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Die Schweiz will Usbekistan mutmassliche Korruptionsgelder in der Höhe von 132 Millionen Franken zurückgeben – ein in verschiedener Hinsicht problematisches Unterfangen.
Die Schweiz will kein Hafen für illegale Gelder ausländischer Machthaber sein. Weil trotz Weissgeldstrategie und anderen Sorgfaltspflichten immer wieder dubiose Vermögenswerte auf dem hiesigen Finanzplatz landen, entwickeln die Behörden seit über drei Jahrzehnten Strategien, wie solche Gelder an die Herkunftsländer zurückerstattet werden können.
Vereinfacht gesagt geht das so: Verdächtige Konten werden vorsorglich gesperrt; die Schweiz leistet dem Herkunftsland Rechtshilfe und übermittelt Beweismittel (vor allem Bankdokumente); in einem gerichtlichen Verfahren wird die illegale Herkunft der Gelder festgestellt; aufgrund eines rechtskräftigen Einziehungsentscheids werden die Vermögen zurückerstattet.
In der Praxis ist alles komplizierter. Auch weil die Schweiz ein Interesse hat, dass die restituierten Gelder nicht erneut in korrupten Kanälen oder den Taschen neuer Machthaber verschwinden, sondern der durch die Korruption geprellten Bevölkerung zugutekommen. Zudem sind die einzelnen Fälle zu verschieden, als dass sich simple Standardverfahren anwenden liessen. Paradebeispiel ist der Fall der Usbekin Gulnara Karimowa, der diese Woche mit der Einziehung von 132 Millionen Franken durch die Bundesanwaltschaft (BA) in eine neue Phase trat.
Die heute 46-jährige Tochter des 2016 verstorbenen usbekischen Präsidenten Islam Karimow galt lange als designierte Nachfolgerin ihres Vaters. Anfang 2014 jedoch verschwand die «Prinzessin» nach einem heftigen Familienkrach von der Bildfläche. Ein glaubwürdiges Lebenszeichen gab es erst Anfang 2017 wieder, als der Schweizer Pflichtverteidiger über einen Besuch bei seiner unter Hausarrest stehenden Klientin in Taschkent berichtete.
Im Unterschied zu anderen Fällen, wie jenen der Diktatoren Ferdinand Marcos (Philippinen), Sani Abacha (Nigeria) oder Hosni Mubarak und Ben Ali nach dem Arabischen Frühling, war hier also nicht ein Wechsel des Regimes Auslöser für die Suche nach kriminellen Geldern gewesen. Stattdessen ging es um einen Streit innerhalb der Familie des usbekischen Autokraten und seiner Entourage.
Dazu gehört auch der amtierende Präsident Shavkat Mirziyoyev, der bis zum Tod Karimows Ministerpräsident gewesen war. Mithin stellen sich besonders heikle Fragen, wenn es um die Verwendung rückerstatteter Gelder geht. Usbekistan gehört nach wie vor zu den korruptesten Ländern der Welt und figuriert auf dem einschlägigen Index von Transparency International auf Rang 158 der 180 Länder umfassenden Liste.
Die Strafjustiz hatte sich im Sommer 2012 eingeschaltet. Als usbekische Staatsangehörige versuchten, eine dreistellige Millionensumme bei der Genfer Privatbank Lombard Odier abzuheben, meldete das Institut bei den Bundesbehörden Geldwäschereiverdacht. Die Bundesanwaltschaft eröffnete im Juli 2012 ein Strafverfahren wegen Geldwäscherei und Urkundenfälschung und liess Vermögenswerte sperren, die sich heute auf über 800 Millionen Franken belaufen.
Die Ermittlungen wurden auf vier weitere Personen ausgedehnt, im September 2013 auch auf Karimowa selbst, die zuvor als Genfer UNO-Botschafterin ihres Landes noch diplomatische Immunität genossen hatte. Es ging um den Verdacht, dass die schillernde Präsidententochter und Diplomatin einer straff organisierten Bande vorstand. Dieses sogenannte Office soll über bis zu 100 Firmen, meist in Offshore-Zentren, Korruptionsgelder gewaschen und versteckt haben.
Die drei Telekomkonzerne MTS (Russland), Vimpelcom (Russland) und Telia (Schweden) sollen für den Zutritt zum usbekischen Mobilfunkmarkt Schmiergelder in der Höhe von 865 Millionen Dollar bezahlt haben, wie einer Anklage des US-Justizministeriums gegen Karimowa vom März dieses Jahres zu entnehmen ist. In Vergleichen mit den Behörden der USA, der Niederlande und Schwedens haben die drei Konzerne inzwischen Bussen von 2,6 Milliarden Dollar bezahlt.
Da das Schweizer Strafverfahren nur mühsam vorankam, holte die Bundesanwaltschaft im Frühling 2018 zum Befreiungsschlag aus. Sie erliess am 22. Mai überraschend Strafbefehle gegen den früheren Ehemann Karimowas und gegen deren engste Mitarbeiterin und verfügte die Einziehung von rund 700 Millionen Franken.
Die beiden sitzen in Usbekistan Freiheitsstrafen von 14 beziehungsweise 13 Jahren wegen Wirtschaftsdelikten ab. Sie waren im Dezember 2016 von der BA in der usbekischen Hauptstadt Taschkent einvernommen worden und stellten ein halbes Jahr später ein schriftliches Gesuch um Durchführung eines abgekürzten Verfahrens in der Schweiz.
Durch die Strafbefehle, die unserer Zeitung vorliegen, wurde überdies bekannt, dass der Bundesrat bereits am 9 Mai letzten Jahres beschlossen hatte, rechtskräftig eingezogene Gelder vollumfänglich an Usbekistan zurückzuerstatten.
Da es sich um einen laufenden Fall handle, habe man keine Medienmitteilung über den Vorentscheid veröffentlicht, liess das Justiz- und Polizeidepartement auf Anfrage verlauten. Auch in der Fragestunde des Nationalrats vom 30. Mai verschwieg der Bundesrat die neue Entwicklung und wich der Frage von Carlo Sommaruga (SP/GE) nach den Modalitäten für eine mögliche Rückerstattung aus.
Karimowas Verteidiger wehrte sich gegen dieses Schnellverfahren und machte ein grosses Fragezeichen hinter die in Haft abgegebenen Geständnisse der beiden Beschuldigten. «Ein Geständnis entbindet die Bundesanwaltschaft nicht von der Pflicht, den Sachverhalt zu klären», betonte der Genfer Rechtsanwalt Grégoire Mangeat.
Er verwies auf Aussagen, wonach die usbekischen Behörden im Gegenzug zu den Geständnissen Hafterleichterungen versprochen hätten. Der zeitliche Ablauf von Bundesratsbeschluss und Strafbefehlen erwecke ausserdem den Eindruck, dass die Politik Regie führe.
Rekurse Karimowas gegen die beiden Strafbefehle wies das Bundesstrafgericht im vergangenen Januar mangels Beschwerdelegitimation der Usbekin ab. Im April war Karimowa hingegen mit einem Ausstandsgesuch gegen den Verfahrensleiter der BA, Staatsanwalt Patrick Lamon, erfolgreich.
Das Bundesstrafgericht kam zum Schluss, Lamons Teilnahme an einem informellen Treffen einer sechsköpfigen Delegation der Bundesanwaltschaft mit Vertretern der usbekischen Staatsanwaltschaft im September 2018 in Usbekistan erwecke den Anschein der Befangenheit. Die Delegation war von Bundesanwalt Michael Lauber geleitet worden. In seinem Fall lehnte das Bundesstrafgericht das Ausstandsgesuch ab.
Die Bundesanwaltschaft setzte inzwischen Staatsanwalt Luc Leimgruber als neuen Verfahrensleiter ein. Er soll die Einziehung im Falle des Ex-Mannes von Karimowa nun umsetzen. Es geht um 131,4 Millionen Dollar und um gut 35 000 Euro, die auf Konten von Lombard Odier in Genf und der Credit Suisse in Zürich gesperrt sind. Müsste das Strafbefehlverfahren nicht wiederholt werden, weil es von einem möglicherweise befangenen Staatsanwalt geführt worden war?
Artikel 60 der Strafprozessordnung hält unter anderem fest: «Amtshandlungen, an denen eine zum Ausstand verpflichtete Person mitgewirkt hat, sind aufzuheben und zu wiederholen, sofern dies eine Partei innert fünf Tagen verlangt, nachdem sie vom Entscheid über den Ausstand Kenntnis erhalten hat.»
Offensichtlich wurde ein solches Gesuch nicht gestellt. Vielmehr hat Karimowa eine weitere Einsprache im Fall des Strafbefehls gegen ihren Ex-Ehemann zurückgezogen. Sie wolle damit den usbekischen Behörden einen Schritt entgegenkommen und diese zu einer Aufhebung der willkürlichen Haft bewegen, sagte ihr Anwalt auf Anfrage. Gegen den zweiten Strafbefehl, mit dem 555 Millionen Franken der engsten Mitarbeiterin Karimowas eingezogen werden sollen, ist weiterhin eine Einsprache am Bundesstrafgericht hängig, wie die BA auf Anfrage bestätigte.
Zur Frage, ob auch diese Einsprache unter gewissen Bedingungen zurückgezogen werden könnte, äusserte sich der Verteidiger nicht. Andeutungen in diese Richtung machte laut usbekischen Medienberichten die Tochter Karimowas.
Die Rückerstattung der rechtskräftig eingezogenen 132 Millionen Franken soll gemäss dem Bundesratsbeschluss vom Mai 2018 auf der Grundlage des Bundesgesetzes über die Teilung eingezogener Vermögenswerte erfolgen. Das ist juristisches Neuland in einem Fall von Potentatengeldern. Weil die Gelder mutmasslich aus Korruptionshandlungen zum Nachteil des usbekischen Staats stammen, sollen sie nicht geteilt, sondern integral zurückerstattet werden.
Das setzt voraus, dass die betroffenen Kantone Zürich und Genf mit dieser Lösung einverstanden sind. Nach Auskunft von Folco Galli, Sprecher des Bundesamts für Justiz, fehlt zurzeit noch die Zustimmung des Kantons Genf. Liegt auch Genfs Einverständnis vor, könnte das EJPD mit Usbekistan einen Sharing-Vertrag aushandeln.
Danach soll das Aussendepartement EDA in einem separaten Vertrag mit Usbekistan sicherstellen, dass die Gelder transparent zurückgeführt werden und der Bevölkerung beziehungsweise der Entwicklung des Landes zugutekommen. Nach Auskunft des EDA sind diese Verhandlungen noch nicht angelaufen.