No Deal! Nach sieben Jahren beendet die Schweiz die Gespräche über ein institutionelles Abkommen mit der EU. Der Bundesrat übt sich in viel Optimismus und lobt die Schweiz als gute Partnerin. Die EU-Kommissionpräsidentin lässt dagegen Guy Parmelin auflaufen.
Guy Parmelin (SVP), Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis (beide FDP) hatten das Sakko passend zum Anlass gewählt. Schwarz dominierte, als sie zu dritt vor die Medien traten.
Ja, zu dritt. Seit die Schweizer live am Fernsehen Corona-Pressekonferenzen schauen, weiss jeder im Land: Ist mehr als ein Bundesrat da, wird es so richtig ernst. So auch gestern gegen 16 Uhr in Bern: Drei Bundesräte und mehrere Staatssekretäre kamen, um zu verkünden: Der Bundesrat beendigt die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen mit dem wichtigsten Handelspartner. Das hatte er am Mittwochmorgen beschlossen.
Rasch war klar: Zwischen den Wörtern «beendigen» und «beerdigen» liegt nur ein Buchstabe Unterschied. Grabesstimmung herrschte mitunter, bedrückend wirkte die Stimmung des Bundesrates. Nur eines fehlte: Gezeigte Trauer. Der Bundesrat gab sich, zumindest vorderhand, selbstbewusst. Man habe festgestellt, dass die Gespräche «nicht zu den nötigen Lösungen geführt haben», hiess es. Deshalb beschloss die Landesregierung den Übungsabbruch.
Bundespräsident Guy Parmelin sagte:
«Eine Etappe geht zu Ende, eine neue beginnt.»
Das Ende des Bilateralen Weges sei dies nicht. Als Parmelin dies in Bern sagte, da war die Schweizer Chefunterhändlerin schon längst in Brüssel gelandet. Am Mittag war Staatssekretärin Livia Leu ins Flugzeug gestiegen, um die Nachricht der EU-Kommission direkt zu überbringen. Bundespräsident Guy Parmelin hätte den Übungsabbruch zwar gerne in einem Telefongespräch der Kommissionspräsidentin mitgeteilt. Doch Ursula von der Leyen liess ihn abblitzen. Sie hatte weder Zeit noch Lust.
Deutet dies auf einen neuen Tiefpunkt in den Beziehungen hin? Wie am 6. Dezember 1992. An jenem denkwürdigen Abstimmungssonntag lehnten die Schweizerinnen und Schweizer den EWR-Beitritt ab. Ein völlig enttäuschter und emotionaler Jean-Pascal Delamuraz sprach von einem «dimanche noir», einem schwarzen Sonntag, für das Land. Doch von einem schwarzen Tag für die Beziehung Schweiz-EU wollten die aktuellen Bundesräte gestern nichts wissen. Im Gegenteil.
«Die Schweiz bleibt eine zuverlässige und engagierte Partnerin der Europäischen Union», sagte der Bundespräsident. Karin Keller-Sutter ergänzte: In keinem anderen Land habe sich die Bevölkerung so oft an der Urne positiv zur EU geäussert wie in der Schweiz. Und weiter:
«Wir haben einen täglichen Austausch mit der EU. Das funktioniert tadellos.»
Dabei gestand Aussenminister Ignazio Cassis durchaus ein, dass die Schweiz nun mit Nachteilen rechnen müsse: Vorerst werde die EU wichtige Abkommen nicht erneuern, sagte der FDP-Bundesrat. Dies führe zu einer langsamen Erosion der bilateralen Verträge. Stromabkommen, Studenten-Austauschprogramme, Forschungsbeteiligungen, die Börsenäquivalenz, die Aktualisierung wichtiger Marktzugangsabkommen etc: All dies steht nun auf dem Spiel. Doch der Aussenminister sah dies nicht nur negativ: Nach dem Abbruch habe die Schweiz nun «Zeit, mit Auffangmassnahmen und mit bilateralen Gesprächen zu reagieren.»
Es wirkte, als ob der Bundesrat ein Seminar für (Zweck-)Optimisten besucht hatte. Cassis sagte: Die Situation zwinge die Schweiz nun, «konstruktiv und optimistisch zu handeln.» Keller-Sutter befand, ohne Verhandlungsdruck könne man vielleicht gar entspannter diskutieren. Die EU jedenfalls gab sich so optimistisch nicht. Sie schrieb:
«Ohne dieses Rahmenabkommen wird die Modernisierung der laufenden Beziehungen unmöglich und die bestehenden bilateralen Abkommen werden zwangsläufig veralten.»
Der Bundesrat will nun seinerseits Abfederungsmassnahmen prüfen. Das Justizdepartement soll Differenzen zwischen dem EU-Recht und der Schweizer Rechtsordnung finden – und diese, wo es im Interesse der Schweiz ist, beseitigen. Damit sollen Reibungsflächen abgebaut und der Marktzugang für die Wirtschaft erleichtert werden. Zudem möchte der Bundesrat einen erneuten Versuch starten, um die Kohäsionsmilliarde an die EU auszubezahlen. Diesen Vorgang hatte das Parlament bisher blockiert. Man wolle, «breit abgestützt und innenpolitisch tragbar», die Bilateralen sichern und wo möglich in die Zukunft führen, sagte Justizministerin Keller-Sutter. Als Plan B blieb dies schwer fassbar, zu wenig detailliert wirkte der Plan. So oder so scheint die Schweiz auf den «Goodwill» der EU zu hoffen, die Gespräche weiterzuführen.
Wie an jeder Trauerfeier gab es auch einen Rückblick auf den zu Begrabenden: 2013 war das Verhandlungsmandat aus der Taufe gehoben worden. Dann war noch keiner der drei Bundesräte im Amt. Cassis betonte: Die Schweiz habe sehr grosse Konzessionen gemacht, etwa mit dem Akzeptieren des Europäischen Gerichtshofes als Schlichtungsinstanz. Letztlich aber habe man einfach die «substantiellen Differenzen» nicht ausräumen können. Im Zentrum steht die Unionsbürgerrichtlinie: Die von der EU gewollte Lösung wäre aus Sicht des Bundesrates innenpolitisch nicht umsetzbar gewesen. Sie hätte Ausländern den Zugang zur Sozialhilfe erleichtert. Bisher sei das erfolgreiche schweizerische «Feintuning der Zuwanderungspolitik» immer ausschlaggebend gewesen, dass die Bevölkerung den Bilateralen Weg mittrage, so der FDP-Mann.
Von Versagen könne kein Rede sein, zog Cassis sein Fazit. Man habe aber viele Lektionen gelernt. Eine davon: «Man darf nicht zu hohe Erwartungen haben.»