Ukraine-Krieg
Heilsarmee nimmt autistische Kinder aus der Ukraine auf: Wie sind die Kantone auf vulnerable Flüchtlinge vorbereitet?

Für ukrainische Flüchtlinge mit Behinderungen sind die Hürden hierzulande besonders hoch. Pro Infirmis übt Kritik am Schweizer Asylwesen. Dennoch: Stiftungen und Hilfsorganisationen schreiten mit positiven Beispielen voran.

Nina Fargahi, Chiara Stähli
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Ein geflüchteter Ukrainer im Rollstuhl im Zentrum Rosenau in Kirchberg, Kanton St.Gallen.

Ein geflüchteter Ukrainer im Rollstuhl im Zentrum Rosenau in Kirchberg, Kanton St.Gallen.

Bild: Keystone

Vor den Schweizer Bundesasylzentren sind derzeit auch immer wieder Ukrainerinnen und Ukrainer mit Behinderungen zu sehen. Sie sind im Krieg besonders schutzlos. Vielen ist eine Flucht nicht oder nur sehr schwer möglich, sie brauchen andere Fluchtrouten, mehr Zeit, barrierefreie Unterkünfte, und vieles mehr.

Gemäss der Nichtregierungsorganisation Handicap International leben in der Ukraine 2,7 Millionen Menschen mit Behinderungen, unter ihnen 164’000 Kinder. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) sagt, diese Personen würden, wenn sie die Flucht in die Schweiz geschafft haben, direkt den Kantonen zugeteilt, da in privaten Unterkünften den besonderen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen werden könne. Doch wie sieht die Unterbringung in den Kantonen aus?

In St. Gallen heisst es, dass jeder Fall individuell geprüft und die bestmögliche Lösung gesucht werde. So sei zum Beispiel eine Person im Rollstuhl aus der Ukraine angekommen, sie befinde sich derzeit im Pflegezentrum Rosenau. Innerhalb des Kantons werden die Geflüchteten auf die Gemeinden verteilt. Diese Verteilung regeln die 77 St. Galler Gemeinden untereinander.

Autistische Kinder aus der Ukraine

Im Kanton Basel-Land hat die Heilsarmee in einem Ferienzentrum mehrere autistische Kinder mit ihren Familien aufgenommen. Das sind insgesamt 20 Personen, 7 Mütter und 13 Kinder, die Mehrheit von ihnen hat Autismus. Das Gruppenhaus wird normalerweise für Schulklassen und Lager genutzt.

Stefan Inniger von der Heilsarmee sagt: ««Die Registrierung war schwierig. Wir konnten mit den Kindern nicht in den Warteschlangen vor den Bundesasylzentren anstehen. Deshalb waren wir froh über die Online-Anmeldungen, dank derer man Termine abmachen kann.» Derzeit würden viele Abklärungen laufen, man sei im Kontakt mit dem Kanton. Die autistischen Kinder seien auch in der Ukraine gemeinsam in einer Institution gewesen, man wolle die Gruppe daher beisammen halten.

Auch im Kanton Aargau beschäftigt man sich eingehend mit der bestmöglichen Unterbringung von vulnerablen Menschen aus der Ukraine. Der Kantonale Sozialdienst (KSD), welcher für die Aufnahme geflüchteter Personen zuständig ist, definiert die Vulnerabilität der jeweiligen Personen. Je nach Schutz-, Betreuungs-, oder Behandlungsbedarf wird danach ein Platz in einer Pflegefamilie, in einer sonderpädagogischen Institution, in einem Pflegezentrum oder in einer Spezialeinrichtung gesucht.

Vieles ist rollende Planung

Michel Hassler, Sprecher des Gesundheitsdepartements Aargau

Michel Hassler, Sprecher des Gesundheitsdepartements Aargau

Judith Dannhauer

«Der Bedarf ist sehr vielseitig und muss im Einzelfall abgeklärt werden», sagt Michel Hassler vom Aargauer Departement für Gesundheit und Soziales. Man sei laufend dabei, die vorhandenen Betreuungseinrichtungen für die Aufnahme von vulnerablen Personen zu sensibilisieren und die aktuell verfügbaren Plätze in Erfahrung zu bringen.

Vieles ist rollende Planung. So wissen zum Beispiel die Kantone nicht, wie viele Personen derzeit privat untergebracht sind. Das sagt Silvia Bolliger, Leiterin der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen im Kanton Luzern: «Wie die Situation bei Personen aussieht, die privat untergebracht sind, können wir nicht beurteilen. Dies, weil Personen teilweise direkt zu Verwandten und Bekannten gereist sind und vom Bund diesbezüglich auch noch keine Zahlen vorliegen.»

Personen aus der Ukraine können sich zudem ohne Visum 90 Tage im Schengen-Raum aufhalten. Das SEM sagt, dass jeder Kanton im Einzelfall informiert werde, ob eine Person in Privatunterkunft sei und ob es sich um eine vulnerable Person handle.

Krisen zeigen die Mängel deutlicher auf

Derweil kritisiert die Direktorin von Pro Infirmis, Felicitas Huggenberger, das Schweizer Asylwesen. «Es ist bereits im Normalfall schlecht auf Flüchtlinge mit Behinderungen vorbereitet; ihre besonderen Bedürfnisse werden nicht mitgedacht.»

So gebe es beispielsweise kaum hindernisfreie Asylunterkünfte. In Krisenzeiten komme dies noch stärker zum Vorschein. «Solange es keinen klaren Prozess für vulnerable Flüchtlinge gibt, besteht die Gefahr, dass ihre Bedürfnisse in der grossen Masse untergehen», so Huggenberger. Denn im Normalfall durchlaufen alle Geflüchteten denselben Standardprozess. «Es wäre hilfreich, hier die Abläufe für vulnerable Flüchtlinge anders auszugestalten.»