Bundesratswahl
«So weit kommt es noch!»: Kritik an Cassis’ Frauen-Offensive

FDP-Bundesrat empfiehlt Parlament, zwei Kandidatinnen in die Regierung zu wählen

Lorenz Honegger und Patrik Müller
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Frauen-Kandidaturen bewegen das Land: 1993 demonstrierten Tausende gegen die Nicht-Wahl von Christiane Brunner.

Frauen-Kandidaturen bewegen das Land: 1993 demonstrierten Tausende gegen die Nicht-Wahl von Christiane Brunner.

Keystone

Sich zurückhalten, ja nicht öffentlich anecken. Das gehört nicht zu Ignazio Cassis’ Stärken. Auch an diesem Wochenende nicht. Im Interview mit dem «SonntagsBlick» äussert der FDP-Aussenminister – für ein Regierungsmitglied überraschend deutlich – seine Präferenzen im Hinblick auf die anstehenden Bundesratswahlen.

Was er sich wünscht, ist simpel: Das Parlament soll für die Nachfolge von Doris Leuthard (CVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) zwei Frauen wählen. «Es ist gut, wenn Männer und Frauen ausgewogen im Bundesrat vertreten sind. Bei zwei Vakanzen sollte man jetzt dafür sorgen, dass dieses Verhältnis wieder gefunden wird.» Also drei Bundesrätinnen und vier Bundesräte. Nicht in einem oder in ein paar Jahren, sondern jetzt.

Damit stellt sich der Tessiner auf eine Linie mit Frauenorganisationen und seiner SP-Bundesratskollegin Simonetta Sommaruga, die letzte im Bundesrat verbleibende Frau.

Hegglin: «Nicht angebracht»

Seine eigene Partei bringt Cassis mit seiner Aussage nicht in Verlegenheit, zumindest vorläufig. Mit der Ständerätin Karin Keller-Sutter als Topfavoritin ist die FDP in Sachen Frauen bereits jetzt gut aufgestellt. Vorausgesetzt, die St. Gallerin kandidiert. Anders sieht es bei der CVP aus, wo die Forderung nach zwei neuen Bundesrätinnen kritische Reaktionen auslöst, besonders bei jenen Parlamentariern und Regierungsräten, die sich selber eine Kandidatur überlegen.

Zu ihnen zählt der Zuger Ständerat und ehemalige Finanzdirektor Peter Hegglin (CVP). «Ich finde die Aussage von Ignazio Cassis, wonach es bei der Ersatzwahl zwei Frauen brauche, sonderbar und nicht ganz angebracht», sagt er auf Anfrage der «Nordwestschweiz». «Dann könnte man ja auch die Frage stellen, warum er sich als Mann nominieren liess. Er hätte ja auch zugunsten einer Frau verzichten können.» Ständerat Hegglin hält es für «verkraftbar», wenn bei den Bundesratswahlen im Dezember nur eine Frau gewählt würde.

Verliert die CVP ihren Sitz 2019?

Diese Zahlen dürften CVP-Präsident Gerhard Pfister keine Freude bereiten: Gemäss einer neuen Umfrage des Tamedia-Verlags könnte die Partei bei Nationalratswahlen 2019 erstmals unter die Marke von zehn Prozent Wähleranteil fallen. 9,9 Prozent wären es dann noch. 1,7 Prozentpunkte weniger als im Jahr 2015. Dann könnte die Stunde der Grünen und der Grünliberalen schlagen: Die «SonntagsZeitung» berichtet, es gebe bereits Planspiele für eine grün-grünliberale Bundesrats-Allianz. Favoritin für den Öko-Sitz in der Landesregierung wäre die grünliberale Fraktionschefin Tiana Angelina Moser. Als linksliberale, ökologische Frau soll sie am ehesten mehrheitsfähig sein. (LHN)

«Es kann schnell wieder eine Vakanz geben, dann könnte auch eine andere Partei eine Frau nominieren.» Klar ist: Das Feld der potenziellen CVP-Kandidatinnen wächst. Mit der Aargauer Nationalrätin Ruth Humbel will jetzt eine weitere Parlamentarierin die Kandidatur prüfen. Hegglin betont, er würde es akzeptieren, wenn die CVP in einer Ausmarchung ein reines Frauenticket ins Rennen schicken würde. Aber: «Ich hätte Mühe damit, wenn man Männer schon von vornherein ausschliesst.» Noch schärfer formuliert es ein Parteikollege gegenüber der «NZZ am Sonntag: «So weit kommt es noch!», meinte dieser.

Aber auch im Freisinn könnte Cassis’ Forderung nach zwei Frauen noch für längere Diskussionen sorgen. «Wenn Frau Keller-Sutter nicht kandidieren würde und die nächstbesseren Kandidaturen männlich sind, dann darf das Frauenkriterium nicht alleine massgebend sein», sagt FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR), der sich Anfang dieser Woche entscheiden will, ob er für den Sitz von Schneider-Ammann kandidiert. Man dürfe die Geschlechterfrage nicht verabsolutieren, findet Caroni. Auch er habe Mühe damit, wenn gesagt werde, bei den Ersatzwahlen im Dezember müssten zwingend zwei Frauen gewählt werden. «Diese Fixierung auf ein Kriterium ist zu starr.»

SVP-Bundesrätin Blocher

Sollte es bei den Bundesratswahlen am Ende nur eine Frau schaffen, gibt es dennoch bereits jetzt ein Szenario für eine baldige dritte Bundesrätin. Wie die «Zentralschweiz am Sonntag» schreibt, rechnen in der SVP nicht mehr alle damit, dass Ueli Maurer noch einmal eine Legislatur bleibt. Dann, so schreibt die Zeitung, könnte die SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher die Nachfolge des 67-Jährigen antreten. Die Unternehmerin meinte dazu diesen Frühling in gewohnt Blocher’scher Manier: «Das wäre der Worst Case, wenn ich noch Bundesrätin werden müsste.»