Kostenfalle
Roaming-Falle: Ausländische Antennen senden über 20 Kilometer weit in die Schweiz

Ausländische Funkmasten senden teils über 20 Kilometer ins Landesinnere der Schweiz – eine Kostenfalle. Der Grund: In den Nachbarländern sind die Strahlengrenzwerte viel weniger streng.

Sven Altermatt,
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Ausländische Handystrahlen stören Schweizer Nutzer.

Ausländische Handystrahlen stören Schweizer Nutzer.

Martial Trezzini/Keystone

Eine Biketour auf der zweiten Jurakette im Mittelland kann zu einem Ausflug nach Frankreich werden – zumindest für das Handy. Obwohl die Landesgrenze weit über 20 Kilometer entfernt ist und ein paar Talschaften dazwischen liegen. Der Bündner CVP-Nationalrat Martin Candinas staunte jedenfalls nicht schlecht, als er jüngst auf einer Biketour im Herzen des Kantons Solothurn unterwegs war. Auf der Strecke zwischen dem Balmberg und dem Weissenstein, rund 1200 Meter über Meer, blinkte plötzlich ein sonderbares SMS auf seinem Handy auf. «Willkommen in Frankreich!», stand darin. Sein Gerät hatte sich in ein ausländisches Netz eingewählt.

Wer direkt an der Landesgrenze wohnt, kennt das Problem: Mobilfunksignale machen an der Grenze nicht halt. Handys wählen sich mitunter lieber ins fremde statt ins heimische Netz ein. Denn die Strahlung ausländischer Mobilfunkantennen ist so stark, dass sie in die Schweiz hineinreicht.

Aber bis ins Mittelland? Betreiber von Bergwirtschaften in der Region und Ausflügler im Solothurnischen kennen das Problem nur zu gut. Auch eine Wanderung auf der ersten Jurakette im Naturpark Thal wird auf weiten Strecken zu einem europäischen Rendezvous. Nebst dem französischen Handynetz ist hier sogar jenes aus Deutschland besser zu empfangen. Luftlinienmässig sind es fast 25 Kilometer bis zur Grenze.

Auch anderswo im Landesinnern überschneiden sich schwächere Schweizer Netze mit Netzen aus dem Ausland, so etwa auf Erhöhungen im Baselbiet und im Thurgau. Oder in der Surselva: In seiner Heimat war Martin Candinas auf den Ski unterwegs. Auf dem Dachberg ob Vals konnte sein Handy nur italienisches Netz empfangen – trotz der noch immer beachtlichen Entfernung von 17 Kilometern ins südliche Nachbarland.

Wie ist es möglich, dass sogar weit im Landesinneren eine ausländische Antenne eine hiesige wortwörtlich überstrahlt? Candinas stellt fest: «Während wir über 5G-Antennen und Strahlengrenzwerte diskutieren, strahlen ausländische Netze weit in die Schweiz hinein.» Das Problem ist seit Jahrzehnten ungelöst. Tatsächlich haben die Anbieter anderer Länder gegenüber hiesigen einen Vorteil. Ihre Antennen dürfen viel stärker strahlen. In der Schweiz gelten bis zu zehnmal strengere Grenzwerte für Mobilfunkanlagen.

Keine Hindernisse für ausländische Strahlen

Handys buchen sich gewöhnlich automatisch in das Netz ein, dessen Signalstärke am höchsten ist. Nicht eine Landesgrenze, sondern der optimale Empfang ist das entscheidende Kriterium. Im Nachteil sind Gemeinden mit schwacher Abdeckung durch Schweizer Netze.

Das zuständige Bundesamt für Kommunikation (Bakom) verweist auf topografische Begebenheiten. «In Höhenlagen können ausländische Netze mehrere Kilometer weit in die Schweiz einstrahlen», sagt ein Sprecher. Hier stellt sich den ausländischen Strahlen schlicht kein Hindernis in den Weg. Möglich ist zudem, dass sich die Signale verschiedener Anbieter gegenseitig stören. Darauf verweist eine Sprecherin des Branchenprimus Swisscom. «Diese unbefriedigende Situation beruht primär auf den international festgelegten zulässigen Pegeln für Mobilfunk entlang der Grenzen», erklärt sie. Die Kunden spüren solche Frequenzstörungen, wenn ihr Handyempfang eingeschränkt ist oder sich ihr Gerät eben in ein fremdes Netz einwählt.

Wie viele Nutzer regelmässig von ausländischen Handystrahlen gestört werden, kann die Swisscom nicht beziffern. Man sei sich aber des Problems bewusst und «im regelmässigen Austausch mit den ausländischen Anbietern, um innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Einschränkungen für die Kunden zu minimieren», betont die Sprecherin weiter.

Eigentlich regeln Vereinbarungen zwischen den Staaten, dass sich die Netzbetreiber möglichst wenig in die Quere kommen. In der Schweiz verwaltet das Bakom die Frequenzen. Es könnte sich an die Behörden der Nachbarländer wenden – mit der Aufforderung, dass deren Netzbetreiber die Leistungen ihrer Antennen nach unten schrauben müssen. Aber zum einen ist jedes Land frei, seine Grenzwerte festzulegen. Und zum anderem lassen sich Überreichweiten aus physikalischen Gründen eben nicht vermeiden.

Neue 5G-Antennen lösen das Problem nicht

Kunden können wegen des unfreiwilligen virtuellen Grenzübertritts in eine Kostenfalle tappen. Wer nicht aufpasst, für den kann das je nach Handyabo ganz schön teuer werden. Verantwortlich dafür sind die Roaminggebühren, die ausländische Anbieter für die Weiterleitung von Gesprächen und Daten verlangen. Surfen, Texten und Telefonieren werden dann verrechnet, als befände man sich tatsächlich in einem anderen Land. Immerhin: In immer mehr Handyabos ist Roaming im europäischen Ausland inkludiert. Für die Mehrheit der Abokunden sei dies kein Thema mehr, sagt die Swisscom-Sprecherin.

Allen anderen wird empfohlen, das Netz über die Handyeinstellungen manuell auszuwählen. Das macht jedoch nur Sinn, wenn tatsächlich ein hiesiger Anbieter zur Verfügung steht – was oft nicht der Fall ist.

Die betroffenen Höhenlagen im Landesinnern sind meist eher dünn besiedelt, entsprechend schwach ist tendenziell die Netzabdeckung. Das Nachsehen haben Ausflügler. Solange die einheimischen Anbieter nicht selbst für eine Verbesserung sorgen, dürften sich die Netze weiterhin überschneiden. Um das zu kompensieren, müssten sie viel mehr Antennen aufstellen. Das lohnt sich kaum und dürfte vielerorts ohnehin auf Widerstand stossen.

Entschärft werden könnte das Problem auch mit höheren Grenzwerten für die Strahlenbelastung. Aber hier bremst die Politik. Bundesrat und Parlament haben sich mit Blick auf den umstrittenen Mobilfunkstandard 5G jüngst dagegen ausgesprochen, die Grenzwerte zu lockern. Die Antennen der neusten Generation werden somit ebenfalls aus den Nachbarländern in die Schweiz ausstrahlen. Das Bakom bestätigt: «5G wird dieses physikalische Problem nicht lösen.»