Der Bundesrat versucht, Schweizer Staatsangehörige und Lokalmitarbeiter aus Kabul zu evakuieren. Doch bis jetzt nur mit wenig Erfolg.
«So schnell hat das niemand kommen sehen», sagte Bundesrat Ignazio Cassis an der Medienkonferenz zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Der Aussenminister zeigte sich überrascht: «Wie konnte so eine Revolution in nur wenigen Stunden passieren, ohne Widerstand der Armee, der Regierung und des Volkes?» Das sei die grosse geopolitische Frage, die sich heute stelle. Noch vor einer Woche habe man von dieser Situation in Afghanistan kaum eine Ahnung gehabt, so Cassis.
Sonst hätte man sich natürlich vorbereitet. Denn die Schweiz versucht derzeit, ihre Staatsangehörigen sowie die lokalen Mitarbeiter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) per Flugzeug ausser Landes zu bringen – allerdings nur mit wenig Erfolg. Zwar sind drei Schweizer Mitarbeitende, die Kabul am letzten Sonntag verlassen konnten, mittlerweile in der Schweiz angekommen. Sie wurden in einer US-Militärmaschine von Kabul nach Doha in Katar geflogen und von dort mit einer Linienmaschine in die Schweiz evakuiert.
Eigentlich wollte das Aussendepartement am Dienstag ein Flugzeug nach Afghanistan schicken, erhielt jedoch plötzlich keine Landeerlaubnis. So sitzen seit Dienstag mehrere Auszufliegende in Afghanistan fest und warten auf eine Möglichkeit, in die Schweiz einzureisen. «Die Lage kann sich innert Stunden ändern», erklärte Bundesrat Cassis. Im Moment können nur wenige Militärflugzeuge in Kabul landen, und dies jeweils nur kurz. Deshalb ist es auch organisatorisch aufwendig, die Auszureisenden zum richtigen Zeitpunkt gemeinsam an den Flughafen zu bringen, zumal der Zugang zum Flughafen vielerorts gesperrt ist und nicht alle durch die Kontrollposten passieren können. Dies sagte der Krisenmanager des Bundes Hans-Peter Lenz.
Daher werde mit Hochdruck nach Ausreisemöglichkeiten gesucht. Vor allem afghanische Mitarbeitende von westlichen Staaten und Organisationen seien nach der Machtübernahme durch die Taliban aufgrund ihrer Kooperation gefährdet, sagte der Bundesrat. «Die Schweiz hat als Arbeitgeberin eine Fürsorgepflicht für lokale Mitarbeitende in Afghanistan und hat daher entschieden, die Betroffenen und ihre engsten Familienmitglieder in die Schweiz aufzunehmen», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter.
Umstritten ist: Die Aufnahme der rund 280 Personen werden dem Resettlement-Kontingent von 800 Personen angerechnet. Das sei die einfachste und am wenigsten bürokratische Lösung gewesen, sagte Keller-Sutter. Damit werde auf die Durchführung eines ordentlichen Asylverfahrens verzichtet und die Personen erhalten nach ihrer Ankunft und Registrierung in der Schweiz Asyl.
Dass damit die Quote von Aufzunehmenden gesenkt wird, indem sozusagen eigenes Personal unter die Kontingente fällt, ist für das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR aus Dringlichkeitsgründen nachvollziehbar. Es erhebt vor diesem spezifischen Hintergrund keine Einwände, zumal die Lage in Afghanistan sehr volatil bleibe, sagt Mediensprecher Walter Brill. Doch es bestehe weltweit generell ein Mangel an Resettlement-Kontingenten: «UNHCR würde es begrüssen, wenn die Resettlement-Staaten, einschliesslich der Schweiz, eine weitere Erhöhung bestehender Kontingente in Betracht ziehen würden.»
Allerdings wurde das Kontingent von 800 Geflüchteten im laufenden Jahr aufgrund der Pandemie nicht ausgeschöpft, argumentierte der Bundesrat. Deshalb appelliert die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) an die Regierung, vom Resettlement-Umsetzungskonzept Gebrauch zu machen. Eliane Engeler von der SFH sagt: «Es gibt auch in anderen Krisengebieten verletzliche Personen, die auf Resettlement angewiesen sind. Die Hilfe in der aktuellen Notlage sollte nicht zu Lasten dieser Personen erfolgen.»