Tierversuche
LSD für Kaninchen: Ein Berner Oberarzt plante ein spezielles Experiment

Zöllner stellten im Postzentrum in Zürich eine Sendung sicher, die ans Neurozentrum des Berner Universitätsspitals adressiert war. Sie enthielt psychedelische Drogen.

Andreas Maurer
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Forscher testen ein Medikament an Kaninchen.

Forscher testen ein Medikament an Kaninchen.

Bild: Unol / iStockphoto

Patrick B.* war Oberarzt der Neuroradiologie des Berner Inselspitals und erforschte Therapien gegen Gefässverengungen im Gehirn. Diese können nach einem Hirnschlag entstehen. Der Universitätsarzt testete seine Methode an Kaninchen. Er löste in ihrem Gehirn die Gefässverengungen aus und therapierte sie danach.

Dabei gab es ein Problem. Wie ein Mensch lebt auch ein Kaninchen mit diesem Hirnschaden oft nicht mehr lange. Viele Tiere starben, bevor die Therapie hätte Wirkung zeigen können.

Während der laufenden Studie hatte der Forscher plötzlich eine Idee. Er könnte den Kaninchen Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, verabreichen. Die Droge ist bekannt für ihre psychedelischen Effekte. Sie kann aber auch jene Gefässverengungen auslösen, für die sich der Neuroradiologe interessierte, allerdings ohne Schaden auszulösen. So hätten die Tiere den Effekt mehr als 24 Stunden lang überstehen sollen können.

LSD fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und ist in der Schweiz für den normalen Gebrauch verboten. Es gibt zwar eine Firma, welche den Stoff für die Forschung herstellt. Doch dafür braucht es eine spezielle Bewilligung.

Der Doktor bestellte die Droge ins Neurozentrum

Patrick B. wählte einen anderen Weg. Zuerst wollte er an einigen Kaninchen testen, ob seine Idee überhaupt funktioniert. Dafür bestellte er über das Internet eine kleine Dosis LSD aus den Niederlanden. Er verwendete dafür seine E-Mail-Adresse des Inselspitals und bestellte die Droge direkt ins Neurozentrum.

Die Sendung kam aber nie an, sondern blieb im Postzentrum Zürich-Mülligen hängen. Zöllner führten dort eine Kon­trolle durch und stellte dabei den Brief sicher. Eine Untersuchung des forensischen Instituts ergab: Es handelte sich um LSD.

Die Berner Staatsanwaltschaft übernahm den Fall und verurteilte den Arzt per Strafbefehl wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz und versuchter Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz. Er hatte zwar eine Bewilligung für Tierversuche des Berner Veterinärdienstes, die bis Ende Juli 2021 gültig wäre. Von LSD war darin aber keine Rede.

Patrick B. hat Beschwerde erhoben. Das Verfahren ist derzeit hängig, es gilt die Unschuldsvermutung. Er sagt auf Anfrage: «Ich habe keinen Fehler gemacht, sondern die Staatsanwaltschaft hat einen Fehler gemacht, als sie den Strafbefehl ausgestellt hat.» Es handle sich um ein Missverständnis. Er habe nämlich nicht LSD-25 bestellt, was in der Schweiz tatsächlich verboten sei. Er habe 1CP-LSD bestellt, was für die Forschung erlaubt sei. Und überhaupt: Bevor er das Mittel eingesetzt hätte, hätte er um eine Bewilligung ersucht. Seine Forschungshypothese mit dem LSD-Tierversuch hält er weiterhin für vielversprechend. Wenn das Strafverfahren abgeschlossen sei, könne er sich vorstellen, das Experiment wieder aufzunehmen. Es gehe darum, Menschenleben zu retten.

Staatlich finanzierte Labore setzen auf Tierversuche

Aktuell wird in der Schweiz pro Jahr mit einer halben Million Tiere experimentiert. Früher standen vor allem Pharmafirmen unter Druck, endlich weniger Tiere für ihre Forschung zu verwenden. Das ist ihnen gelungen. Sie führen mittlerweile weniger Tierversuche durch als Hochschulen und Spitäler.

Nur jedes vierte Tier, das für die Forschung lebt, wird von der Industrie gehalten. Fast zwei Drittel der Tiere sind in Laboren von Hochschulen und Spitälern zu Hause. Vor zwei Jahrzehnten war das Verhältnis umgekehrt. Die Gesamtzahl der durchgeführten Tierversuche ist indes in dieser Zeit nur leicht zurückgegangen.

Wer die meisten Tierversuche durchführt

Anzahl Tiere, die für Versuche verwendet wurden (in Tausend)
Universität, ETH und Spitäler
Industrie
Andere

Wie viele Versuchstiere in der Schweiz LSD verabreicht bekommen, ist nicht bekannt. Die Tierversuchsdatenbank lasse sich nicht nach diesem Stichwort auswerten, heisst es dazu beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.

Die LSD-Forschung findet derzeit vor allem an einer Spezies statt: am Menschen. Führend ist ein Team der Universität Basel, das in Zusammenarbeit mit der Pharma bis in fünf Jahren ein LSD-Medikament entwickeln will. Das Psychopharmakon soll gegen Angststörungen wirken. Die Studien befinden sich derzeit in Phase 2. Nach Phase 3 kann ein Medikament die Zulassung erhalten.

Die Institutsleitung kennt das Strafverfahren nicht

Zurück ins Berner Tierlabor: Was sagt das Inselspital zur experimentellen Forschung des Oberarztes? Nichts. Dem zuständigen Institut sei der Fall nicht bekannt, lässt die Medienstelle verlauten. Wenn das Spital Kenntnis davon hätte, würde es unverzüglich eine Aufarbeitung starten, beteuert die Kommunikationsabteilung. Aber eben: Man wisse von nichts.

Wie kann das sein? Der Oberarzt hatte Glück im Unglück. Wenige Wochen, nachdem seine Sendung beschlagnahmt worden war, wechselte er den Job. Er ist jetzt stellvertretender Chefarzt und leitender Oberarzt an einem Krankenhaus in Deutschland. Als der Strafbefehl eintraf, war er schon weg.

* Name geändert.