Andreas Iten, der freisinnige Polit-Doyen der Zentralschweiz, veröffentlicht zu den Wahlen «Stammtischgespräche».
Für gewisse Leute ist er heute noch der «Sonnen-Iten». Das ist nah beim «Sonnen-König». Aber mit Königen kriegt sich Andreas Iten (79) bloss in die Wolle. Mit welchem speziell? «Der ist mir heute wurscht», sagt Iten. Später fällt der Name trotzdem: Christoph B.
Zurück zum «Sonnen-Iten»: Der freisinnige Doyen der Zuger Politik – Gemeindepräsident, Regierungsrat, Ständerat – hatte ein Leben vor der Politik. Und ein anderes hörte nie auf neben der Politik. Iten war Lehrer in Baar. Psychologie, Pädagogik, Philosophie studierte er in Berlin. Eine seiner frühen Publikationen trägt den Titel: «Die Sonne in der Kinderzeichnung und ihre psychologische Bedeutung». Wie Kinder eine Sonne malen, ist aufschlussreich. Itens Test wird heute noch angewandt. Also machen wir doch gleich mit ihm selbst den Test: «Herr Iten, geht die Sonne auf über der Schweizer Politik? Oder geht sie unter?»
Da wird der Mann erstaunlich lebhaft. Die Antwort kommt schnell: «Verludern? Dieses Land? Tumms Züüg! Ich bin optimistisch, was das Holz der Schweiz betrifft. Bei einem Spaziergang in der Region kann ich unter hundert Leuten keine zwei Halunken ausmachen. Was indes fehlt, sind intellektuelle Figuren, die sich vertiefter mit der Schweiz auseinandersetzen. Solche Typen sehe ich nirgends. Die Leute gehen nicht mehr von ihrer Naherfahrung aus, sondern von dem, was Schlagzeilen macht und im Fernsehen erscheint. Ich bin Patriot, natürlich. Aber ich lasse mir nicht vorschreiben, was die Schweiz für mich sein soll.»
Welches ist die «Naherfahrung» eines Politikers wie Iten? Eines Mannes, der immer auch Bücher geschrieben hat, darunter Romane. Kam da womöglich eine Seite zu kurz? Iten greift sich an die Stirn, lächelt, überlegt, erinnert sich: «Damals geriet ich, als kulturloser Bauernbub, unter die Zöglinge der Zuger Herrschaften.» Die führten die feinere Zunge. Aber zwischen einer feinen und einer guten Zunge gibt’s schon noch Unterschiede. Das unter anderem fand Iten dann neben der Schule heraus. «Die Politik», sagt er, «war ein grosser Umweg reicher Erkenntnisse dank Menschen mit Erfahrung.»
In Itens «Stammtischgesprächen» kommt freilich eher die humanistische Bildungsseite zum Vorschein. In der Dorfwirtschaft «Zur Metzgern» treffen sich unterschiedliche Figuren aus unterschiedlichen Metiers und erörtern, was der Tag an Problemen, Krisen und Komik bringt. Die Bezüge sind aktuell. Geschrieben wurde das Buch 2014 – und passt zu den Wahlen jetzt.
Auffällig ist ein Rechtsanwalt namens Johannes Kreis. Er zeigt an vielen aktuellen Problemen alte Muster auf. Sehr alte Muster, bekannt seit der antiken Sagenwelt. Zum Beispiel hinter der modernen Finanzkrise das Muster der alten Lockrufe der Sirenen. Oder Sisyphus als Gestalt immer wiederkehrenden schlechten Gewissens. Alles getreu dem Schopenhauer-Motto in Itens Buch: «Die gegenwärtige Generation ist, ihrem eigentlichen Kern nach, geradezu und unmittelbar identisch mit jeder vorher da gewesenen».
Ist das nicht die Leier vom alten Besserwisser, der abwinkend sagt: «Alles schon da gewesen»? Bei Iten klingt das frisch. Denn eine Eigentümlichkeit hat er ganz für sich: Er ist sozusagen das Missing Link zwischen antiker Sagenwelt, Gottfried Keller und Gegenwart. Die Welt Gottfried Kellers gab es noch zu Zeiten des Vorbilds von Anwalt Kreis, zweifellos die Hauptfigur an Itens Stammtisch. So viel verrät uns der Autor darüber: Die «Metzgern» hat’s gegeben, in Sarnen. Und den Politiker und Rechtsanwalt, der im Kreis von Studenten Lieder sang in der Beiz. Heute nicht mehr vorstellbar.
Ein Jugendlicher fragte da einmal den Anwalt, wie viel er verdiene. 80 000 Franken, sagte der Anwalt, damals eine stolze Summe. Um dann fortzufahren: «30 000 nehme ich ein mit Mandaten. 50 000 Stutz ist mir die eigene Freiheit wert.» Ein toller Satz, ein antiker Satz, mit Blick auf heute.
Noch einmal wird Iten leidenschaftlich: «Rechtschaffenheit, guter Stil sind immer möglich. Die Frage nach dem politischen Stil ist keine Frage blossen Auftretens. Stil ist immer auch Inhalt.»
Andreas Iten: Wolkenkuckucksheim – Stammtischgespräche. Mit Illustrationen von André Poloczek. 162 Seiten. Verlag Pro Libro, Luzern, 2015.