Konfliktpotenzial
Reformierte ringen mit der «Ehe für alle»

Der Evangelische Kirchenbund sieht in der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare grosses Konfliktpotenzial. Die Reformierten zögern deshalb mit einem Positionsbezug.

Tobias Bär
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Die reformierte Kirche tut sich derzeit schwer mit der Ehe für alle.

Die reformierte Kirche tut sich derzeit schwer mit der Ehe für alle.

KEYSTONE

Mit einem Demonstrationszug feierte die Zurich Pride am Samstag ihren 25. Geburtstag. Die nicht heterosexuellen Menschen seien noch immer nicht überall gleichgestellt – so lautete eine zentrale Botschaft. Im Bereich der Ehe könnte diese Gleichstellung aber schon bald Wirklichkeit werden. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geniesst im Parlament inzwischen breite Unterstützung: Die Rechtskommission des Nationalrats stimmte einer entsprechenden Gesetzesvorlage im Februar mit 19 zu 4 Stimmen zu.

Selbst die CVP, welche die Ehe noch vor kurzem als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in der Verfassung festschreiben wollte, dürfte sich in der bis kommenden Freitag laufenden Vernehmlassung für die «Ehe für alle» aussprechen. Darauf deutet zumindest der Entwurf der Stellungnahme hin. Die Schweiz sollte ihre Gesetzgebung der gesellschaftlichen Realität anpassen, heisst es darin. Gemäss einer repräsentativen Umfrage sprachen sich schon vor drei Jahren zwei von drei Personen für die Öffnung der Ehe aus.

Der starke Rückhalt für die gleichgeschlechtliche Ehe beschäftigt auch die Kirchen, die Frage birgt Konfliktpotenzial. «Wir müssen zur Gesellschaft sprechen und gleichzeitig den innerkirchlichen Frieden wahren», sagt Daniel Reuter, Vizepräsident des Rats des Evangelischen Kirchenbundes (SEK). Reuter hat eine reformierte Arbeitsgruppe geleitet, die sich mit den Themen Partnerschaft und Ehe befasste – und keinen Konsens fand. Es gibt in der evangelisch-reformierten Kirche jene, welche die Homosexuellen-Ehe ablehnen, weil es für diese keine biblische Begründung gibt. Es gibt jene, welche eine rechtliche Gleichstellung zwar befürworten, den Ehebegriff aber weiterhin für die Verbindung Mann-Frau reservieren wollen. Und es gibt schliesslich jene, die ohne Vorbehalte für die Öffnung sind, weil für sie die in einer Beziehung gelebten Werte wichtiger sind als die biologischen Faktoren.

Skepsis in der Romandie

Gemäss Daniel Reuter finden sich die Anhänger der «Ehe für alle» vor allem in der Deutschschweiz, während die Skepsis in der Westschweiz stärker verbreitet ist. Für den SEK-Rat hat die Frage das Potenzial, «unsere Kirchengemeinschaft langfristig zu belasten und zu schädigen». Aufgrund der Brisanz will der Rat kommende Woche die Meinung der Abgeordnetenversammlung, des Parlaments des Kirchenbundes, einholen. Für seine Vernehmlassungsantwort hat der SEK eine Fristverlängerung beantragt. Gemäss Daniel Reuter ist es angesichts der divergierenden Ansichten gut möglich, dass es weder ein Ja noch ein Nein gibt, sondern ein «sowohl als auch».

Bereits geäussert hat sich am Freitag die Schweizerische Bischofskonferenz. Die Bischöfe betonen zwar, dass die zivilrechtliche Ehe nicht zu den zentralen Aufgabenbereichen der katholischen Kirche gehöre und man deshalb keine Stellung beziehe. Sie äussern aber durchaus ihre Meinung.

Die Strategie der nationalrätlichen Rechtskommission, die «Ehe für alle» mit einer schlanken Gesetzesvorlage einzuführen und die Frage des Zugangs zur Fortpflanzungsmedizin erst in einem nächsten Schritt anzugehen, sei falsch. Denn die Öffnung der Ehe für alle Paare sei eine «Umwälzung», bei der alle wichtigen Auswirkungen diskutiert werden müssten – so eben auch der Zugang zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung für gleichgeschlechtliche Paare, den die Bischöfe grundsätzlich ablehnen.

Frauenorganisationen sind für die Öffnung

Nicht einverstanden ist die Bischofskonferenz zudem mit dem Plan, die «Ehe für alle» auf dem Gesetzesweg einzuführen. Für sie braucht es zwingend eine Verfassungsänderung – und damit die Zustimmung der Mehrheit der Kantone. Die Bischöfe halten in ihrer Stellungnahme zudem fest, dass im Kampf gegen die Diskriminierung die Unterschiede zwischen den Menschen nicht ignoriert werden sollten. Ganz anders fällt die Stellungnahme des Katholischen Frauenbundes aus. Für dessen Vorstand ist die Ehe «Ausdruck einer verantwortungsvollen Liebe zweier Erwachsener, unabhängig ihrer Geschlechter». Der Frauenbund ist gar dafür, lesbischen Ehepaaren den Zugang zur Samenspende zu ermöglichen. Die Evangelischen Frauen Schweiz werden ihre Stellungnahme erst Ende Juni verabschieden. Im Entwurf werde die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare aber sicher begrüsst, sagt Geschäftsführerin Edith Siegenthaler.