Morena Diaz wirft einem ehemaligen Freund vor, er habe sie vergewaltigt. Die Staatsanwältin klagt ihn wegen sexueller Nötigung an. Das Urteil ist schliesslich sogar härter als beantragt.
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Im Januar 2020 erzählte Morena Diaz auf Instagram und ihrem Blog, was ihr ein Jahr zuvor passiert sei:
«Drei Tage vor Heiligabend wurde ich vergewaltigt. Nicht von einem Fremden, nicht auf dem Heimweg, nicht in einer dunklen Gasse, sondern in den vier Wänden eines ‹Freundes›.»
Die Aargauer Kantonspolizei meldete sich danach bei ihr, weil sie ein mutmassliches Offizialdelikt publik gemacht habe. Damals wohnte sie im Aargau, wo sie als Lehrerin arbeitete. Sie erstattete Anzeige. Das Strafverfahren übernahm dann aber die Staatsanwaltschaft von Schwyz, weil dort der mutmassliche Tatort liegt.
Heute Donnerstag wird der Fall vom Strafgericht Schwyz beurteilt. Die 28-Jährige wohnt inzwischen in Basel und arbeitet hauptberuflich als Influencerin, sie lebt also von Werbung auf Instagram.
Diaz hat mit dem Fall eine Debatte über das Sexualstrafrecht angestossen und tritt als Aktivistin von Amnesty International auf. Inzwischen liegt eine Vernehmlassungsvorlage für eine Revision vor, die ihr aber zu wenig weit geht. Sie fordert, dass beide Sexualpartner vor dem Akt ihre Zustimmung geben müssten.
Das Urteil wird zeigen, ob das heutige Recht aus Sicht der Aktivistinnen tatsächlich zu mild ist.
Die Staatsanwältin hat Anklage gegen einen 33-jährigen Italiener wegen sexueller Nötigung erhoben. Ihm droht die Ausschaffung. Gemäss Anklage sass Diaz in der besagten Nacht auf seinem Bett. Er soll sich «ruckartig und mit seinem ganzen Gewicht» auf ihre Beine begeben haben. Sie habe erfolglos versucht, ihn wegzudrücken. Dennoch habe er ihren BH heruntergezogen, sie auf eine nackte Brust geküsst und er sei mit mehreren Fingern in ihre Vagina eingedrungen. Sie habe mehrmals «Nein» gesagt.
Die Staatsanwältin klagt nicht wegen Vergewaltigung, weil er nicht mit seinem Penis in sie eingedrungen ist. Sexuelle Nötigung kann aber gleich hart bestraft werden, mit bis zu zehn Jahren Gefängnis. Der einzige Unterschied ist, dass es keine Mindeststrafe von einem Jahr gibt.
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Sie lernte den Angeklagten kennen, als er sie als Darstellerin für einen Videoclip angefragt hatte. Er war Musiker und veröffentlichte seine erste Single. Sie sagte zu. Aus der geschäftlichen Beziehung sei eine «schöne Freundschaft» entstanden, wie sie sagt. Doch er habe sich in sie verliebt. Sie habe seine Gefühle nicht erwidert und ihm dies gesagt.
Sie hatte sich in einen anderen verliebt: in seinen Bruder. Mit diesem hatte sie eine intime Beziehung, die dieser aber beendete, weil er ihre Gefühle nicht erwiderte. Es war also eine schwierige Dreiecksbeziehung.
Sie habe dem Beschuldigten gesagt, dass sie die Freundschaft beenden würde, wenn er ihre Absage nicht akzeptiere. Er habe ihr dies zugesichert.
Passiert sei es nach einem Abendessen. Er habe sie überredet, mit ihr einen italienischen Liebesfilm zu schauen. Er habe Grappa getrunken und einen Joint geraucht. Sie habe nur einen Zug davon genommen und dann einen Hustenanfall bekommen. Sie seien nebeneinander auf dem Bett gesessen und er habe immer wieder versucht, ihr näher zu kommen. Das habe sie abgelehnt.
Nach dem romantischen Finale des Films sei er mit einem Ruck auf sie gesessen. Sie schildert den Vorfall gleich wie die Anklageschrift. Er habe ihr dabei gesagt, dass er sie in dieser Nacht besitzen wolle. Sie erzählt:
«Irgendwann schaute er mir endlich in die Augen und begriff, dass es mir nicht gefiel. Dann hat er, Gott sei Dank, aufgehört.»
Ein Richter fragt sie, wie laut sie «Nein» gesagt habe. Sie antwortet, sie habe es in normaler Lautstärke gesagt, sie habe nicht geschrien.
Nach dem Vorfall habe er ihr gesagt: «Wie langweilig wäre es, wenn du schon in mich verliebt wärst.» Er müsse sie dazu bringen. Sie habe entgegnet, dass das, was er getan habe, nichts mit Verführen zu tun habe.
Nach dieser Nacht habe sie nie mehr mit ihm gesprochen. Ein Jahr später habe sie ihre Geschichte veröffentlicht, weil sie ein Zeichen gegen sexualisierte Gewalt setzen wollte. Sie wolle zeigen, dass das Gesetz nicht à jour sei.
Er sieht sich selber als Opfer. Es sei alles erfunden. Er sei auch nicht verliebt in sie gewesen. Und an einen Joint könne er sich nicht erinnern. Er sagt:
«Die Medien stellen mich als Monster dar. Das ist nicht fair.»
Gemäss seiner Darstellung ist in dieser Nacht vor mehr als zwei Jahren folgendes passiert. Er habe ihr den Rücken massiert und sie gefragt, ob er sie küssen dürfe. Sie habe «Ja» gesagt. Es sei ein Zungenkuss gewesen. Diesen Kuss sehe er als Fehler, weil er ihre Freundschaft gefährdet habe. Mehr sei nicht gelaufen.
Er könne sich Diaz' Aussagen nur mit ihrem Onlinemarketing erklären. Vermutlich habe ihr bisheriges Thema Bodypositivity (sie setzte sich für ein Körperbild mit Fettpölsterchen ein) nicht mehr funktioniert. Deshalb habe sie nach einem neuen Thema gesucht. Es sei ein abgekartetes Spiel von ihr und ihrem Manager gewesen.
Morena Diaz habe dreimal ausgesagt: dreimal konsistent, detailliert und widerspruchsfrei. Die Aussagen des Angeklagten hingegen seien einsilbig, ohne Details und trotz ihrer Kürze widersprüchlich. Er sei nicht glaubhaft.
Dafür spreche auch ein Whatsapp-Chatverlauf zwischen den beiden am Tag danach. Er habe sich dabei mehrmals entschuldigt und geschrieben, dass er es wieder tun würde, weil er sie liebe. Es sei nicht glaubhaft, dass sich dies nur auf einen Kuss beziehe. Denn er habe dabei auch folgende Nachricht an sie geschrieben:
«Viele Sachen können im Leben nicht erklärt werden.»
Für dieses Verfahren gelte diese Aussage aber nicht, sagt die Staatsanwältin. Sie fordert ein Jahr Freiheitsstrafe bedingt. Er müsste also nur ins Gefängnis, wenn er rückfällig würde.
Von einer Landesverweisung rät die Staatsanwältin allerdings ab, obwohl sexuelle Nötigung eine Katalogtat gemäss der Ausschaffungsinitiative ist. Die Staatsanwältin macht einen Härtefall geltend, weil der Italiener im Kanton Schwyz gut integriert sei.
Der Täter ist schuldig. Er wird verurteilt für ein Jahr Freiheitsstrafe bedingt. Er muss nur ins Gefängnis, falls er innert zweier Jahre rückfällig würde. Das Gericht erachtet Diaz' Aussagen als glaubwürdig. In Bezug auf die sexuellen Handlungen habe sie sich widerspruchsfrei geäussert. Nur in Nebenschauplätzen habe sie sich in Widersprüche verstrickt.
Als wichtigsten Beweis wertet das Gericht den Chatverlauf zwischen Diaz und ihrem Ex-Kollegen. Dieser könne nicht anders verstanden werden, als dass eben doch etwas Gravierendes passiert sei.
Unglücklich sei, sagt die Gerichtsvorsitzende, dass Diaz' in den sozialen Medien stets den Begriff der Vergewaltigung benutzt habe, obwohl es im Strafverfahren nie darum gegangen sei. Doch das spiele hier keine Rolle. Dazu läuft nämlich ein anderes Verfahren. Der Beschuldigte hat sie deshalb wegen Verleumdung angezeigt.
Der umstrittene Punkt war bei der geheimen Urteilsberatung ein anderer, wie die Gerichtsvorsitzende sagt: die Ausschaffung. Gemäss der Ausschaffungsinitiative kommt sie bei einem Katalogdelikt wie sexueller Nötigung automatisch zur Anwendung – ausser es besteht ein Härtefall. Das Gericht sieht keinen Grund dafür. Es traut dem Verurteilten zu, dass er sich in Italien ein neues Leben aufbauen könne. Er hatte in der Befragung angegeben, er müsse in diesem Fall bei Null beginnen. Er kenne in Italien nur zwei Cousins. Sein Verteidiger kündigt noch im Gerichtssaal Berufung an.
Morena Diaz ist bei der Urteilsverkündung nicht anwesend. Sie hat den Saal direkt nach ihrer Befragung verlassen. Eine direkte Begegnung mit dem Angeklagten verhindert sie. So erfährt sie aber auch nicht, wie das Sexualstrafrecht, das sie kritisiert, in ihrem Fall zu einem härteren Urteil geführt hat als beantragt.
Interessant ist die Zusammensetzung des Gerichts. Die Frauen sind in der Mehrheit. Drei Richterinnen und zwei Richter haben das Urteil gefällt.