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Schweiz
Sie sind gekommen, um zu bleiben: Aus der Schweiz eingewanderte Biber werden zum Politikum in Baden-Württemberg. Die Geschichte einer erfolgreichen Migration.
In diesen Zeiten ist es besonders trostlos, die ganz alten Kamellen aufzuwärmen. Jetzt, in der Coronakrise, wo offene Grenzen nicht mehr selbstverständlich sind. Es war vor eineinhalb Jahrzehnten, als Deutsche in der Schweiz eher kühl empfangen worden sind. Infolge der Personenfreizügigkeit kamen sie zahlreich: tüchtige, zackige und gut ausgebildete Zuwanderer. «Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?», fragte der «Blick» 2007 gar.
Das ist wirklich weit weg. Ganz alte Kamellen eben. Nun jedoch sind Begriffe wie «Migrationsstrom» wieder zu hören, wenn es um die deutsch-schweizerischen Beziehungen geht. Und erneut gibt es Interventionen auf politischer Ebene. Endlich wieder Streit um die Zuwanderung also!
Nur spielt diesmal alles unter umgekehrten Vorzeichen: Leidtragende sind die Deutschen. Die Einwanderer kümmern sich nicht um Papierkram, geschweige denn um Coronaquarantänelisten. Schliesslich haben sie ein dickes Fell: Die Biber, die aus der Schweiz nach Baden-Württemberg eingewandert sind.
Auch hier, im 11-Millionen-Bundesland an der Grenze, wurden die Tiere im vorletzten Jahrhundert ausgerottet. Unterdessen aber lassen sich immer mehr von ihnen wieder nieder.
Worauf die Besiedelung Baden-Württembergs durch den Biber zurückzuführen ist, daran gibt es keine Zweifel: zum einen auf bayerische, zum anderen auf schweizerische Migranten. Der Ursprung allen Übels liegt im kleinen Nachbarland, wie deutsche Biologen geradezu akribisch nachgezeichnet haben. Ab 1956 wurden in der Schweiz wieder Biber ausgewildert. Bayern als zweite Pionierregion begann damit erst zehn Jahre später.
Nach und nach bissen sich die Schweizer Biber nach Deutschland durch. Aus dem Einzugsgebiet des Hochrheins besiedelten sie Baden-Württemberg. Die ersten Exemplare sollen in den 1970er-Jahren eingewandert sein; vereinzelt und ohne grosses Aufsehen.
Die grosse Einwanderungswelle folgte erst noch. In den beiden vergangenen Jahrzehnten bauten sich die Biber eine dauerhafte Präsenz auf. Der regionale Landesnaturschutzverband geht davon aus, dass Baden-
Württemberg durch die «Wanderungszugewinne» und die «erfolgreiche Reproduktion» wieder flächendeckend zum Biberland wird.
Für die Artenvielfalt ist das alles recht erfreulich. Doch weil die Biber immer mehr werden und auch Schäden anrichten, fordern Betroffene ein beherztes Eingreifen der Behörden. Im Frühjahr hat der baden-württembergische Umweltminister Peter Hauk tatsächlich angekündigt, ein härteres Vorgehen gegen die Biber zu prüfen. Geht es den Schweizer Migrantenbibern also bald ans Fell?
Ein FDP-Abgeordneter im Landesparlament beklagte sich überdies jüngst in einem Vorstoss darüber, dass der Staat bei Biberschäden keine Hilfe leistet. Das Umweltministerium wiegelte jedoch ab. Im schönsten Beamtenslang erklärte es, warum der Staat eine Haftung ablehnt. Baden-Württemberg habe sich im Gegensatz zu anderen Regionen «nicht mit der aktiven Ansiedlung des Bibers nach dem Verursacherprinzip selbst in die Verantwortung gebracht», hiess es.
Die Tiere seien nun mal aus fremden Hoheitsgebiet zugewandert. Um sich dann «auf natürlichem Weg» auszubreiten.