Pandemie
Sie warnt, klärt auf und wird kritisiert – doch wie entscheidet die Corona-Taskforce über ihre Empfehlungen?

Ueli Maurer wirft ihr eine einseitige Sichtweise vor und Parlamentarier beklagen die «Kakofonie» beim wissenschaftlichen Beratungsgremium. Doch die Covid-Taskforce verteidigt ihre Arbeit.

Christoph Bernet
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Taskforce-Präsident Martin Ackermann vor den Medien in Bern.

Taskforce-Präsident Martin Ackermann vor den Medien in Bern.

Peter Klaunzer / KEYSTONE

«Sie sehen nur die Gesundheit»: Mit diesen Worten kritisierte Finanzminister Ueli Maurer (SVP) vergangene Woche in einem SVP-Videotalk die Mitglieder der «Swiss National Covid-19 Science Task Force». Dabei gelte es, auch Gesellschaft und Wirtschaft zu betrachten, kritisierte Maurer eine herrschende «Expertengläubigkeit».

Martin Ackermann 49, Präsident Taskforce Seit August im Amt, gab sich der Eawag-Biologe zunächst öffentlich zurückhaltend. Mit zunehmender Medienerfahrung tritt er selbstsicherer auf.
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Christian Althaus 41, Epidemiologe Uni Bern Einer der schärfsten Kritiker der Behörden teilt über Twitter scharf und oft aus. Althaus ist einfaches Taskforce-Mitglied und leitet keine Expertengruppe.
Samia Hurst-Majno 48, Bioethikerin Universität Genf Die Vizepräsidentin der Taskforce leitet die Expertengruppe für Ethik, Recht, und Soziales. Eine der präsentesten Corona-Expertinnen in der Romandie.
Matthias Egger 53, Epidemiologe Universität Bern Der erste Präsident der Taskforce wurde während der ersten Welle zur Stimme der Wissenschaft. Er übte Kritik, formulierte diese aber diplomatisch.
Marcel Tanner 68, Public-Health-Spezialist Der erfahrene Basler Epidemiologe hat viel Verständnis für Behörden gezeigt und auf die gesamtgesellschaftlichen Aspekte der Coronakrise hingewiesen.

Martin Ackermann 49, Präsident Taskforce Seit August im Amt, gab sich der Eawag-Biologe zunächst öffentlich zurückhaltend. Mit zunehmender Medienerfahrung tritt er selbstsicherer auf.

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Er ist nicht der einzige Politiker, der sich schon über die Taskforce-Mitglieder geärgert hat. Im August tadelten Parlamentarier die öffentlich vorgetragene Kritik einzelner Taskforce-Vertreter. Diese hatten die fehlende Reaktion des Bundes bei wieder ansteigenden Fallzahlen bemängelt. CVP-Nationalrätin Ruth Humbel forderte die Mitglieder zu «Zurückhaltung» auf. FDP-Ständerat Damian Müller sprach von «Kakofonie», welche die Bevölkerung verunsichere.

Mandat garantiert Unabhängigkeit

Mit dem explosiven Wachstum der Fallzahlen im Oktober wurde die Kritik aus dem Gremium noch stärker. In einem Interview Ende Oktober darauf angesprochen, sagte Gesundheitsminister Alain Berset (SP) gegenüber dieser Zeitung: «Wer nicht in der Verantwortung steht, kann einfach kritisieren.»

Doch dass die Taskforce-Mitglieder keine Verantwortungsträger mit Entscheidungsgewalt sind, ist im «Rahmenmandat» des Gremiums festgehalten. Seine Aufgabe: das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und den Bundesrat mit «unabhängiger wissenschaftlicher Expertise» zu unterstützen.

Die Taskforce verfasst im Auftrag der Behörden wissenschaftliche Einschätzungen zu spezifischen Fragen. Sie kann auch «eigene Themen definieren» und dazu «wissenschaftlich basierte Expertise» publizieren.

Ein prominent besetztes Kontrollgremium

Bevor die Taskforce einen Lagebericht zur Entwicklung der Pandemie oder ein «Policy Brief» zu einem spezifischen Aspekt veröffentlicht, durchlaufen ihre Publikationen einen internen Begutachtungsprozess. Im Normalfall werden sie vor der Publikation vom sechsköpfigen Beratergremium («Advisory Board») begutachtet, heisst es bei der Taskforce.

Dem Gremium gehört unter anderem der frühere Taskforce-Chef Matthias Egger an. Er ist als Präsident des Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds in der Wissenschaft gut vernetzt und hatte bei der Gründung der Taskforce im März massgeblichen Einfluss auf dessen Zusammensetzung. Auch Epidemiologe Marcel Tanner, eine wichtige Stimme der Wissenschaft in den Medien, gehört dem Ausschuss an. Nach der Begutachtung schaut sich auch das Leitungsteam unter Eggers Nachfolger Martin Ackermann die Stellungnahmen vor der Übermittlung ans BAG und der anschliessenden Publikation noch an.

Doch ist der Ablauf nicht komplett standardisierbar und variiert je nach Situation. Bei themenübergreifenden «Policy Briefs» werden fallweise auch die Leiter von anderen Expertengruppen zur Begutachtung beigezogen. Bei grösserer Tragweite werden sie innerhalb des Gremiums breiter begutachtet.

«Diskurs ist eine Stärke des Gremiums»

Dabei kann es auch mal Meinungsverschiedenheiten geben. In ihrem Lagebericht von letzter Woche verwies die Taskforce auf die Option, Bars, Restaurants, Museen und Konzertlokale zur raschen Senkung der Reproduktionsrate schweizweit zu schliessen. Mit Bezug auf einzelne Mitglieder, welche den Schritt zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen, schrieb die «SonntagsZeitung» von «Chaos in der Corona-Taskforce».

Ohne spezifisch zum Artikel Stellung zu nehmen, heisst es bei der Taskforce, dass Diskurs eine wesentliche Eigenschaft der Wissenschaft sei. Es sei eine Stärke des Gremiums, dass dieser Diskurs stattfinden könne.

Laut Rahmenmandat können sich die Mitglieder in ihrer Funktion als Fachexperten öffentlich äussern. Offiziell kommuniziert die Taskforce nur durch ihre Publikationen, oder wenn ihr Präsident Martin Ackermann oder seine Stellvertreter bei den Points de Presse der Bundesverwaltung oder mit Interviews in den Medien auftreten.