Unfälle wie letzten Mittwoch bei Tiefencastel können Lokführer stark traumatisieren. Die Rhätische Bahn (RhB) stellt ihnen deshalb professionelle Hilfe zur Seite.
Wie Lokführer nach einem Unfall unterstützt werden müssen, hat die Rhätische Bahn (RhB) genau festgelegt. Der Vorgesetzte, ein erfahrener Kollege, tritt mit dem Betroffenen so rasch wie möglich telefonisch in Verbindung, um sich ein erstes Bild zu verschaffen. Ist der Vorfall gravierend, macht er sich sofort auf den Weg zum Unfallort, wie Patrizia Demarmels, seit Anfang Jahr Leiterin des Lokpersonals und seit 24 Jahren bei der Bündner Bahn tätig, auf Anfrage erläutert.
Beistand am Unglücksort
Hat es Opfer, Verletzte oder auch nur grossen Sachschaden gegeben, wird der Lokführer meist noch auf der Unfallstelle von der Polizei als Zeuge einvernommen. Bei dieser Befragung ist der Vorgesetzte dabei, sofern dies der Mitarbeiter wünscht. In aller Regel seien die Betroffenen laut Demarmels froh um diesen Beistand.
In Graubünden wird nach allen grossen Unglücken ein Care Team aufgeboten. Diese Fachleute bieten erste psychologische Hilfe gleich am Unfallort an. Und auch schon am Unfallort wird den Betroffenen in Erinnerung gerufen, dass sie weitere professionelle Hilfe in Anspruch nehmen können und dies auch sollen, wenn sie der Hilfe bedürfen. Zudem steht es ihnen frei, wie lange sie pausieren wollen. Beides teilt der Personaldienst der RhB den Mitarbeitern umgehend auch noch einmal schriftlich mit.
Das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, ist von Fall zu Fall unterschiedlich gross, so die Erfahrung Demarmels. Die einen brauchen mehrere Tage, um zu verdauen, was ihnen widerfahren ist. Andere wollen möglichst rasch wieder in den Führerstand.
Die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse ist schon in der 15 Monate dauernden Ausbildung ein Thema. Mit den angehenden Lokführern spricht darüber Marcel Bäni aus Igis. Er ist als Berater, Trainer und Coach für Firmen, Behörden und Institutionen tätig.
Im ersten Teil seines Unterrichtsmoduls erläutert Bäni den Lokführern, dass es nach traumatisierenden Erfahrungen, sogenannten Trauma-Expositionen, zwei Trauma-Typen gibt. Vom ersten sprechen die Fachleute, wenn jemand völlig unerwartet und erstmalig mit einem Unfall oder einem Unglück konfrontiert wird, aus heiterem Himmel sozusagen. Der zweite Typ entsteht, wenn sich solch schockierende Erlebnisse, im beruflichen Alltag – etwa bei Lokführern oder Rettungshelfern – wiederholen.
Das erfolgversprechendste Mittel, psychische Störungen wie Schlaflosigkeit, Angstzustände oder nicht zu vertreibendes Wieder-Erinnern des Vorgefallenen vorzubeugen, liegt in präventiven Übungen, mit der eine sogenannte Konditionierung erreicht wird. Dazu spielt Bäni mögliche traumatische Situationen mit den Kursteilnehmern mehrfach durch. Etwa, wie man sich im Führerstand verhält angesichts eines Autos, das auf einem Bahnübergang plötzlich die Geleise versperrt.
Bekanntes weniger bedrohlich
Laut Bäni ist die Folge solcher Übungen, dass das Gehirn diese Erlebnisse, wenn sie denn geschehen, nicht mehr als erstmalig und entsprechend überfordernd wahrnimmt, sondern als etwas schon einmal Erlebtes und adäquat reagiert. Damit stehen nicht nur die Chancen viel besser, im Ernstfall handlungsfähig zu bleiben. Auch die Gefahr posttraumatischer Belastungsstörungen werde nachweislich geringer, so Bäni.