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Die meisten Wirtschaftsführer wagen es nicht, sich in die Politik einzuschalten. Anders UBS-Chef Sergio Ermotti: Im «Schweiz am Wochenende»-Interview fordert er einen schlankeren Staat, kritisiert die Tatenlosigkeit der FDP-SVP-Mehrheit – und skizziert eine «ehrliche» AHV-Reform.
Logisch, dass sich der Chef der grössten Schweizer Bank diese Woche in Davos aufhält. Doch zum einzigen Interview, das er am WEF gibt, lädt Sergio Ermotti, 58, nicht ins Kongresszentrum, sondern in die örtliche UBS-Filiale an der Promenade. Der Tessiner ist Banker von der Pike auf: Schon die Lehre hat er auf einer Bank absolviert.
Wenn Sie heute jung wären: Würden Sie wieder eine Banklehre machen?
Sergio Ermotti: Ja, klar! Jede andere Antwort wäre doch seltsam, wenn ich sehe, welchen Weg ich seit der Lehre gemacht habe (lacht).
Ich frage darum, weil ein Job bei einer Bank nicht mehr dasselbe ist wie früher. Das Prestige hat gelitten, und die Branche schrumpft.
Die Jobs haben sich enorm verändert, vor allem wegen der Technologie. Aber in welcher Branche ist das anders? Das gilt auch für Journalisten. Insgesamt machen die Veränderungen unsere Berufe spannender.
Was unterscheidet die Jungen von heute von Ihrer Banker-Generation?
Wir beschäftigen um die 1600 Auszubildende und Lehrlinge. Ich bin nicht sicher, ob die Jungen so anders sind, als wir es waren. Vielleicht sind sie etwas frecher als früher, im positiven Sinn: Sie sind selbstbewusster, wagen es eher, ihre Meinung auszudrücken.
Sie setzen seit 2012 voll auf die Vermögensverwaltung. Das bringt nun Milliarden-Gewinne ein, aber die UBS-Aktie profitiert nicht davon. Ist Ihr Geschäft noch zukunftsträchtig?
Ja, natürlich. Das globale Vermögenswachstum ist ein fundamentaler Trend. Nach der Finanzkrise stellte sich die Frage: Ist die UBS überhaupt fähig, einer der wichtigsten Vermögensverwalter zu sein? Heute sehen wir: Die UBS ist in der Vermögensverwaltung der unbestrittene Marktführer, und zwar weltweit. Wir verwalten 2300 Milliarden Franken. Und letztes Jahr erzielten wir in diesem Geschäft 4 Milliarden Franken Gewinn vor Steuern.
Sergio Ermotti, 58, ist seit November 2011 Konzernchef der UBS. Er folgte auf Oswald Grübel. Ermotti ist im Tessin aufgewachsen und absolvierte eine Banklehre bei der Cornèr Bank in Lugano. 1985 ging er zur Citigroup nach Zürich. Es folgten Stationen bei Merrill Lynch in Zürich, London und New York. 2005 wechselte er zu Unicredit und leitete dort das Investmentbanking. Ermotti ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. In seiner Freizeit treibt der Fussball-Fan (langjähriger Präsident des Tessiner 2.-Liga-Klubs FC Collina d’Oro) gerne Sport.
Trotzdem verliert die Aktie, der Wert des Unternehmens sinkt.
Man muss schon die relative Bewertung anschauen. Unter den europäischen Banken sind wir an der Spitze und auch besser bewertet als einige US-Banken. Das Problem ist nicht die UBS-Aktie, sondern die erwartete Profitabilität der Branche. Investoren implizieren, dass es zu einer globalen Abschwächung der Konjunktur kommen könnte.
Die amerikanischen Banken haben die UBS und andere europäische Institute meilenweit abgehängt, was die Börsenkapitalisierung betrifft.
Das hat verschiedene Gründe. Einer ist die Regulierung: Nach der Finanzkrise kam die Politik – mit gutem Grund – zum Schluss, dass die Banken ihre Risiken reduzieren müssen. Die Banken in Europa mussten kleiner werden. Die UBS hat ihre Bilanz von 2400 Milliarden auf ca. 900 Milliarden Franken reduziert.
Es war politisch gewollt, dass die UBS und auch die CS kleiner werden. Mit dem Resultat, dass die Amerikaner jetzt davongezogen sind.
Ja. Aber schauen Sie: Grösse allein bedeutet nicht alles. Wir haben ein fokussiertes Geschäftsmodell und erzielen eine Rendite auf dem harten Eigenkapital von 14,2 Prozent. Wer von unseren Wettbewerbern ist weltweit noch besser? Nur JP Morgan und Bank of America.
Jedes Unternehmen will wachsen, das liegt in der Natur des Wirtschaftens. Doch genau das können Sie kaum mehr.
Wir beweisen mit unserem nachhaltigen Wachstum das Gegenteil. In der Vermögensverwaltung sind wir seit 2010 stark gewachsen. Damals schrieben wir in den USA noch Verluste, jetzt deutliche Gewinne von etwa 1,5 Milliarden. In Asien sind wir der klare Leader, in China haben wir als erste ausländische Bank eine Lizenz erhalten. Und in der vermeintlich gesättigten Schweiz wachsen wir im Neugeschäft doppelt so schnell wie die Gesamtwirtschaft!
Die UBS ist gemessen an der Bilanz fast dreimal kleiner als vor der Finanzkrise. «Too big to fail», zu gross um unterzugehen, ist kein Thema mehr?
Inzwischen müsste die Debatte andersrum laufen: «Too small to survive.» Sind die Banken in Europa bald zu klein, um zu überleben? Das ist die Frage.
Ihre Antwort?
Ja, viele sie sind zu klein. Ohne eine gewisse Grösse, aber mit klarer Fokussierung gibt es in diesem Markt keine Zukunft.
Wenn das so ist, müssten Sie mit der CS Fusionsverhandlungen aufnehmen.
(Lacht) Wir sind weiter als viele unserer Konkurrenten. Als global führender Vermögensverwalter haben wir sowohl Grösse als auch Fokus. Zur Credit Suisse: Sie werden verstehen, dass ich das schon aus Prinzip nicht kommentiere.
Würden die Pioniere, welche die UBS vor über 150 Jahren aufgebaut haben, eine solche Bank heute noch in der Schweiz gründen?
Das ist eine Fangfrage ...
Sie fürchten die Schlagzeile, die UBS wolle den Sitz verlegen. Aber die Frage ist ernsthaft.
Es gäbe gute Gründe, die UBS auch heute in der Schweiz zu gründen, aber die Unternehmer müssten mit Widerstand rechnen. Das politische und vor allem das regulatorische Umfeld ist so, dass man Unternehmergeist und Wagnis erst mal kritisch sieht: Die Risiken, nicht der Nutzen stehen im Vordergrund. Es gibt in der Schweiz aus meiner Sicht zu viele Bedenkenträger. Und sie haben zu viel zu sagen.
Wagt man nichts mehr, weil es uns so gut geht?
Wir schauen in unsere Nachbarländer und sehen: Uns geht es blendend. Das stimmt ja auch. Doch es ist trügerisch, denn anderswo auf der Welt – speziell in Asien – herrschen Aufbruch und Pioniergeist. Israel ist uns, beispielsweise, weit voraus, was neue Technologien betrifft. Wir können nicht einfach verwalten, was wir haben, und nur über positive Statistiken reden. Stillstand bedeutet Rückschritt.
Verliert die Schweiz an Terrain?
Das ist nicht die Meinung von Sergio Ermotti, das zeigen verschiedene Studien zu Standortattraktivität, Firmengründungen und Ansiedlungen. Laut WEF-Ranking zur Wettbewerbsfähigkeit ist die Schweiz erstmals seit 9 Jahren von der Spitze verdrängt worden und auf Platz 4 gefallen. Im Weltbank- Index «Ease of Doing Business» hat die Schweiz seit 2005 25 Ränge eingebüsst und ist auf Rang 38. Die Neuansiedlung von Firmen hat sich seit 2008 fast halbiert. Wo es in der Schweiz in schnellem Tempo vorwärtsgeht, ist einzig beim Staat: Er wächst und wächst. Ein Alarmsignal.
Muss der Staat schlanker werden?
Ja. Das Wachstum der Verwaltung, die immer neuen Stellen im öffentlichen Sektor sind ein Thema. Denn die Politik und die Verwaltung werden zunehmend voneinander abhängig – entsprechend fallen die Entscheide aus, die uns alle betreffen. Die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen nicht in der Bürokratie, sondern in der freien Wirtschaft.
Ihnen geht es doch vor allem um eines: Um die scharfe Bankenregulierung im Zuge der Finanzkrise.
Da irren Sie sich. Was den Finanzbereich betrifft, bin ich nicht für weniger Regulierung. Die Verschärfungen hatten ihre Gründe und sind grösstenteils richtig. Aber für unsere Kunden ist die Regulierung in vielen Bereichen ein Problem. Mich stört aber auch noch etwas anderes.
Nämlich?
Dass wir in der Schweiz nicht den Mut haben unser Land zukunftsfähig zu machen. Eben: Den Staat zu verschlanken und die grossen Probleme anzupacken – etwa die Altersvorsorge. Wobei ich sehe, wie schwierig es heute die Politiker in einer direkten Demokratie haben.
Vor vier Jahren forderten Sie in einem Zeitungsartikel liberale Reformen. Seit fast vier Jahren haben FDP und SVP die Mehrheit im Nationalrat und auch im Bundesrat. Was ist seither gegangen?
Leider sehr wenig. Ich sehe auch nicht, dass die bürgerlichen Kräfte in unserem Land in ausreichendem Umfang gemeinsam liberale Reformen anpacken und die Wirtschaft entlasten. Oft gibt es unheilige Allianzen, oder dann heisst es: einer gegen alle anderen. Viele Dossiers sind blockiert.
Nicht alle. Die AHV-Reform und die Unternehmenssteuerreform wurden aufgegleist, verknüpft zu einem grossen Paket.
Die Reform unseres Steuersystems ist absolut zentral für unser Land. Und wenn die Steuervorlage eine Mehrheit findet, ist das gut. Persönlich finde ich aber die Verknüpfung bedenklich. Die AHV und die Unternehmenssteuern haben nichts miteinander zu tun. Es ist ein negatives Beispiel dafür, wie Politik zu oft funktioniert: Es geht einzig darum, dass etwas «durchkommt». In diesem Fall bleibt die Altersvorsorge auf der Strecke, denn es handelt sich bei dem AHV-Teil des Pakets nicht wirklich um eine echte Reform. Die Probleme werden in keiner Weise gelöst.
Braucht es ein höheres Rentenalter?
Es braucht eine Kombination von Massnahmen, um die Altersvorsorge zu sichern. Die UBS hat dazu faktenbasierte, nicht ideologische Studien gemacht. Natürlich müssen wir länger arbeiten, wenn wir immer länger leben. Alles andere zu behaupten, wäre unehrlich. Aber man kann das Rentenalter nicht für alle Altersgruppen im gleichen Masse erhöhen. Ein Vorschlag wäre: Alle, die heute 35 oder jünger sind, sollten sich darauf einstellen bis 70 oder 72 zu arbeiten. Für heute 50- oder 55-Jährige wäre das natürlich anders. Für die junge Generation ist der Fall relativ klar, denn demografisch gesehen, wird sie ja auch sehr viel älter werden.
Und abgesehen vom Rentenalter?
Man müsste darüber reden, wer wie viel AHV erhält. Leute wie ich sind nicht auf die AHV angewiesen. Umgekehrt gibt es Leute, die eine höhere Mindestrente nötig hätten. Warum ist das kein Thema? Ein weiterer Punkt: Wir sollten aufhören damit, dass Arbeitnehmer, die noch im Rentenalter arbeiten möchten, teurer sind, wegen der höheren Zuwendungen an die Pensionskasse. Das setzt die falschen Anreize. Zwischen Jung und Alt sollten diesbezüglich keine Unterschiede bestehen.
Warum ist Ihnen die Frage der Altersvorsorge so wichtig?
Ich glaube, der nächste grosse Konflikt wird nicht mehr die Umverteilung zwischen Arm und Reich sein. Sondern der Konflikt zwischen den Generationen. Darum müssen wir jetzt die Weichen stellen, damit es die Gesellschaft nicht spaltet.
Zum zweiten Gross-Thema der Schweizer Politik: Brauchen wir ein Rahmenabkommen mit der EU?
Ja, aber nicht um jeden Preis – es muss innenpolitisch mehrheitsfähig sein. Für den Finanzplatz wäre ein Rahmenabkommen gut, das möglich macht, Dienstleistungen aus der Schweiz heraus in Europa anzubieten. Das würde hier viele Stellen retten, die sonst verlagert werden. Entscheidend ist aber nicht der Finanzplatz, sondern das Wohl des gesamten Landes. Geordnete Verhältnisse mit unserem wichtigsten Handelspartner, der EU, sind zentral. Ich begreife nicht, warum man auf Nebenschauplätzen derartige Kämpfe aufführt.
Meinen Sie die Gewerkschaften?
Der Streit um die 8-Tage-Regel bei den flankierenden Massnahmen ist aus meiner Sicht übertrieben. Ob 8 oder 4 Tage: An dieses Detail kann man nicht das Schicksal unserer Beziehungen zur EU knüpfen und zu diesem Thema müssen wir eine Lösung finden. Das jetzige Rahmenabkommen scheint aber auch insgesamt nicht mehrheitsfähig zu sein. Es ist aber eine Basis, auf der man nachbessern kann. Ein gutes Rahmenabkommen nützt ja auch der EU.
Switzerland first?
Klar. Jede Regierung muss zuerst an ihr eigenes Land denken. Daran ist nichts Schlechtes.
Ist die Schweiz in der Geldpolitik noch unabhängig?
Die aktuelle Geldpolitik mit den Negativzinsen hat dazu geführt, dass der Schweizer Franken de facto am Euro hängt. Das ist ein Problem, denn die Nationalbank ist nur noch beschränkt handlungsfähig, und ihre Bilanz ist in wirklich bedenkliche Höhen gewachsen. Die Nationalbank muss zu einer Normalisierung der Geldpolitik zurückfinden, ohne dass es beim Franken einen Schock gibt. Angstmacherei ist auch hier fehl am Platz. Langfristig ist die Schweiz mit einem starken Franken gut gefahren.
Sie haben diese Woche Gerüchte dementiert, dass Sie Ihren Abgang als UBS-Chef vorbereiten. Sie sind 58 – wann wollen Sie dereinst in Pension gehen?
In Pension gehe ich wahrscheinlich nie. Ich rede lieber von Phasen. Für die nähere Zukunft bleibe ich CEO, und danach kommt das Nächste.
Sie lieben Sport. Dürfen Sie eigentlich Ski fahren oder halten Sie es mit Roger Federer: zu gefährlich?
Klar darf ich. Roger Federer ist vor allem von seinem Körper abhängig. Ich mehr von meinem Kopf.