Bisher ist der Klimastreik eine Bewegung von Schülern und Studentinnen. Nun schliessen sich auch Gewerkschaften an. Das geht nicht ohne Misstöne.
Punkt elf Uhr wird am Freitagvormittag ein grosser Leiterwagen auf den Berner Bahnhofplatz gezogen. Fünf Gärtnerinnen und Gärtner, aktiv bei den Gewerkschaften, bringen junge Pflanzen auf den Platz. 300 Setzlinge sind es, einheimisches Wildgehölz. Von Haselnuss über Sanddorn bis zum Holunder. «Der beste Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen war früher. Der zweitbeste ist jetzt», steht auf einem Transparent am Wagen. Die jungen Gärtnerinnen und Gärtner wollen die Pflanzen nun an Passanten verteilt.
Eine von ihnen ist Landschaftsgärtnerin Michèle Witschi. Es regnet in Strömen, doch dies macht ihr nichts aus. Sie trägt einen breitkrempigen Hut, feste Schuhe und Regenhosen. Sie und ihre Kollegen wollen mit der Verteilaktion etwas mehr Grün in die Stadt bringen. Es ist ihr Beitrag zu «Strike for Future», der jüngsten Aktion der Klimajugend. «Pflanzen fördern die Biodiversität und sie kühlen die Städte», sagt Witschi und ergänzt: «Wir Gärtner erleben den Klimawandel jeden Tag.»
Witschi ist als Nicht-Studierte und als Mitglied der Gewerkschaft Unia eine atypische Vertreterin der Klimabewegung. Doch das soll sich ändern. Am Freitag unternahm die Klimajugend den Versuch, erwachsen zu werden. Nach Schulzimmern und Hörsälen sollen auch Baustellen und Büros bestreikt werden.
Die Gewerkschaften VPOD, SEV, Unia sowie der Dachverband SGB haben sich mit dem Streik solidarisiert. Um 11:59 hupten Busfahrer als Teil eines Klimaalarms, in Zürich nahm ein Kurierblock an einer Velodemonstration teil und in Bern verteilten Landschaftsgärtnerin Witischi und ihre Kollegen Setzlinge. Zu echten Streiks kam es aber kaum. Witschi nutzte ihren freien Tag, um mitzumachen.
In Fribourg besuchte Eric Ducrey mit Klimaaktivisten Baustellen. Der 45-Jährige arbeitete bis vor kurzem für den Baukonzern Implenia und war dort für das Recycling von Baustoffen zuständig. «Die Bauarbeiter hörten der Klimajugend zu und konnten auch ihre Ängste und Einwände formulieren», erzählt Ducrey.
Da wäre zum Beispiel die Angst vor Jobverlust, wenn auf gewisse Baustoffe oder auf ganze Projekte aus Rücksicht auf die Umwelt verzichtet werden müsste. Die Klimaschützer: Das ist bislang vor allem eine Sache der Privilegierten. Eine Umfrage des Instituts GFS Bern zeigt, dass Befragte mit tieferen Einkommen und weniger Bildung den Klimaschutz angesichts der Coronakrise eher zurückzustellen wollen.
Bauarbeiter Ducrey hält dagegen. Er glaubt nicht, dass der Klimaschutz den Interessen der Bauarbeiter zuwiderläuft. Ein ökologischer Umbau der Schweiz würde sogar für mehr Arbeit sorgen, ist er überzeugt. «Irgendjemand muss ja zum Beispiel die zusätzlichen Velorouten bauen», sagt Ducrey, der bei den Grünen mitmacht, aber auch für radikale Aktionen zu haben ist: Er war dabei, als Umweltschützer in der Waadt ein Areal des Zementproduzenten Holcim besetzten und beteiligt sich bei der Bewegung «Extinction Rebellion». Dass er auf dem Bau mit seiner Haltung ein Aussenseiter ist, räumt Ducrey ein:
«Es ist schwieriger, die Kollegen für einen Streik fürs Klima zu gewinnen als für Frühpensionierungen.»
Er glaubt jedoch, dass mit den Temperaturen im Sommer auch das Interesse der Bauarbeiter an der Klimafrage steigen werde. «Wenn das Thermometer mehr als 35 Grad anzeigt, ist es auf der Baustelle gefährlich. Und diese Tage werden häufiger», sagt Ducrey und erzählt die Anekdote eines Arbeiters, der wegen Überhitzung umkippte und sich am frisch aufgetragenen Teer verbrannte.
Trotz vereinzelten Arbeitern wie Ducrey oder Witschi dominierten auch am jüngsten Aktionstag Schüler und Studentinnen. Die Bewegung Klimastreik zeigt sich dennoch zufrieden. Die 16-jährige Leandra Breu aus St. Gallen sagt:
«Vielleicht beteiligen sich nun noch nicht die grossen Massen, aber zumindest konnten wir einen Grundstein legen. Und wir hoffen natürlich, dass wir diese Zusammenarbeit in Zukunft noch ausbauen können.»
In einer Analyse auf der Webseite von «Klimastreik» schwingt allerdings auch eine gewisse Enttäuschung und ein Prise Arroganz gegenüber den Gewerkschaften mit. Die Gewerkschaften seien nicht «die Lösung» heisst es dort und deren offiziell verabschiedeten Beschlüsse «unzureichend». Die Autoren des Papiers schlagen vor, die Klimajugend soll sich in den Gewerkschaften organisieren und sich an «ihrer Demokratisierung und Radikalisierung beteiligen».
Auch die an sich sehr wohlwollende Resolution der Gewerkschaft Unia zum «Strike for future» liest sich gegen Ende nicht mehr ganz so enthusiastisch. Man unterstütze den «Strike for Future», wisse als Gewerkschaft aber «natürlich», dass man nicht «leichtfertig von Streik reden» dürfe. Betriebliche und politische Streiks seien das letzte friedliche Mittel in wirtschaftlichen oder sozialen Kämpfen und müssten «breit abgestützt und gut vorbereitet sein», sonst werde «der Mut und der Einsatz für die gerechte Sache leicht mit Repression bestraft».