Nicola Forster polarisierte als Mitgründer der Operation Libero, die für eine moderne Schweiz kämpft. Nun ist Forster ausgerechnet für das legendäre und geschichtsträchtige Rütli verantwortlich. Sein Ziel: Den Zusammenhalt fördern.
Er lacht laut. Nicola Forster weiss es: Eine gewöhnliche Personalie, das ist er nicht.
Es geht jetzt nicht um den Auftritt. Nicht um die Fliege, die er trägt. Nicht um die Locken, an denen man ihn auf der Strasse erkannte.
Nein. Nicola Forster fällt auch auf, weil er der neue «Mister Rütli» ist. Der Zürcher präsidiert seit Dezember die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG). Seit 1860 verwaltet sie die Rütliwiese; organisiert dort die bekannteste 1.-Augustfeier des Landes. Er, ein 36-Jähriger, steht einer Organisation vor, die in 200 Jahren eine helvetische Institution wurde: Sie gründete etwa die Pro Senectute oder die Berghilfe. Sie stiess die Erfindung des Maggi-Würfels an, damit Arbeiter rasch eine nahrhafte Mahlzeit haben.
Und da gab es eben noch nie eine solche Personalie. Verdiente Magistraten standen sonst nach ihrem Karriereende an der Spitze der Gesellschaft. Eine angesehene Nationalrätin, eine ehemalige Bundeskanzlerin. Aber nicht ein junger Mann ohne politisches Amt. Wie kam es, dass Forster in dieser Liga spielen kann?
Die Karriere ist aussergewöhnlich. Quasi aus dem Nichts trat er 2009 auf die Politbühne – und wurde zum Shootingstar. Urban, hip, kommunikativ. Ein guter Verkäufer, ein Netzwerker in Verwaltung, Wissenschaft, Politik; ein Tausendsassa. Er war Mitgründer der Operation Libero, die die SVP-Masseneinwanderungsinitiative bekämpfte und Tausende junge Leute zum Politengagement motivierte.
Der Aufstieg geschah in zehn Jahren. 26 war er, hatte Recht studiert und hätte ein gut bezahltes Anwaltspraktikum machen können. Doch er verzichtete auf die gut bezahlte Karriere, nahm bei seinen Eltern ein Darlehen auf und gründete den aussenpolitischen Think Tank Foraus. Plötzlich machten viele Junge mit, die aussenpolitisches Fachwissen von der Uni mitbrachten. Plötzlich konnten sie mitreden, trafen auf Diplomaten, Bundesräte. «Das gab uns Selbstbewusstsein», sagt Forster. Verschmitzt lächelt er. Ein wenig vermessen sei es ja schon gewesen, einfach so hinzustehen und mitzureden. Später ging es bei der Operation Libero ähnlich: Sie reaktivierte den Begriff Zivilgesellschaft und sprach gleich in deren Namen.
Zürich, das Café beim Landesmuseum. Der Fast-Zwei-Meter-Mann trägt Fliege. Es scheint ihm eine diebische Freude zu bereiten, dass man in der Schweiz so rasch mitreden kann. «Eine inspirierende Idee und fünf gute Leute reichen, um sich eine Stimme zu verschaffen und mitzugestalten.» Zuletzt gründete er das Staatslabor mit, ein Beratungsunternehmen für Innovationssprünge in Behörden. Es nistet sich gerade in der Verwaltung ein. Die Pandemie zeigte zu viele Lücken in der Digitalisierung. Wieder hat Forster den Zeitgeist getroffen.
Böse Zungen sagen, er sei auch ein Politunternehmer in eigener Sache. Nein, sagt er. Er habe keinen Weg gewählt, der Geld und Sicherheit verspreche. «Ich kann dafür jeden Tag machen, wofür ich brenne.» Das Staatslabor präsidiert er ehrenamtlich. Lohn erhielt er jeweils sehr wenig. Nach ein paar Jahren zieht er weiter, reisst wieder neues an, das später ohne ihn Bestand haben soll. Ein Projektarbeiter ist er.
Die Bilanz? Er fand neue Kanäle, in denen sich junge Leute politisch engagieren. Ein Wandel des Milizsystems? «Heute gehen immer weniger Leute jeden Dienstagabend in den Turnverein. Aber sie wollen sich vielleicht ein halbes Jahr für ein soziales Projekt oder eine politische Idee engagieren.» Parteien und Organisationen müssten sich dem anpassen. Eine Absage an die traditionelle Politik? Nein. «Politische Verantwortung zu übernehmen, geht nur über die Parteien», sagt er, der heute Co-Präsident der Zürcher GLP ist. Doch sei in vielen Parteien die traditionelle Ochsentour immer noch der einzige Weg. «Viele wollen sich heute aber für ihre Weltanschauung einsetzen und ihre Fähigkeiten einbringen, ohne ein politisches Amt anzustreben. Es braucht deshalb zusätzliche Möglichkeiten, wie diese Menschen ihre PS auf den Boden bringen können.» Sei es, dass man eine Homepage gestalte, gemeinsam auf die Strasse gehe oder einen Newsletter mitschreibe.
Etwas hektisch waren die letzten Tage. Die 1.-Augustfeier auf dem Rütli steht an: Zelte mussten organisiert werden, weil es jetzt regnet. Wäre noch Hochwasser, könnten die Schiffe nicht fahren. Gleich zwei Bundesrätinnen werden aufs Rütli kommen, um dort 50 Jahre Frauenstimmrecht zu feiern; im nächsten Jahr werden die Schwinger dort sein.
Forster, der weiss, wie wichtig Erzählungen in der Politik sind, sieht das Rütli als nationales Symbol – gerade für den Austausch und Ausgleich. Man gab im Bundesstaat einer Wiese Bedeutung, die im Gebiet derer lag, die im Sonderbundskrieg verloren hatten. Und als die SGG die Wiese 1859 kaufte, um ein Hotel zu verhindern, und sie dann der Eidgenossenschaft schenkte, «da kam aus den Städten viel Geld». Und damit hat er schon den Anschluss in die Gegenwart: Der Stadt-Land-Graben macht ihm Sorgen, ebenso der Impfgraben. Die Gräben will die SGG zuschütten. Die Leute sollen wieder mehr miteinander reden und anständig streiten. Bald will die SGG eine Plattform für den Austausch anbieten. Forster hat da schon einen Plan. Und ein neues Projekt.