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Schweiz
Wegen fehlender Ressourcen beim Contact Tracing der Kantone sei die App praktisch nutzlos, sagt der Hotline-Betreiber des Bundesamt für Gesundheit. Die Kantonsärzte wehren sich.
«So wie es jetzt funktioniert, ist die App ein Witz». «Aktuell ist es ein Schuss in den Ofen». Die gestern laut gewordene Kritik war an Schärfe nicht zu überbieten. Geäussert hat sie Andy Fischer, CEO des Medizindienstleitungsunternehmens Medgate im Rahmen einer Tagung des «Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen» in Bern. Adressat der Kritik: Die Kantone und ihr Contact Tracing.
Fischer ist nah dran an der Problematik. Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit BAG betreibt seine Firma eine Infoline für die Benutzer der Swiss-Covid-App. Dort soll anrufen, wer von der App eine Benachrichtigung erhält, weil ein naher Kontakt mit einer positiv auf das Coronavirus getesteten Person registriert worden ist.
Ersichtlich ist lediglich das Datum des Kontakts. Der Standort der Begegnung oder die Identität der infizierten Person werden nicht aufgezeichnet. Die Medgate-Angestellten versuchen dann im Gespräch festzustellen, ob zum fraglichen Zeitpunkt eine Übertragung hätten stattfinden können. «Plausibilisieren» nennen das die Experten.
Ist eine Infektion plausibel ist, so weisen die Mitarbeiter der Infoline die App-Nutzer gemäss den Vorgaben des BAG darauf hin, während zehn Tagen nach dem fraglichen Kontakt unnötige Kontakte zu vermeiden und sich ab dem fünften Tag auf Covid testen zu lassen. Ausserdem teilt man ihnen mit, dass sie sich freiwillig beim kantonsärztlichen Dienst melden können.
Über diese Empfehlungen hinaus passiert jedoch nichts. Weder wird eine Quarantäne im juristischen Sinn angeordnet, noch wird im Rahmen eines Contact Tracings nach engen Kontaktpersonen der Betroffenen gesucht, die sich zum vorliegen eines negativen Testresultats zum Meiden unnötiger Kontakte aufgefordert werden.
Und hier setzt die Kritik von Medgate-CEO Andy Fischer an den Kantonen an: Diese weigerten sich aus Angst vor einer Überbeanspruchung der Ressourcen für das klassische Contact Tracing, die Swiss-Covid-App mit einer wirksamen Rückverfolgung zu unterstützen.
An eine automatische Übermittlung von Daten aus der App an die Kantone denkt auch Fischer nicht. Schliesslich schreibt die gesetzliche Grundlage bei jedem Nutzungsschritt die komplette Freiwilligkeit vor. Doch laut Fischer lehnten es die Kantone sogar ab, dass ihnen die Kontaktdaten der betroffenen App-Nutzer mit deren Einverständnis übermittelt werden.
Die Mitarbeitenden der Infoline hielten sich an eine entsprechende Weisung des BAG. Dieses habe sich erfolglos bei den Kantonen dafür eingesetzt, dass deren Contact Tracer diese Daten entgegen nehmen: «Aber die Kantone wollen das nicht.» Nur wenn sich betroffene App-Nutzer proaktiv bei den zuständigen kantonalen Stellen meldeten, würden diese aktiv.
Diese Vorwürfe lassen die Kantone nicht unwidersprochen. Laut dem Luzerner Kantonsarzt Roger Harstall ist eine direkte Weitergabe der Kontaktdaten durch die Infoline gar nicht möglich, «da der Kontakt mit der Infoline nicht nur freiwillig, sondern auch grundsätzlich anonym erfolgt».
Auch der Zuger Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Kantonsärzte, verweist auf die rechtlichen Umstände: «Es ist juristisch heikel, alleine gestützt auf eine App etwa eine Anordnung zur Quarantäne auszusprechen – bei deren Nichteinhaltung Konsequenzen drohen».
Ausserdem sei die geltende Aufgabenteilung klar: «Das BAG und die Kantone haben sich gemeinsam darauf geeignet, dass der Bund die via App identifizierten Personen betreut.» Die Kantone übernehmen im Gegenzug die Kontaktierung aller übrigen Infizierten und Kontaktpersonen sowie den Rückkehrenden aus Risikoländern.
Hauri bestreitet ausserdem ab, dass die Kanton nicht aktiv würden im Zusammenhang mit der Swiss-Covid-App: «Wenn die BAG-Infoline es als nötig erachtet, dass bei einer via App benachrichtigten Person weitere Massnahmen nötig sind, können diese Personen an die kantonsärztlichen Dienste weiterverwiesen werden».
Wie häufig sich App-Nutzer aufgrund von Hinweisen der nationalen Infoline bei den kantonalen Contact-Tracern melden, ist statistisch nicht zentral erfasst. In Luzern etwa war dies bisher einmal der Fall, in Bern waren es mehrere Personen. Gemäss BAG hat die Infoline bisher bei 120 App-Nutzern ein erhöhtes Übertragungsrisiko plausibilisiert.
Dass man sich wegen mangelnden Ressourcen vor zusätzlicher Arbeit drückt, streiten die angefragten Kantone ab und verweisen auf die laufend ausgebauten Kapazitäten beim Contact Tracing, die man bei einem weiteren Anstieg der Fallzahlen skalieren könne.
Von Medgate-CEO Fischers Kritik wollen sich beide Seiten nicht zu einem Streit provozieren lassen. Der Wille zu einer besseren Kooperation im Zusammenhang mit der App scheint vorhanden: Kantonsarzt Hauri verweist auf laufende Gespräche mit dem BAG zur Frage, «ob die Kantone weiter involviert werden sollen». Und BAG und Kantonsärzte bezeichnen die App unisono als «wertvolle Ergänzung zum klassischen Contact Tracing». Man sei daran, erste Erfahrungen mit dieser neuen Methode zu sammeln und werte sie laufend