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Schweiz
Karin Keller-Sutter hat im Bundesrat die alte europapolitische Koalition FDP, SP und CVP neu belebt. Am nächsten Freitag dürfte sich die Regierung zum Rahmenabkommen äussern. Mit einem «Ja, aber».
Da ist der Druck von aussen. Mit Zuckerbrot und Peitsche drängt die EU-Kommission den Bundesrat, das Rahmenabkommen abzuschliessen. Er gebe die Hoffnung nicht auf, «mit unseren schweizerischen Freunden» zu einer Vereinbarung zu kommen, sagte EU-Präsident Jean-Claude Juncker am 7. Mai. Martin Selmayr, Generalsekretär der EU-Kommission und rechte Hand Junckers, warnte hingegen in der «Rundschau» bei SRF: «Der Wechsel von der Juncker-Kommission in die Nachfolger-Kommission wird Auswirkungen haben auf die Schweiz.» Die kooperative Art Junckers werde nicht mehr fortgesetzt. Eine Drohkulisse? Selmayrs Konter: «Eine Tatsache.»
Es gibt aber auch den Druck von innen. Die Wirtschaftsverbände schauen nicht mehr tatenlos zu. Sie fordern den Bundesrat auf, Nägel mit Köpfen zu machen. Economiesuisse zeigte an einer Medienkonferenz auf, dass zwei Drittel der Unternehmen das Rahmenabkommen unterstützen. «Jetzt auf Zeit zu spielen, ist eine risikobehaftete Strategie», sagt Jan Atteslander, Leiter Aussenpolitik. «Die Wirtschaft ist nicht bereit, diese Risiken zu tragen.»
Nach zehn Jahren Diskussionen, davon fünf Jahren Verhandlungen, ist es nun so weit: In Bern kommt es zum Showdown um das Rahmenabkommen, welches das bilaterale Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU in die Zukunft führen soll. Mit hoher Wahrscheinlichkeit entscheidet die Regierung am 7. Juni über das Abkommen. Die Fronten haben sich geklärt: Die fünf Bundesräte von FDP, SP und CVP sprechen sich für ein «Ja, aber» aus. Grundsätzlich wollen sie das Abkommen. Diese Botschaft möchten sie der EU vermitteln.
Das «aber» beinhaltet das Resultat der Konsultation. Sie machte klar, dass es Klärungen und Präzisierungen braucht, damit die Schweiz unterzeichnen kann. In drei Bereichen: flankierende Massnahmen, Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen. Der Bundesrat wird der EU dafür politische Gespräche vorschlagen.
Was die Bundesräte über das Rahmenabkommen denken
Als Leaderin im Dossier Europa hat sich Karin Keller-Sutter (FDP) profiliert. Ihr gelang das Kunststück, die alte europapolitische Koalition FDP, SP und CVP neu zu beleben. Noch vor wenigen Monaten schien die Situation hoffnungslos blockiert zwischen FDP und SP/Gewerkschaften wegen des Streits um die Flankierenden.
Inzwischen sitzt sogar der Urheber des Konflikts wieder in der Europa-Allianz des Bundesrats. Nach einer Phase der Isolation gliederte sich Aussenminister Ignazio Cassis dort ein. Noch immer müsse ihn der Bundesrat zwar stoppen, sagen Eingeweihte, wenn er wieder mit der Idee aus dem Departement komme, das Abkommen so schnell wie möglich zu unterzeichnen.
Abseits stehen die beiden SVP-Bundesräte. Dass sich Bundespräsident Ueli Maurer und Guy Parmelin öffentlich für Nachverhandlungen äusserten, kam in Regierungskreisen nicht nur gut an. Zu viel stehe auf dem Spiel, als dass Bundesräte die Situation für Übungen zur Profilierung der eigenen Partei nützen sollten, heisst es.
Die Regierung will die Begriffe Verhandlung oder Neuverhandlung nicht verwenden. Und der Zwei-Phasen-Plan – erst Abstimmung über die SVP-Kündigungsinitiative und dann innenpolitischer Prozess zum Rahmenabkommen – ist in den Hintergrund gerückt. Er stand noch vor kurzem zur Diskussion. Neuerdings will der Bundesrat den Zeitplan offenlassen. Das ermöglicht Spielraum für die letzte Phase des Prozesses mit der EU. Kommt man sich schnell näher, könnte das Abkommen nach den Nationalratswahlen vom 20. Oktober unterzeichnet werden. Juncker ist bis 31. Oktober im Amt.
Die Regierung nähert sich damit den Vorgaben Brüssels an. Bis Ende Juni will die EU-Kommission ein Ja zum Abkommen, sonst läuft die Börsenäquivalenz aus. Gleichzeitig kommt der Bundesrat den Forderungen der Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Swissmem, Interpharma, Bankiervereinigung und Scienceindustries entgegen. «Das Rahmenabkommen ist eine einmalige Chance», sagt Jan Atteslander. «Nützen wir sie nicht, kann es lange dauern, bis wir wieder eine solche Gelegenheit erhalten.»
Die Wirtschaft stellt sich auf den Standpunkt, die Schweiz könne sich eine Eskalation des Verhältnisses mit der EU nicht leisten. Würde die Börsenäquivalenz nicht mehr verlängert, ginge das «nicht spurlos» am Finanzplatz vorbei, sagt Atteslander. «Die Börse ist das Herz eines Finanzplatzes.»
Economiesuisse sieht noch andere Gefahren. Die EU droht, das Abkommen zum Abbau technischer Handelshemmnisse nicht mehr zu aktualisieren. Als Erste verlören in einem solchen Szenario Medtech-Firmen für Medizinprodukte den direkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt und es käme zu einer Verschlechterung bei der Teilnahme beim Forschungsprogramm Horizon Europe. Auf mittlere Frist unter Druck geraten dürfte die Äquivalenzanerkennung der Assekuranz- und Banken-Regulierungen, später jene beim Datenschutz und bei der Kryptotechnologie, glaubt Atteslander.
Als EU-Kommissar Johannes Hahn im Dezember in neuer Schärfe sagte, ohne Rahmenabkommen werde es keine Anpassung bestehender bilateraler Marktzugangsabkommen mehr geben, glaubte Atteslander an eine Drohkulisse. Nachforschungen zeigten aber: «Es geht um eine graduelle, aber wichtige Policy-Änderung, die von Mitgliedstaaten gestützt wird. Wir stehen vor einer Weichenstellung.»
Innenpolitischer Knackpunkt für das Rahmenabkommen bleiben die flankierenden Massnahmen und damit Gewerkschaften und SP. Pierre-Yves Maillard, neuer Präsident des Gewerkschaftsbundes, betonte, die Schweiz müsse weiterhin autonom über die Flankierenden entscheiden können. Auch die SP wird auf einer harten Linie verharren. In der Parteispitze ist man überzeugt, dass der links-konservative Kurs der Partei, der zurzeit eine europakritische Haltung nach sich zieht, richtig ist. Er verhindere dramatische Abstürze wie jenen der französischen Parti Socialiste, die bei den Parlamentswahlen 2017 noch auf 7,44 Prozent Wähleranteil kam, nachdem sie seit 1974 stets 25 bis 40 Prozent hatte.
Wie diese Quadratur des Kreises gelöst werden soll, ist unklar. Deshalb bleibt offen, ob der EU-Präsident das Abkommen zu Ende bringt. Das Verhältnis zur Schweiz sei eines der Themen, sagte Juncker am 7. Mai, die ihn «nachhaltig traurig» machten. Er habe «sehr viel Zeit, sehr viel Geduld und auch viele Ideen» darin investiert. Er hoffe, «dass wir noch zu Potte kommen». Zum Ende seiner Amtszeit könnte er einen Erfolg gebrauchen. Immerhin stehen die Chancen auf einen Durchbruch mit der Schweiz besser als auch schon.