Gastkommentar
Rahmenabkommen: wo, bitte, geht es nach Europa?

Ist das Rahmenabkommen nach Ablehnung der Begrenzungsinitiative gar der bewährte helvetische Mittelweg?

Peter Grünenfelder
Peter Grünenfelder
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Ist das Rahmenabkommen der wohl bewährte Mittelweg?

Ist das Rahmenabkommen der wohl bewährte Mittelweg?

Keystone

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Dieses Bonmot, von Wahlverlierern gebraucht, um die eigene Niederlage zu übertünchen, gilt sinngemäss auch für Unterlegene von Volksabstimmungen. Nachdem die Befürworter der Begrenzungs­initiative weniger als vier von zehn Bürgern für ihr Anliegen gewinnen konnten, richteten sie ihren Fokus noch am Abstimmungssonntag auf das Institutionelle Rahmenabkommen (InstA).

Dabei war ursprünglich nicht etwa das vielgescholtene «Brüssel» die treibende Kraft hinter einem solchen Abkommen, das die Beziehungen zu unserer wichtigsten Handelspartnerin auf ein verlässliches Fundament stellen soll: ins Spiel gebracht hat es 2002 die aussenpolitische Kommission des Ständerats, 2005 sprach sich die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey gegenüber der EU-Kommission für diese Option aus. Tempi passati?

Heute opponieren gleich drei alt Bundesräte gegen das Rahmenabkommen: SVP-Doyen Christoph Blocher als EU-Skeptiker der ersten Stunde, neuerdings auch die oben genannte Micheline Calmy-Rey sowie der ehemalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Der altgediente Leitsatz für ehemalige Magistratspersonen von «servir et disparaître» hat ausgedient.

Während im amtierenden Bundesrat ein Entscheidungsstau in der Europafrage herrscht, werden die Echokammern von Interessen­vertretern gefüllt. Seit fast zwei Jahren wünscht der Bundesrat Präzisierungen beim Lohnschutz (dies unter dem Deckmantel der bürokratischen flankierenden Massnahmen), bei der Unionsbürgerrichtlinie (die nicht Bestandteil des ­InstA-Vertrags ist) und auf Wunsch der Kantone bei den staatlichen Beihilfen, damit ihre Staatsunternehmen weiterhin im geschützten Rahmen geschäften können.

Statt selbst Regierungs­beschlüsse zu fällen, schiebt man die heisse euro­päische Kartoffel den Sozialpartnern zu, die nach unzähligen Verhandlungsrunden auch keinen Schritt weitergekommen sind. Dafür wurde die Vetomacht der Gewerkschaften gestärkt, obwohl diese nur einen Bruchteil der Schweizer Arbeitnehmer vertreten, seit Jahren einen Mitgliederschwund verzeichnen und über keine demokratische Legitimation verfügen.

Diese liegt beim Bundesrat, der Bundesversammlung und dem Souverän. Letzterer zeigte sich in den unzähligen Abstimmungen pragmatisch, während das Europadossier in der Politik mittlerweile toxisch ist.

Welche Handlungsalternativen hat die Schweiz, wenn das InstA nicht zum Abschluss kommt? Eine Option ist die «Weiter-wie-bisher-Politik» ohne die dynamische Komponente des InstA. Die Folge wäre die Erosion der bilateralen Beziehungen, Updates von bestehenden Ver­trägen könnten nicht mehr vollzogen werden, die Rechtsunsicherheit für Schweizer Unternehmen nähme zu.

In nationalkonservativen Kreisen favorisiert man die Aktualisierung des Freihandelsabkommens von 1972 anstelle der Bilateralen. Ursprungsregeln im Warenverkehr würden verschärft, Handelshemmnisse infolge doppelter Konformitätsbewertung nähmen zu, und Grenzkontrollen für landwirtschaftliche Produkte würden wieder eingeführt. Gegenüber heute eine unnötige Verkomplizierung für unsere Exportwirtschaft.

Auf der anderen Seite stehen jene, die sich über den bilateralen Weg hinaus der EU weiter an­nähern wollen, die Befürworter eines EWR- oder EU-Beitritts. Doch der EWR-Beitritt wurde vom Souverän 1992 (wenn auch knapp) verworfen, ein EU-Beitritt findet ebenso wenig eine Mehrheit. Damit verbleiben nur noch zwei Handlungsalternativen.

Kommt das InstA nicht zustande, wären umfassende marktwirtschaft­liche Reformen im Landesinnern nötig, um die erodierenden Beziehungen zur EU wirtschaftlich aufzufangen. Dazu gehören mehr Wett­bewerb binnenwirtschaftlicher Branchen, die unilaterale Abschaffung der Einfuhrzölle und Wirtschaftsabkommen mit weiteren Handelspartnern wie den USA.

Dem steht die innenpolitische Realität gegenüber – im Parlament herrscht ein Reformstau. Jüngst ist man auf die Abschaffung der Industriezölle gar nicht erst eingetreten.

Stellt damit das InstA den guten helvetischen Mittelweg dar? Sofern die drei offenen Punkte bereinigt werden können, sollte der Souverän entscheiden. Im Vertragsentwurf ist ein Schiedsgericht vorgesehen, dennoch befürchten viele einen Souveränitätsverlust.

Vielleicht bietet sich in dieser verworrenen Situation ein Ausweg an: Warum nicht eine Evaluationsklausel im Vertrag einfügen, die fünf Jahre nach dem Inkrafttreten die ökonomischen Auswirkungen, aber auch jene der befürchteten Souveränitätseinbusse von unabhängiger Stelle überprüft? Das Schöne an der Schweizer Direktdemokratie ist, dass man einen Entscheid rückgängig machen kann, wenn er sich im Nachhinein als unvorteilhaft erweisen würde.

Zum Autor

Peter Grünenfelder ist Direktor von avenir-suisse.