Tourismus
Tourismus markant eingebrochen: Engadin muss sein Image neu erfinden

Der Tourismus im Engadin verzeichnet aus Europa 240000 Übernachtungen weniger. Jetzt sollen Cüpli, Pelze und Trallala Schnee von gestern sein: Mit einer neuen Strategie will man die Hotels im Hochtal um St. Moritz wieder füllen.

Roman Seiler
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Welch ein Spagat zweier Marken: Die Website von Engadin St. Moritz vermarktet das «Bergerlebnis», die «archaische Natur», «Sport» und «Engadiner Lebensart». Im «inspirierenden Hochtal der Alpen». Das «schillernde» St. Moritz wirbt noch mit dem alten Slogan «Top of the World» und seinem «Sünneli»-Logo.

Nur: St. Moritz ist nicht mehr «top». Die Zahl der Hotel-Logiernächte sank seit 2008 um 172 000; im Oberengadin sind es total 20 Prozent oder 400 000 weniger. In Zermatt belief sich der Rückgang hingegen nur auf 13 Prozent.

Zurück zur einmaligen Natur

Cüpli, Pelze, Trallala sei out, Schnee von gestern. Das Engadin müsse weg vom Schickimicki-Image, zurück zur Vermarktung der einmaligen Natur des Hochtals, wettert ein Touristiker.

Klartext sprach gestern auch Präsident Hugo Wetzel an einer Medienkonferenz der Tourismusorganisation Engadin St. Moritz: «Es wird nie mehr so sein, wie es einst war. Wir müssen keine Krise bewältigen, sondern eine Zeitenwende.»

Die Gründe für den Einbruch sind ebenso vielfältig, wie einschneidend:

Hotels im Zwei- bis Vierstern-Bereich mit mehr als 1000 Betten schlossen. 400 Betten gingen allein in St. Moritz verloren. Sie wurden in Luxus-Ferienwohnungen umgewandelt. Das war ein gutes Geschäft für die Hotel-Besitzer. Aber die Betten fehlen nun in der Hauptsaison.

Die Euroschwäche traf das Engadin gleich mehrfach: Schweizer verbringen deswegen ihre Ferien wieder vermehrt in Europa.

Die Zahl der Logiernächte von Deutschen und Italienern sank seit 2010 gar um 27 respektive 29 Prozent.

Der Verlust von 240 000 Übernachtungen aus den für das Engadin wichtigsten europäischen Ländern seit 2008 konnte mit dem Anstieg von Gästen aus neuen Märkten wie Brasilien, China oder Indien nur zu einem Viertel wettgemacht werden.

Dazu kommt: Europäische Gäste – vor allem aus Deutschland und Italien – haben ihre unversteuerten Vermögen weitgehend deklarieren müssen.

Daher verprassen sie die Erträge nicht mehr in ihren Ferien in der Schweiz. Das schlägt sich in sinkenden Umsätzen von Edelboutiquen, Uhrenläden, Restaurants und Hotels nieder.

Das Engadin brauche «ein neues Geschäftsmodell», sagte gestern Wetzel. Die Vermarktungsorganisation hat eine neue Strategie ausgearbeitet, die auf «16 Bausteinen» basiert.

Die Auslastung soll verbessert und die Wertschöpfung erhöht werden. Unter anderem will Engadin St. Moritz den Anteil von Gästen aus Asien und Lateinamerika von heute 7 auf 20 Prozent ausbauen. Dabei soll die Bearbeitung der Stammmärkte Schweiz, Deutschland und Italien weiter gepflegt werden.

Zudem soll wieder mehr in die Qualität investiert werden. Denn die Konkurrenz in Österreich oder im Südtirol hat aufgeholt. Zentral dabei sei, so Wetzel: «Das Image hat seinen Preis.»

Wer sich als «Top of the World» bezeichne, müsse auch eine Spitzenleistung erbringen: «Daher müssen wir das Niveau wieder steigern. Durch Leistung sind wir gross geworden.»

Denn bei den Gästen, sagt Ariane Ehrat, CEO von Engadin St. Moritz, seien «die Preissensibilität und der Qualitätsanspruch» gestiegen.

In Österreich oder im Südtirol geniessen Schweizer «5-Stern-Luxus zu Drei-Stern-Preisen», sagt die einstige Skirennfahrerin. Auch deswegen konnte das Tirol seine Übernachtungszahlen seit 2008 halten, Vorarlberg und das Südtirol legten gar zu.

Drei-Stern-Hotels fehlen

Vom Engadin hingegen heisst es wieder vermehrt, es sei nicht nur teuer, sondern auch unfreundlicher.

Zwar sei die Fünf-Stern-Hotellerie im Engadin top, sagt Wetzel. Aber gewisse Vier- und Dreistern-Hotels müssten dringend in ihre Infrastruktur investieren. Zudem fehlten international vermarktbare Drei-Stern-Hotels, die junge, neue Gäste anzögen. Diese Lücke gelte es zu schliessen.

Wer erneut aufrüstet, sind die Bergbahnen auf der Corviglia und der Diavolezza. Sie investieren im Vorfeld der Ski-WM von 2017 rund 50 Millionen Franken in Bahnen und Beschneiungsanlagen. Insbesondere die Signal-Bahn von St. Moritz Bad ins Corviglia-Gebiet soll auf die Saison 2015/16 erneuert werden.

Obendrein ist wieder mehr «Herzlichkeit» gefragt. Auch in St. Moritz müssen die Touristiker wieder dienen, um zu verdienen.