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Die Veröffentlichung interner Protokolle zeigt: Die Bundesrats-Kommunikation wurde während der Krise detailliert durchgeplant. Die Dokumente verraten aber auch, wo es Probleme gab.
Weisst du, was eine «Kakophonie» ist? Duden und Co. verstehen darunter ein klingendes Durcheinander. Man spricht davon, wenn es Unstimmigkeiten gibt, eine Disharmonie gibt ... halt so, wie wenn in einem Konzert unstimmig gespielt wird.
Von Kakophonie sprach man auch in den vergangenen Monaten immer wieder, als es in der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie Misstöne gab. Etwa, wenn sich Bundesrätinnen und Bundesräte widersprachen oder wenn Kantone bzw. die Taskforce nicht am berühmten «selben Strick» zogen. Immerhin im Bundeshaus wurde relativ früh in der Krise versucht, die Kakophonie zu verhindern.
Dies zeigen die 72-seitigen Protokolle des Koordinationgremiums «Taskforce Kommunikation Corona». Die Gruppe traf sich am 28. Februar 2020 zum ersten Mal – drei Tage, nachdem in der Schweiz die erste Infektion mit dem Sars-Cov-2-Erreger entdeckt wurde. Mit dabei: Die Sprecherinnen und Sprecher aller Bundesratsdepartemente. Und damit die Sprachrohre der Landesregierung.
Publik gemacht hat sie der Twitter-User Timothée Mollet. Er forderte Mitte Dezember die Protokolle ein und erhielt sie praktisch ungeschwärzt und in allen Details – einzig an drei Stellen griff die Bundeskanzlei zur Zensur.
Einer der auffälligsten Beschlüsse wurde Mitte März gefällt. Die Pressesprecherinnen und -sprecher der Bundesratsmitglieder einigten sich darauf, dass die «zuständigen» Departementchefs sich aktiv an der Front zeigen sollen. Das erklärt, wieso es im Verlauf des Jahres 2020 immer wieder Fototermine und Pressekonferenzen der Bundesräte von verschiedenen Corona-Stationen schweizweit gab.
Gleichzeitig heisst es aber im Protokoll des 19. März, dass die Auftritte «gut begründet» sein sollen, damit es nicht zu Profilierungsvorwürfen kommt.
In der Bundesverfassung heisst es klar: «Der Bundesrat entscheidet als Kollegium.» Diese Devise wollte die Landesregierung während der Krise mit einer – gegen aussen – einheitlich wirkenden Kommunikation durchsetzen. So wurde festgelegt, dass die Medienmitteilungen vom Gesamtbundesrat beschlossen werden und danach nur in Absprache von den Departementen abgeändert werden dürfen.
Dass das nicht immer klappte, wissen wir mittlerweile alle: Es kam immer wieder zu Indiskretionen. Anträge von Bundesrat Alain Berset und Co. fanden immer wieder den Weg an die Öffentlichkeit. In April landete gar ein E-Mail von Bundesratssprecher André Simonazzi bei einer Journalistin bei «Le Matin Dimanche». Darin erinnerte er alle Bundesratssprecher an die «Regel», dass «bei Interviews und Auftritten grosse Zurückhaltung geübt» werden soll.
Im Sommer kam dann die Lockerung. Das wirkte sich auch auf die Kommunikation aus. Die Bundesratssprecherinnen und -sprecher vermerkten dazu, dass derzeit «jedes Wort auf die Waagschale gelegt» werde.
Mitte Mai, als es weitere Lockerungen gab, empfand man im PR-Kollegium gar, dass intern ein «Verlust der Gesamtsicht in der Kommunikation» drohe. Das könnte auf einen möglichen Konflikt zwischen den Sprecherinnen und Sprechern deuten. Der Appell, weiterhin am selben Strick zu ziehen, half – rückblickend – wenig.
Was auch auffällt, war die bevölkerungsnahe Fokuswahl: Als erste Länder auf die Quarantäneliste gesetzt wurden, wurde «Mallorca» gesondert im Protokoll erwähnt. Die Tatsache, dass die balearische Insel auch bei Schweizerinnen und Schweizern eine beliebte Reisedestination ist, war also auch im Bundeshaus bekannt.
Zwischen dem 18. August und dem 15. Oktober wurden keine Sitzungen protokolliert.
Kurz nach der langen Pause einigten sich die Sprecherinnen und Sprecher auf eine gemeinsame Strategie, sollte ein Bundesratsmitglied positiv auf das Coronavirus getestet oder in Quarantäne versetzt werden.
Bislang wurde keine Infektion bei der Landesregierung bekannt gegeben. Mehrere Bundesratsmitglieder mussten jedoch in die Isolation bzw. in Quarantäne.
Im Oktober, als die Fallzahlen wieder anstiegen und die Landesregierung sich mit Massnahmen Zeit liess, kam der Knatsch mit der wissenschaftlichen Taskforce. Ihre Mitglieder äusserten sich mehrfach öffentlich, was bei den Bundesratsprechern nicht so gut ankam.
Die Taskforce wurde als «vielstimmig und uneinheitlich» bezeichnet. Im Protokoll ist auch zu lesen, dass die Priorität der Taskforce die «Beratung des Bundesrates, der Bundesverwaltung» – und nicht die «Kommentierung» sei. Es folgten zahlreiche Notizen im Protokoll, wonach gar Bundesratssprecher André Simonazzi ein Gespräch mit dem Taskforce-Chef Martin Ackermann suchen musste.
Die 72 Seiten wurden nicht ganz veröffentlicht. Die Bundeskanzlei nahm sich das Recht, an drei Stellen Schwärzungen vorzunehmen. Die letzte betraf die Protokollnotiz zur «Impfung der Mitglieder des Bundesrates» am 28. Dezember. Die erfolgten Impfungen wurden erst Tage danach publik.
Anmerkung: Die layouterischen Schwärzungen bei uns (██) sind schematisch und verraten nichts über die Länge der verdeckten Wörter und Sätze.
In den Protokollen wird nicht nur entschieden, kritisiert und Lob verteilt. Man lobt die eigene Arbeit auch selbst: Am 7. Dezember – einen Tag nach dem Samichlaus – wurde vermerkt, dass die Bundesrats-Pressekonferenz vom 16. März auf dem dritten Platz der meistgesehenen Videos auf Youtube ist.
Wir gratulieren ebenfalls. Und bleiben kritisch.