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Bei einem Arbeitsbesuch in Südchina hat die Kommunikations- und Infrastrukturministerin innovative Unternehmen besucht. Doris Leuthard spricht im Interview darüber, was die Schweiz von China lernen kann – und wo sie Gefahren wittert.
Die Rolle liegt ihr sichtlich. Doris Leuthard, 55, hört zu, stellt den Chefs chinesischer IT-Konzerne wie Huawei und Tencent Fragen, sorgt mit einem Spruch für Lacher, bindet mitgereiste Schweizer Wirtschaftsvertreter in die Diskussion ein. Und vergisst nicht zu erwähnen, wie attraktiv und innovativ der Digitalstandort Schweiz ist. «Die Beziehungen zu China sind hervorragend», bilanziert Leuthard, «und davon profitiert unser Land wirtschaftlich und technologisch.»
Das Reiseprogramm ist höchst intensiv: Firmenbesuche, Austausch mit Behörden, das Projekt eines Nullenergiehauses in China mit Schweizer Technologie vorantreiben und dazwischen Carfahrten in den oft verstopften Strassen von Hongkong (8 Millionen Einwohner) und Shenzhen (20 Millionen), der Boomstadt des chinesischen «Silicon Valley». Trotzdem nimmt sich die Bundesrätin vor dem Rückflug nach Zürich Zeit für ein ausführliches Interview.
Doris Leuthard: Für mich in erster Linie faszinierend. Lange galt China als Weltmeister im Kopieren. Das hat sich geändert: Die chinesische Digitalwirtschaft ist inzwischen innovativ, es wird viel in Forschung und Entwicklung investiert. Die Digitalisierung bietet diesem riesigen Land die Möglichkeit, die Menschen zu vernetzen und Abläufe zu vereinfachen. Diese Chance nutzt es konsequent. Bei aller Unterschiedlichkeit, aber davon kann auch die Schweiz lernen.
Eindeutig. Weltpolitisch haben die Chinesen noch nicht alle überholt. Technologisch passiert aber vieles sehr schnell. Sie haben beispielsweise eine Generation Autos übersprungen und gehen jetzt direkt ins Zeitalter der Elektro-Autos.
Das glaube ich nicht, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Aber Amerika hat nun einen starken Konkurrenten auf dem Weltmarkt; Europa, so scheint es leider, hat im IT-Bereich den Anschluss etwas verpasst. Aus Schweizer Sicht ist positiv, dass die USA die Internet-Welt nicht mehr allein dominieren. Dank den Chinesen hat unsere Digitalwirtschaft die bessere Auswahl und ist nicht abhängig von ein paar wenigen US-Konzernen.
So extrem ist es nicht. Letztlich müssen sie unsere Regeln akzeptieren. Vorbehalte habe ich bei Übernahmen von strategisch sensiblen Unternehmen durch chinesische Konzerne, mit denen unsere Wettbewerbskommission relativ locker umgeht.
Ja. Wir müssen – wie das Deutschland längst tut – die Diskussion führen, wie wir mit dem Übernahmehunger chinesischer Konzerne umgehen. Wir sollten zudem auf Reziprozität pochen: Übernahmen können nur dann ohne Auflagen möglich sein, wenn umgekehrt auch Schweizer Firmen in China Akquisitionen tätigen dürfen. Heute dürfen sie das nicht, sie müssen sich mit Joint Ventures zufriedengeben.
Bei strategisch wichtigen Unternehmen wäre es aus meiner Sicht angezeigt, dass sie mehrheitlich in Schweizer Hand bleiben und sich die Wettbewerbskommission ins Spiel brächte. Entsprechende Vorstösse im Parlament halte ich für berechtigt. Wichtig sind gleich lange Spiesse für Schweizer und chinesische Firmen, wenn es um Übernahmen geht. Wir haben gute Beziehungen zu China, ich bin sicher, dass wir darüber reden könnten.
Wir haben zwar eine sehr hohe Smartphone-Dichte und schnelle Leitungen, aber es hapert an den Anwendungen. Das gilt auch für die öffentliche Hand: Jede Stadt erarbeitet eine eigene Parkplatz-App, jeder regionale Verkehrsbetrieb tüftelt an eigenen Lösungen. China bündelt die Kräfte und entwickelt einfache, übertragbare Lösungen fürs ganze Land. Wir sind föderalistisch, aber etwas mehr Koordination wäre gut. Die Digitalisierung sollte unser Leben einfacher, unbürokratischer und möglichst frei von Formularen machen.
Aufgewachsen in Merenschwand AG, machte Doris Leuthard (55) erst im Aargau und dann auf nationaler Ebene eine steile Karriere. Von 1999 bis 2006 war sie Nationalrätin, von 2004 bis 2006 CVP-Präsidentin. Seit 2006 ist sie Mitglied des Bundesrats. Zuerst stand die Juristin dem Wirtschaftsdepartement vor, seit 2010 dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation. 2010 und 2017 war sie Bundespräsidentin.
Absolut. Stellen Sie sich einmal vor, was es kostete, die 3000 E-Government-Applikationen zu entwickeln, die wir heute haben. Elektronisches Grundbuch, Handelsregister, Steuererklärungen – alles gut und recht, aber hier sollte nicht jedes Amt für sich allein entwickeln. Der Bundesrat will hier vorwärtsmachen, zusammen mit Städten und Kantonen.
Leider gibt es Widerstand, obwohl dieses Kleben und Abkratzen der Vignette inzwischen mittelalterlich anmutet. Dabei geht es bei den Lastwagen mit der LSVA ja schon lange elektronisch. Die E-Vignette wäre kundenfreundlicher, etwa für Autofahrer mit Wechselnummer. Und die Österreicher haben das auch schon!
Der Staat verfügt heute schon über sehr viele Daten, und er missbraucht sie nicht. Warum sollte er sie ausgerechnet bei Abstimmungen missbrauchen? Cyberattacken sind eine reale Gefahr, man sah das auch bei den US-Wahlen; das müssen wir ernst nehmen. Aber deswegen gleich E-Voting zu verbieten, ist falsch. Wir Schweizer sind oft zu vorsichtig, zu zögerlich. Auslandschweizer können seit zehn Jahren elektronisch abstimmen, und es ging noch nie etwas schief.
So ist es eigentlich mit dem mobilen Internet der fünften Generation, 5G, angedacht. Ohne diese neue Technologie müsste man die Zahl der Antennen praktisch verdoppeln. Vielen Bürgern ist dies nicht bewusst: Entweder stellen wir immer mehr Masten auf, oder wir nutzen das vorhandene Netz und rüsten auf die neue Technologie um. Die Anbieter sind bereit, und beim Glasfasernetz haben wir auch eine gemeinsame Lösung hinbekommen, sodass nicht jeder seine eigenen Gräben aufgerissen hat.
Es gibt die Strahlenschutz-Verordnung, die europaweit am strengsten ist. Hier müssen wir uns gewisse Anpassungen überlegen, ohne den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt zu beeinträchtigen. Die Ausschreibung für die Vergabe neuer Mobilfunkfrequenzen ist gestartet, die Auktion ist für Januar 2019 geplant. 5G dürfte somit ab dem dritten Quartal 2019 schrittweise verfügbar sein. Der Bundesrat möchte, dass die Schweiz in Europa die Nase vorn hat. Hier sind wir gut unterwegs.
Wir beobachten natürlich solche Risiken und der Bundesrat hat ja auch bereits einmal eine Telecom-Firma von einer Ausschreibung ausgeschlossen. Huawei ist aber ein privates Unternehmen, das seit Längerem mit verschiedenen Schweizer Firmen zusammenarbeitet. Wir können nichts Negatives berichten. Entscheidend ist, dass der Betrieb der Netze durch Schweizer Unternehmen erfolgt. Es dürfen keine Daten abfliessen. Gleichzeitig sollten wir, auch als Konsumenten, nicht naiv sein.
Die totale Sicherheit gibt es im digitalen Zeitalter nicht. Jeder Smartphone- und Internetbenutzer muss für Datensicherheit sensibilisiert sein und auch selber Vorkehrungen treffen. Wahrscheinlich haben wir hier auch Ausbildungsbedarf an den Schulen. Oft veröffentlichen gerade junge Menschen Fotos im Internet, die sie nicht mehr kontrollieren können, und zehn Jahre später bereuen sie es.
Das ist ein sehr wichtiges Thema, dessen sich Arbeitgeber, Branchenverbände und Gewerkschaften gemeinsam annehmen müssen. Weiterbildungen und Umschulungen müssen neu ausgerichtet werden. Es braucht hier Investitionen, wir müssen Geld in die Hand nehmen. Der Bundesrat wird dazu bei der nächsten BFI-Botschaft konkreter werden. Wichtig ist auch, dass wir aufzeigen, dass es in unserer Industriegeschichte solche Veränderungen immer schon gegeben hat. Und dass am Ende immer mehr Jobs, nicht weniger, zur Verfügung gestanden sind, die zudem interessanter waren.
Ich sehe die Verantwortung des Staates bei der Bildung, nicht beim bedingungslosen Verteilen von Einkommen. Und noch einmal: Die Digitalisierung birgt für uns mehr Chancen als Risiken, im Beruf wie im Alltag. Ich bin beispielsweise sehr überzeugt vom Konzept der sogenannten «Smart Cities», das das Leben der Bürger erleichtert. In Hongkong haben wir dazu spannende Ideen gesehen.
Es geht um die digitale Vernetzung der Städte: ums Wohnen, die Mobilität, die Energieversorgung, die Kehrichtabfuhr, die Bürgerbeteiligung und so weiter. Letztlich um die Lebensqualität! Die Städte sind die Treiber dieser Vernetzung, aber der Bund soll sie dabei unterstützen. Bis Ende der Legislatur möchte der Bundesrat hier vorwärtsmachen.
Diese Frage lässt sich wohl nicht vermeiden (lacht).
Die Frage, wann ich zurücktrete, wurde mir schon vorher oft gestellt. Das begann, nachdem ich zehn Jahre im Bundesrat war. Meine Ankündigung konnte ja eigentlich niemanden überraschen. Oder hat jemand erwartet, dass ich 2019 noch einmal antrete? Dann wäre ich im 14. Jahr ...
Schon, und das Land politisch mitzugestalten, gefällt mir sehr, aber es gibt noch anderes im Leben, als Bundesrätin zu sein, es gibt so viele spannende Dinge!