb von Schutzgebieten, Ackerland und Wäldern liegen. «Zudem müssten sich Projektträger verpflichten, das Gebiet nach 30 Betriebsjahren wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen.»
Es soll schnell gehen: «Wenn die Genehmigungen im Winter 2022/2023 erteilt werden, könnten die ersten Parks im Sommer 2023 gebaut und der Strom im darauffolgenden Winter bereits genutzt werden.» Solche Anlagen stehen mit «Gondosolar» sowie in Grengiols im Wallis zur Diskussion.
Schnell soll es nach Ansicht der SP auch beim Ausbau und Neubau von Stauseen gehen. Am runden Tisch zur Wasserkraft unter Leitung von Energieministerin Sommaruga seien 15 Projekte «informell genehmigt» worden, schreibt die SP-Fraktion. Diese sollten nun per Gesetz den «Status des nationalen Interesses» erhalten. Dies reduziere das Risiko, dass die Initianten «bei späteren Interessenabwägungen nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung rechnen müssen».
Schnörkellos formuliert es SP-Fraktionschef Roger Nordmann: «Mit dem Status des nationalen Interesses ist das Einsprache-Risiko kleiner.» Es gebe zwar einen Interessenkonflikt, «aber dort, wo der energiepolitische Nutzen wesentlich grösser ist als der Verlust an Biodiversität, müssen wir das nun machen», sagt der Energiepolitiker: «Hier dürfen wir nicht am Ballenberg-Ansatz festhalten.» Das gelte für die Projekte des runden Tischs, an dem alle relevanten Interessengruppen vertreten gewesen seien.
Manche Mitglieder der SP-Fraktion stürzt das in einen Interessenkonflikt. Etwa Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel, Präsidentin von Pro Natura. Rasche Schritte zu einer erneuerbaren Stromversorgung begrüsse sie auch, «aber nicht einseitig auf Kosten der Natur», schreibt sie auf Anfrage. «Insofern bin ich mit gewissen Passagen im Positionspapier nicht glücklich.» Fotovoltaik sei prioritär in bebautem Gebiet zu fördern und die 15 Projekte am runden Tisch seien nicht informell genehmigt worden, das sei «schlichtweg falsch». Hingegen seien sich alle einig gewesen, dass bei den Projekten die geltenden Gesetze angewendet werden. «Würden diese 15 Projekte als von nationalem Interesse bezeichnet, würde in Abweichung der heutigen Gesetzgebung eine einseitige Interessenabwägung vorweggenommen.»
In der Zwickmühle steckt auch Nationalrätin Martina Munz, zugleich Präsidentin von «Aqua Viva». Der Verein hat eine Einsprache gegen den Trift-Stausee hängig, eines der 15 Projekte. Es gebe Differenzen zwischen ihren beiden Rollen, räumt sie ein: «Gibt es aber für den Bau an der Trift ausreichende Ausgleichsmassnahmen und verbindlichen Schutz von unberührten Gebieten, sind wir kompromissbereit.» Das SP-Papier umfasse ausserdem noch viel mehr Forderungen als nur die beiden Punkte zu Solarparks und Wasserkraft. «Ich stehe voll und ganz dahinter.»
Angesichts offensichtlich drohender Energie-Krise als Folge von Strom-Mangel bis hin zum Blackout (Zusammenbruch der gesamten Strom-Versorgung) hat der Bundesrat der gesicherten Versorgung der Schweiz mit Energie höchste Priorität einzuräumen. Die Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke sind zu verlängern, solange sie die ihnen erteilten Sicherheitsauflagen erfüllen. Angesichts des der Schweiz drohenden Strom-Mangels hat der Bundesrat endlich die Masseneinwanderung (die der Schweiz jährlich 50’000 bis 100’000 zusätzliche Strom-Konsumenten beschert) so zu unterbinden, wie Volk und Stände das bereits am 9. Februar 2014 verbindlich beschlossen haben. Auf jegliche Gebührenerhöhung aus der Energie-Nutzung ist zu verzichten.
Endlich, so scheint es, sollen die übermächtigen Natur- und Umweltschutzverbände zurückgebunden werden. Es ist wie beim Telefon, alle wollen besten Empfang, aber Antennen werden bekämpft.