Vier Schüler der Reinacher Bezirksschule erklären, wie sie die Klassengemeinschaft unter Schülern aus christlichen und muslimischen Familien erleben. Probleme sehen sie keine, die Religion sei für die Klasse kein Thema.
Peter Siegrist, Barbara Vogt
In der Gemeinde Reinach sind 33 Prozent der Bevölkerung Ausländer. Die Muslime unter ihnen versammeln sich im Oberwynental in drei Moscheen zum Gebet. Vier Schüler und Schülerinnen der Bezirksschule Reinach trafen sich mit der AZ: Haris Ajanovic, 17, (Heimatland Bosnien), Muslim und in der Schweiz aufgewachsen. Medina Kazic, 16, ebenfalls Muslimin und aus Bosnien. Sie ist in der Schweiz aufgewachsen. Martina Jäggi, 14, wohnt in Beinwil am See, ihre Familie ist konfessionslos. Adrian Müller, ebenfalls aus Beinwil am See, ist reformiert. Die vier Schüler äusserten sich zum Zusammenleben von Christen und Muslimen in der Schule. Während der 1. und 2. Klasse der Bez haben alle vier gemeinsam die Unterrichtsstunden des Fachs Ethik und Religion besucht. (psi)
Wird euch in Schule bewusst, dass ihr in der Klasse Schüler verschiedener Religion habt?
Adrian: Es ist uns bewusst, aber es spielt keine Rolle, wir verstehen uns trotzdem gut.
Wie wird es euch bewusst?
Haris: Man weiss zwar, wer Christ, wer Moslem ist, aber wir leben zusammen und denken nicht jeden Tag daran, das ist eher eine Privatsache.
Martina: Ist zum Beispiel eine Kollegin schwarz, dann denke ich, die hat wohl eine andere Religion, aber ich mache da keinen Unterschied.
Medina: Man weiss es. Aber die Religion spielt für den Umgang unter uns Schülern keine Rolle.
Das heisst, ihr Muslime werdet auch nicht mit Bemerkungen anderer Schülern konfrontiert?
Haris: Nein, eigentlich nicht. Ich weiss nicht, ob das an der Bez etwas Besonderes ist, aber hier fallen gar keine Bemerkungen, wir leben zusammen. Ich akzeptiere doch, wenn jemand Weihnachten feiert, und die andern verstehen, wenn ich während der Fastenzeit nichts esse.
Martina: Kolleginnen mit andern Religionen finde ich spannend. Statt dass alle Weihnachten feiern, gibt es mit dem Ramadan andere Themen.
Haris: An dieser Schule erlebe ich, dass alle verstehen, wenn man Religionsfreiheit haben will, muss man sie auch Andersgläubigen gewähren. Das funktioniert hier.
Adrian: Wir haben alle vier den schulischen Religionsunterricht besucht, und dort haben wir uns mit den verschiedenen Religionen beschäftigt.
Bedeutet das, dass die Religion und Glaube eher in euren Familien ein Thema sind?
Medina: Wir sind zu Hause sehr offen, Religion ist nicht ein tägliches Thema. Es gibt Rituale, wenn wir nach Bosnien fahren, dann gehe ich dort zum Gottesdienst ab und zu in die Moschee.
Martina: Wir gehören keiner Konfession an. Ich glaube zwar an Gott, aber wir praktizieren die Religion nicht.
Haris: Wir leben zu Hause in westlichem Stil, an diese Kultur angepasst. Gewisse religiöse Rituale üben wir aus, auch kulturelle Gewohnheiten leben wir. So kochen wir manchmal bosnische Nationalgerichte. Wir praktizieren die Fastenzeit, aber sonst leben wir durchaus westlich, einfach mit der Begleitung des Islam.
Du besuchst den Gottesdienst?
Haris: Ich gehe in die Moschee, zwar nicht regelmässig. Ich bin aber daran interessiert. Die Eltern üben da keinen Druck aus.
Wie ist es bei euch Adrian?
Adrian: Als kleine Kinder haben wir mit unsern Eltern gebetet am Abend. Heute besuche ich den Konfirmationsunterricht und die verlangten Gottesdienste. Nachher werde ich mich ganz frei entscheiden können.
Offensichtlich ist die Religionszugehörigkeit unter Jugendlichen kein Thema. Bilden sich
also auch keine besonderen Gruppen?
Haris: Gruppen bilden sich nicht nach dem Glauben. Vielmehr gibt es unter Jugendlichen Gruppen nach Sprache, Klamotten und übrigem Stil. An unserer Schule ist dies kein Phänomen.
Adrian: An unserer Schule bilden sich keine Schweizer- oder Ausländergruppen. An Schulen mit höherem Ausländeranteil ist das vielleicht anders.
Medina: Ich bin nicht nur mit Muslimen befreundet. Ich habe auch katholische und reformierte Kolleginnen und Kollegen. Das war noch nie ein Problem, und es wird auch keines werden.
Martina: Ich verstehe mich mit allen gut. Es spielt keine Rolle, ob Schweizer oder Ausländer.
Aber es gibt doch geschlossene Gruppen?
Martina: Ich glaube, dass es an Schulen mit grösserem Ausländeranteil eher zu anderssprachigen Gruppen kommt, die sich schlecht verstehen. Das hat nichts mit der Religion zu tun.
Haris: Integration beginnt im Kopf, auch junge Menschen müssen die Bereitschaft haben, sich in die Schweizer Kultur zu integrieren. Aber das ist ein Weg und nicht alle sind gleich weit. Wenn man sich dem westlichen Stil anpasst, heisst das nicht, dass man den Glauben wechselt.
Adrian: Es gibt Jugendliche, die wollen sich nicht integrieren.
Haris: Ich sage, die Integration beginnt im Kopf. Man darf nicht nur stolz an seine Abstammung glauben, da ist man auf dem falschen Weg. Offenheit und Bereitschaft sind gefragt.
Verliert man so nicht sein Heimatgefühl?
Medina: Ich bin in der Schweiz aufgewachsen und habe folglich kein Vorurteil gegenüber den Schweizern. Die Schweizer erfahre ich zum grössten Teil als fair. Klar gibt es Menschen, die begegnen uns mit Vorurteilen. Das verstehe ich zum Teil, aber sehen Sie, es sind einfach nicht alle gleich. Ich fühle mich überhaupt nicht als Aussenseiterin, aber auch nicht als Schweizerin. So sage ich immer, ich komme aus Bosnien, wenn ich dieses Land auch nur von Ferienaufenthalten her kenne.
Haris: Es geht letztlich nicht um das Land, vielmehr ist es die Mentalität, die man kennt. Vom Heimatland wird man bei einem Besuch teilweise enttäuscht, weil man nämlich sein Gastland besser kennt und auch schätzt.
Sind Freundschaften unter Christen und Muslimen uneingeschränkt möglich?
Medina: Die Eltern setzen sicher gewisse Grenzen, aber es ist nicht extrem.
Haris: Es ist bei der zweiten Generation kein Problem. Es bestehen zwar für die Mädchen Grenzen, aber, wenn wir ehrlich sind, auch Schweizer Eltern setzen ähnliche Grenzen. Das ist nicht vor allem eine Glaubenssache.
Könntet ihr euch eine Partnerschaft mit jemandem aus einer anderen Religion vorstellen?
Martina: Für mich wäre das kein Problem. Später, bei einer möglichen Heirat, würde das Akzeptieren vielleicht meinen Eltern schwieriger fallen.
Adrian: Ich sehe da kein Problem. Heute wächst man schon von klein an mit Andersgläubigen auf. Wie die Eltern reagierten, weiss ich nicht, ich habe sie noch nie gefragt.
Haris: Ein Problem sehe ich da nicht, aber ich wäre beim heutigen Wissen nicht bereit, meinen Glauben dafür aufzugeben.
Minarette und Kopftücher: Was denkt ihr dazu?
Medina: Für meine Generation ist das Kopftuch kaum ein Thema, auch für meine Eltern nicht. Ich kenne Frauen, denen das viel bedeutet, ich werde nach der Schule kein Kopftuch tragen. Meine Mutter trägt auch keines.
Haris: Das Kopftuch ist in meiner Familie selten, einzelne der älteren Generation, die in Bosnien leben, tragen es. Das muss ein freier Entscheid bleiben.
Schürt die Politik heute die Angst vor dem Islam?
Martina: Ich frage mich, stören die SVP die Minarette oder sind es die Ausländer, die sich dort versammeln?
Haris: Ich empfinde die Initiative als Mittel zum Zweck, um die Muslime zu benachteiligen. Das Minarett ist doch kein Machtsymbol, es gehört zur Glaubensstätte wie ein Turm zur Kirche.
Medina: Ich empfinde die Diskussion schade, es ist wie zum Sagen, wir Muslime wären schlimme Leute. Für mich ist das Minarett wie ein Kirchturm ein Teil des Gotteshauses.