Interview
«So kann es nicht weitergehen»: Martullo-Blocher über den Regulierungseifer in Bern

SVP-Nationalrätin und Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher spricht im Interview über ihren Kampf gegen «Staatsregulierer». Manchmal müsse man die Verwaltung zwingen, zu sparen.

Lorenz Honegger
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Magdalena Martullo-Blocher
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Martullo-Blocher sieht in der Energiestrategie eine unnötige Regulierung.
Sie bedauert, dass der bürgerliche Schulterschluss zu wenig oft funktioniert.
CVP und FDP seien keine verlässliche Partner.
Die Bilder entstanden im Februar 2017.

Magdalena Martullo-Blocher

Sandra Ardizzone

Frau Martullo, als Regulierungskritikerin haben Sie bald keine Aufgabe mehr: Die Politik schafft mit grossem Elan Regeln und Vorschriften ab.

Magdalena Martullo-Blocher: Davon sind wir noch weit entfernt! Mittlerweile gibt es über 5000 Bundeserlasse mit mehr als 70'000 Seiten. Jede Woche kommen 140 neue Seiten dazu. Das Finanzmarktrecht oder die Energiestrategie sind zwei Beispiele für diese Entwicklung. Diese unnötige Bürokratie schwächt unsere Wirtschaft.

Doch das Parlament fällt auffällig viele Entscheide in Richtung Deregulierung.

Ja. Nach der Finanzkrise hat man überall auf der Welt das Heil beim Staat gesucht, er sollte alles regeln und regulieren. Jetzt erleben wir eine Gegenbewegung. In den Vereinigten Staaten, in Frankreich und anderen Ländern haben Wirtschaft und Gesellschaft genug von diesen Staatsregulierern. So kann es nicht weitergehen.

Nennen Sie uns ein Beispiel.

Die Wirtschaftskommission des Nationalrates hat vor kurzem einen wichtigen Beschluss gefällt, der vor zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen wäre: Die Finanzmarktaufsicht (Finma) soll den demokratischen Prozess nicht mehr unterwandern dürfen, indem sie mit Rundschreiben selber Gesetze schafft.

Es scheint, als würde der längst totgeschriebene bürgerliche Schulterschluss beim Thema Deregulierung doch zum Leben erweckt: Der Ständerat etwa hat sich am Dienstag für eine «Sonnenuntergangs-Klausel» ausgesprochen. Diese verlangt, dass der Bundesrat bei jedem neuen Gesetz eine Befristung prüft.

Ja das stimmt. Leider findet ein bürgerlicher Schulterschluss viel zu selten statt. Die FDP etwa spricht zwar immer viel von Deregulierung. Wenn die Entscheide in der Praxis aber anstehen, stimmen sie dann oft doch nicht dafür. Die Mehrheit von FDP und SVP im Nationalrat ist sowieso sehr knapp. Bei knappen Entscheiden verträgt es keine Abwesenheiten oder Enthaltungen. Auch die CVP als starke Kraft im Ständerat ist keine zuverlässige Partnerin, weil sie selten geschlossen stimmt. Wir müssen die anderen Parteien immer wieder ermahnen. Manchmal mit mehr und manchmal mit weniger Erfolg.

Knapp scheitern liess der bürgerliche Block diese Woche Ihren eigenen Vorstoss. Sie wollten das «One in two out»-Prinzip einführen: Für jeden neuen Erlass sollten bestehende Erlasse mit doppelten Regulierungskosten gestrichen werden. Warum braucht es diese Regel?

Es funktioniert wie bei der Schuldenbremse. Man muss eine generelle Regel haben, um das übergeordnete Ziel der Deregulierung zu erreichen. Später, wenn die Regulierung wieder auf einem vernünftigen Niveau angekommen ist, könnten wir sie dann durch das «One in, one out»-Prinzip ablösen.

Das «One in two out»-Prinzip erinnert an einen Rasenmäher.

Wissen Sie, manchmal muss man die Verwaltung einfach zwingen. Sie weiss am besten, wo unsere Regulierungskosten anfallen. Ich habe mit Verantwortlichen in Deutschland gesprochen, wo seit 2015 ein ähnliches Prinzip gilt. Man sagte mir, die Verwaltung sei heute schon bei der Erarbeitung von neuen Erlassen viel stärker darauf sensibilisiert, wo Aufwände anfallen. Das hat Wunder gewirkt.

Lässt sich damit Geld sparen?

Ja, bei den Bürgern und den Unternehmen. Deutschland konnte Kosten in der Höhe von mehreren Milliarden Euro abbauen, auch Frankreich, Kanada und Grossbritannien sind mit dieser Praxis massiv effizienter geworden. Die Briten denken mittlerweile sogar über das «One in, three out»-Prinzip nach. Das Sparpotenzial beziffern sie dabei auf 10 Milliarden Pfund.

Wie hoch schätzen Sie das Potenzial in der Schweiz?

Auch auf mehrere Milliarden Franken pro Jahr. Der Gewerbeverband hat den gesamten Regulierungsaufwand in der Schweiz auf jährlich 60 Milliarden Franken geschätzt. Das ist ein Zehntel unserer Wirtschaftsleistung. Diese Ressourcen wären für die Innovation und neue Arbeitsplätze besser eingesetzt!