Kommentar
Spital-Verbot für Corona-Leugner? Warum die Idee eines Ökonomen völlig daneben ist

Der Staat hat ein Versprechen abgegeben, das bestmögliche Pflege im Notfall beinhaltet. Wenn man es jetzt zusätzlich an eine bestimmte Geisteshaltung oder einen inhaltlichen Konsens knüpft, ist das nicht redlich. Ganz zu schweigen davon, ob es auch so leicht umsetzbar wäre.

christoph bopp
christoph bopp
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Plakat bei einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen des Bundesrats. (Bern, 18. Oktober 2020)

Plakat bei einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen des Bundesrats. (Bern, 18. Oktober 2020)

Keystone

Wenn es denn so einfach wäre! Gesundheitsökonom Willy Oggier schlägt vor, dass man härter durchgreift gegen Leute, welche die Corona-Massnahmen nicht einhalten. Sofort büssen, auch durch nicht-staatliche Sicherheitsorgane - und zwar saftig. So sagt Oggier im Interview mit den TA-Medien am 17. November:

(...) Weiter schlage ich vor, dass Corona-Skeptiker ihr Recht auf ein Akutbett oder einen Intensivplatz verwirken, falls es zu Engpässen kommt.

Auf den ersten Blick wirkt diese Forderung nur gerecht. Man kann Corona-Skepsis als Ablehnung von Verantwortung deklarieren. Und dann muss man die Folgen halt tragen. Es scheint auch Parallelen zu geben bei der Gesundheitsprävention. Wer nicht Sorge trägt zum eigenen Körper, – raucht, Alkohol trinkt, sich schlecht ernährt und zu dick ist, zu wenig Sport macht, zu viel Video-Games spielt ... – der muss die Folgen tragen, das heisst: mehr Krankenkassenprämien zahlen. Denn es geht nicht, dass man die Solidarität der Mitbürger ausnützt.

Trittbrettfahrer bestrafen?

Ökonomisch ein klarer Fall von Trittbrettfahren. Spieltheoretisch auch gut modellierbar: Die Gesellschaft produziert ein gemeinsames Gut, ein gemeinsam finanziertes Gesundheitssystem, zu dem alle gemeinsam beitragen. Und man kann daran teilnehmen, ohne sich voll zu beteiligen. Das Problem beim Gesundheitssystem ist, dass auch Dicke und andere zahlen, man aber vorausschauend erwartet, dass sie dann überdurchschnittlich profitieren.

Hier werden zwei verschiedene Systeme des Mitmachens miteinander vermengt. Das monetäre, das gut messbar ist, und das unverbindlichere, bei dem es schnell ein Abgrenzungsproblem gibt, wo die Verantwortung anfängt respektive aufhört. Ökonomen bevorzugen Systeme, die mit messbaren Kriterien operieren.

Und wie will man den Corona-Konsens messen?

Bei Oggiers Forderung beobachten wir etwas Ähnliches. Hier werden die Ansprüche des Staatsbürgers, der gegenüber dem Staat ein Recht auf bestmögliche Pflege hat, an die Bedingung geknüpft, dass er gewisse Denkinhalte teilt. Hier stellt sich aber schon ein Messbarkeitsproblem. Beim Rauchen sind wir mittlerweile so weit, dass (fast) niemand mehr abstreitet, dass es gesundheitssschädlich ist. Wie steht es mit Maskenpflicht? Oder noch weitergehend: Wenn jemand sagt, dass es gar kein Problem gibt?

Auf der Verantwortungsebene könnte man an die Skeptiker appellieren. Wenn ihr schon meint, dass es kein Problem gibt, könnt ihr das auch in eure Patientenverfügungen schreiben? Dass ihr auf den Platz im Spital oder in der Intensivstation verzichtet? Das wäre eine adaequate Lösung.

Wer zahlt, ist dabei – was auch immer er glaubt

Weil aber das Mitmachen beim Gesundheitssystem in erster Linie ans Zahlen gebunden ist, darf der Staat – und der ist hier massgeblich, nicht das Gerechtigkeits- oder sonst ein Empfinden der Bürger – keine versprochenen Leistungen verweigern. Die Triage-Kriterien zu erweitern, dass Einwilligung in irgendeinen Corona-Konsens vorhanden sein muss, ist nicht nur schwer umsetzbar (Gewissensprüfung), sondern auch nicht zu empfehlen. Weil es die Kriterien vermischt.

In einer grossen Perspektive hat das mit einer Verschiebung der Solidaritätsvorstellung zu tun. Solidarität war in den überschaubaren Verhältnissen der Kleingesellschaft ein informelles Verhältnis. Jeder hat Hilfe zu gut, weil man auch von jedem auch Hilfe erwartet. Solidarität ist vorausgesetzte Hilfsbereitschaft, ohne dass gleich eine direkte materielle oder andere Entschädigung dafür erfolgt. Die sozial relevante Handlung wäre «helfen». Wer nicht hilfsbereit ist, ist asozial.

Seit der Staat im modernen Sinn existiert, der auf einem Geldsystem aufbaut, das er durchsetzt, indem er Steuern fordert, die in (seinem) Geld zu entrichten sind, hat sich auch die Solidaritätsvorstellung geändert. Wer zahlt, ist dabei. Wie überhaupt «zahlen» die sozial relevante Handlung geworden ist. Wer nicht mehr zahlen kann oder will, fällt raus.

«Zurück» führt meist nicht zu einer glorifizierten Vergangenheit

Oggiers Forderung würde das in einem gewissen Sinn rückgängig machen. Zurück zu einer Gesellschaft, die auf dem Gemeinschaftsgefühl beruht. Dieser Verlust wird oft beklagt. Das Problem ist nur, dass man nie weiss, wo man landet, wenn man «zurück» geht. Meist nicht an einem Ort der Erinnerung. Und schon gar nicht glorifizierter Erinnerung.