Schnaps-Affäre
«Stahls Alkohol-Geschichte ist harmlos im Vergleich zu anderen Geschenken, die er annimmt»

Der neue Nationalratspräsident Jürg Stahl wünscht als «Grundausstattung» seines Büros Gratis-Schnaps und schreibt dafür Schweizer Produzenten an. Das Vorgehen wirft Fragen auf: Überschreitet der Winterthurer SVP-Nationalrat damit eine Grenze oder agiert er einfach nur ungeschickt? Das sagen seine Ratskollegen.

Jonas Schmid
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Alles nur ungeschickt? Nationalratspräsident Jürg Stahl (SVP) bettelt bei Herstellern um Gratis-Schnapps für sein Büro - als "Grundausstattung".

Alles nur ungeschickt? Nationalratspräsident Jürg Stahl (SVP) bettelt bei Herstellern um Gratis-Schnapps für sein Büro - als "Grundausstattung".

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Der Nationalratspräsident ist nominell "höchster Schweizer" und damit in einer Vorbildrolle. Seit zwei Wochen ist dies der Winterthurer SVP-Nationalrat Jürg Stahl. Vorbild? Die "Nordwestschweiz" machte heute Publik, dass Stahl bei Schweizer Firmen um Schnaps bettelte. Das Mail, das uns vorliegt, zeigt: Der Schnaps sollte gratis geliefert werden. Stahl selbst spricht davon, sein Präsidiumsbüro mit einheimischer Alkoholika zu bestücken, um Gäste bewirten zu können. Er nennt dies "Grundausstattung".

Das Vorgehen ist brisant. Darf ein Nationalratspräsident so dreist sein und "gratis bestellen"? Stahl rechtfertigt sich gegenüber der "Nordwestschweiz", dass er bezahlt hätte, hätte den Zusendungen eine Rechnung beigelegen. Doch ist eine Firma nicht in der Zwickmühle, wenn eine einflussreiche Persönlichkeit "von wohlwollender Prüfung meiner unkonventionellen Anfrage" spricht? Muss sie bei einem negativen Entscheid nicht wirtschaftliche Nachteile fürchten?

Wir haben uns im Bundeshaus umgehört, was Kollegen von Stahl sagen.

Lukas Reimann (SVP/SG): "Ich würde das sicher nicht machen. Stahl hat ein Lobby-Problem. Diese Alkohol-Geschichte ist harmlos im Vergleich zu anderen Geschenken, die er annimmt. Stahl hat sich auch schon von der Groupe Mutuel auf eine Kreuzfahrt einladen lassen."

Anzumerken ist: Stahl ist seit 2004 Direktionsmitglied der Groupe Mutuel und seit kurzem auch Präsident von Swiss Olympic.

Albert Rösti (SVP/BE): "Mich stört das nicht. So wie ich ihn kenne, hat er keinen Druck auf die Firmen ausgeübt. Zudem wird das Staatsbudget entlastet, wenn der Alkohol gesponsert wird."

Martin Candinas (CVP/GR): "An seiner Stelle hätte ich das nicht getan."

Hansjörg Walter (SVP/TG) und NR-Ratspräsident 2012: "In meinem Ratspräsidium hat der Kanton Thurgau den Rot- und Weisswein gesponsert. Er stammte aus den Rebgebieten am Ottenberg und der Kartause Ittingen. Die Geschenke an ausländische Gäste - Caran d’Ache Stifte, Taschenmesser und Longines-Uhren - organisierte die Bundeskanzlei. Ich selbst hätte keine Firmen angefragt. Das ist heikel, sie können ja kaum Nein sagen."

Jonas Fricker (Grüne/AG): "Das ist typisch Stahl: Mit Sport, Musik und Alkohol kommt man in der Politik weit. Als Nationalratspräsident würde ich so eine Anfrage nicht machen, denn es fragt sich, ob man damit als höchster Schweizer wenn auch ungewollt nicht sanften Druck auf die Unternehmen ausübt. Gin braucht es für repräsentative Zwecke nicht."

Stahls Vorgängerin Christa Markwalder (FDP/BE) erklärt, während ihrer Amtszeit sei der präsidiale Kühlschrank jeweils von den Parlamentsdiensten gefüllt worden – «mit Mineralwasser, Saft, Cola und Weisswein». Da sie keinen Gin trinke, habe sie aber auch keine Sonderwünsche gehabt.

Jürg Stahl
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Jürg Stahl ist schon seit 17 Jahren im Nationalrat.
Stahl war beim FC Nationalrat jahrelang ein Torgarant. Hier 2007 im Badener Esp gegen die Auswahl von Deutschland.
Sportler Stahl – hier als Skifahrer: Drei Tage nach der Wahl zum Präsidenten des Nationalrats steht für ihn die Wahl ins Präsidium von Swiss Olympic an.

Jürg Stahl

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