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Beim Prozess gegen eine Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft in Sri Lanka gerät eine «New York Times»-Journalistin ins Visier der Justiz.
Die Affäre beginnt mit unbekannten Männern, die aus einem weissen Lieferwagen heraus eine Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft entführen - und führt sechs Monate später zu Repressalien gegen eine Journalistin der berühmtesten Zeitung der Welt.
Rückblende: Am 25. November 2019 flieht Nishanta Silva, hochrangiger Ermittler beim sri-lankischen Criminal Investigations Departement (CID), laut Medienberichten per Flugzeug nach Genf und beantragt in der Schweiz Asyl.
Der als integrer und kompetenter Ermittler geltende Polizist fürchtet Repressalien des neun Tage zuvor gewählten neuen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa und dessen Bruder, Premierminister Mahinda Rajapaksa. Mahinda war von 2005 bis 2015 Präsident, Gotabaya damals der starke Mann im Verteidigungsministerium. Inspektor Silva hatte Ermittlungen wegen Korruption und schweren Menschenrechtsverletzungen während Mahinda Rajapaksas Amtszeit geleitet. Befragte Zeugen belasten die Mitglieder des Rajapaksa-Clans dabei schwer.
Am 26. November wird G.B.F.*, Angestellte der Schweizer Botschaft in Colombo, gemäss eigenen Aussagen von Unbekannten in einen Lieferwagen gezerrt und während zwei Stunden festgehalten. Die Entführer sollen von der Frau Informationen über die Ausreise von Inspektor Silva und dessen Asylgesuch verlangt haben.
Der Vorfall sorgt in der Schweiz für Unmut: Der Botschafter in Colombo überreicht Sri Lankas Behörden eine Protestnote, das Aussendepartement EDA zitiert den sri-lankischen Botschafter nach Bern ein und spricht von einem «sehr gravierenden und nicht akzeptablen Angriff». Es verlangt eine lückenlose Aufklärung der Hintergründe der Tat.
Doch schon bald das vermeintlichen Opfer zur Beschuldigten: Sri Lankas Aussenminister zweifelt in einer offiziellen Mitteilung die Äusserungen der Botschaftsmitarbeiterin an. Überwachungskameras und Handydaten lieferten keinen Hinweis auf eine Entführung. Regierungstreue Medien wittern eine «Swiss Conspiracy»gegen die Rajapaksas.
Am 16. Dezember 2019 wird G.B.F. wegen des Vorwurfs, falsches Beweismaterial produziert zu haben, in U-Haft genommen. Am 30. Dezember kommt sie auf Kaution frei, wird aber mit einem Ausreiseverbot belegt. Vor dem «Chief Magistrate Court» in Colombo beginnt ein Prozess gegen sie, der bis heute andauert.
Im Rahmen dieses Verfahrens sind nun regierungskritische Medienvertreter ins Visier der Justiz geraten. Vorletzte Woche sind Ermittler mit dem Segen des Gerichts in die Wohnung der Journalistin Dharisha Bastians eingedrungen und haben einen Laptop beschlagnahmt. Bastians leitete unter der Vorgängerregierung die staatliche Zeitung «Sunday Observer» und schreibt regelmässig für die «New York Times». Unter anderem berichtete sie über Korruption und Menschenrechtsverletzungen unter der ersten Rajapaksa-Regierung (2005-2015).
Das Vorgehen gegen Bastians geschieht gestützt auf das Verfahren gegen die Schweizer Botschaftsmitarbeiterin: Im Januar verschafften sich Ermittler mit Erlaubnis des Gerichts Zugang zu den Handydaten der Frau. Diese sollen angeblich belegen, dass G.B.F. in den Tagen vor ihrer Entführung mit Bastians in Kontakt stand.
Am Dienstag forderten Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und weitere NGOs in einem offenen Brief ein sofortiges Ende der Ermittlungen gegen Dharisha Bastians. Diese seien «ein Angriff auf die Menschenrechte und die Pressefreiheit in Sri Lanka». Laut Bastians hätten die Ermittler im Laufe der Untersuchungen bereits zweimal ohne gerichtliche Bewilligung versucht, ihren Computer zu konfiszieren. Ausserdem seien ihre Handydaten ohne Gerichtsbeschluss beschlagnahmt worden. Sie fürchte um die Sicherheit ihrer Quellen und glaubt, die Strafverfolgungsbehörden könnten das beschlagnahmte Material manipulieren, um eine Anklage gegen sie zu konstruieren.
Nebst Journalistin Bastians soll die angeklagte Botschaftsmitarbeiterin laut Ermittlungsbehörden auch mit mehreren anderen regierungskritischen Personen in Kontakt gestanden haben: Mit dem in die Schweiz geflohene Inspektor Silva, dessen damaligen Vorgesetzten und dem unter der Vorgängerregierung berufenen Chef der staatlichen Zeitungsholding Lake House.
Auf Anfrage teilt das EDA mit, es nehme seine Fürsorgepflicht ernst und unterstütze die Mitarbeiterin im Gerichtsverfahren, indem sie ihr Anwälte zur Verfügung stellt. Von den weiteren Entwicklungen im Prozess hat man Kenntnis: «Welche Daten von der sri-lankischen Justiz in diesem Zusammenhang beschlagnahmt wurden, ist uns nicht bekannt. »