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Schweiz
FDP-Präsidentin Petra Gössi attackiert im Interview mit der «Schweiz am Wochenende» SP-Präsident Christian Levrat und verteidigt das «Ja aus Vernunft» zum Rahmenabkommen.
Das Interview findet im Bundesratszimmer statt, in der Wandelhalle des Bundeshauses. Petra Gössi hat das Zimmer ausgesucht, weil sie von dort aus schnell zu Abstimmungen im Nationalratssaal ist. Was tatsächlich nötig wird.
Es ist wohl gerade nicht einfach, FDP-Präsidentin zu sein.
Petra Gössi: (Lacht) Wir sind da, um etwas zu bewegen. In den letzten Wochen gelang es uns, Akzente zu setzen. Wir machen offenbar vieles richtig, da uns alle anderen Parteien angreifen. Das ist in der Politik ein gutes Zeichen.
Die FDP ist stark unter Druck, seit sie sich fast bedingungslos für das Rahmenabkommen ausgesprochen hat.
Wir sind nicht unter Druck. Wir stehen ein für den bilateralen Weg. Das ist unser Hauptanliegen. Er ist Garant gegen einen EU-Beitritt. Deshalb sagen wir in der jetzigen Phase der Konsultation «Ja aus Vernunft» zum Rahmenabkommen. Wir fordern das nicht bedingungslos, sondern mit drei Konkretisierungen: bei der Unionsbürgerrichtlinie, den flankierenden Massnahmen und der Guillotine-Klausel.
Die CVP spricht von Panikreaktion, SVP und Grüne kritisieren, die FDP falle dem Bundesrat in den Rücken.
Diese Parteien verkennen, in welcher Phase der Prozess steckt. Der Bundesrat hat das Abkommen noch nicht paraphiert. Das InstA wird erst zum parlamentarischen Geschäft, wenn das geschehen ist und der Bundesrat eine Botschaft verabschiedet hat. Am Ende wird das Volk das letzte Wort haben. Wir dürfen diesen Prozess nicht abwürgen oder durcheinanderbringen. Verlieren wir den bilateralen Weg, sind wir schneller in der EU, als wir denken. SVP und SP wären dann Steigbügelhalter dafür. Der Bundesrat soll zuerst die Konsultation durchführen. Dann soll er entscheiden, wie er weiterfahren will. Das wird noch dauern.
Der Ja-Entscheid fiel in einer Fraktionssitzung. Obwohl die Delegiertenversammlung im Juni 2018 ein Positionspapier mit klaren Forderungen verabschiedet hatte. Ist der Entscheid überhaupt demokratisch abgestützt?
Ja, das haben wir abgeklärt. Mit dem Fraktionsentscheid überschritten wir die roten Linien der DV nicht. Es gab zu- dem einen sehr guten Grund für den Fraktionsentscheid.
Welchen?
Wir kennen den Text des Abkommens erst seit Mitte Dezember. Die deutsche Übersetzung existiert sogar erst seit Mitte Januar. Unsere Aussenpolitiker setzten sich stundenlang mit ihm auseinander. An der Fraktionssitzung gingen wir unsere Fragen Punkt für Punkt mit Aussenminister Cassis durch. Damit wurde sehr vieles geklärt und Vorbehalte behoben.
Ich verschliesse mich doch nicht neuem Wissen. Wie bescheuert wäre das denn?!
Sie und der Vorstand stiegen mit einer «Ja, aber»-Position in die Sitzung, wurden aber überstimmt?
Nein. Wir hatten unser Papier erstellt, als die deutsche Übersetzung noch nicht vorlag. Wir klärten dann in der Fraktion in fünf Stunden sehr viele offene Fragen, was zu einem überzeugten Beschluss für ein «Ja aus Vernunft» führte.
Fühlten Sie sich überrumpelt?
Nein. Wir machen eine lösungsorientierte Politik. Es ist unsere Pflicht, neue Informationen zusammenzutragen, intensive Analysen zu machen und offene Fragen zu klären. Es wird noch weitere Fragen geben, wir stecken mitten im Konsultationsprozess.
Politiker anderer Parteien sagen, sie wären an Ihrer Stelle als Präsidentin zurückgetreten.
Wenn sich jemand einen Rücktritt überlegen sollte, dann Christian Levrat für die absolut chaotischen Zustände bei den Linken. Ich habe es jetzt mehrfach erklärt: Es kamen neue Informationen hinzu. Ich verschliesse mich doch nicht neuem Wissen, wie es andere Parteien tun. Wie bescheuert wäre das denn?! Die Medienberichterstattung und gewisse Parteien verzerren die Fakten. Kaum adjustiert man die eigene Position, hört man, man sei eine Windfahne. Wenn die Politik aber keine Entwicklungen mehr machen darf, müssen wir aufhören. Dann verliert die Politik die Fähigkeit, Antworten auf die aktuellen Bedürfnisse zu finden. Wir sind aber verpflichtet, Lösungen zu erarbeiten, um dieses Land weiterzubringen. Die Presse wird die Probleme unseres Landes nicht lösen.
Sie machte ihre Matura am Gymnasium Immensee und studierte dann Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Als Juristin absolvierte Petra Gössi (43) noch das Nachdiplomstudium Master of Economic Crime Investigation an der Hochschule Luzern. Sie arbeitet heute als Rechts-, Steuer- und Unternehmensberaterin bei der Baryon AG in Zürich.
Seit 2011 ist Petra Gössi Nationalrätin und seit 2016 Präsidentin der FDP. Sie wurde am 16. April 2016 ohne Gegenstimme als Nachfolgerin von Philipp Müller gewählt. Am 24. März 2018 wurde sie wiedergewählt.
Zuvor hatte Gössi von 2004 bis 2011 im Kantonsrat Schwyz gesessen und war zwischen 2012 und 2016 Präsidentin der FDP des Kantons Schwyz. Petra Gössi wohnt in Küssnacht am Rigi (SZ).
Selbst CVP-Politiker sehen in der FDP heute die frühere CVP: die Wischiwaschi-Partei.
Das stimmt einfach nicht. Wir können im Detail aufzeigen, welchen Prozess wir beim InstA gemacht haben. Die CVP versucht abzulenken: Das starke «Aber» der CVP ist doch faktisch ein Nein zum Abkommen. Damit hilft sie weder bei der Weiterentwicklung des bilateralen Weges noch bei der Stärkung des Bundesrats.
Nein zum InstA sagt nur die SVP.
Das stimmt eben gerade nicht. Mit ihrem «Aber» fordern SP und CVP Nachverhandlungen im Vertragstext, was nicht möglich ist. Deshalb ist ein «Aber» faktisch ein Nein zum InstA.
Lange machte die SP auf Gesprächsverweigerung. Inzwischen will Präsident Levrat mit CVP und FDP einen Fragenkatalog an den Bundesrat entwickeln. Macht die FDP mit?
Die FDP war immer gesprächsbereit, wäre längst an einen runden Tisch gesessen. Die SP hat acht Monate alle Gespräche verweigert. Jetzt, wo er intern unter Druck ist, will Levrat gemeinsame Fragen stellen. Da sage ich Nein. Die SP soll zuerst intern aufräumen und ihre Position klären. Wir wollen wissen, wo sie steht.
Was will die FDP tun, um die Gewerkschaften wieder an Bord zu bringen?
Das ist nicht die Sache der FDP. Hier ist die SP gefordert, ihren Stall selber in Ordnung zu bringen. Die SP steht hier vor einer Zerreissprobe. Ebenfalls gefordert sind die Sozialpartner.
Druck auf die FDP gibt es auch bei der Klima-Neupositionierung. Sie sagten im «Tages-Anzeiger», die FDP wolle im Umwelt- und Klimabereich innovationsfreundliche Lösungen. Jetzt schaut die Linke genau hin.
Die kantonale Parteipräsidentenkonferenz, der auch der Vorstand der FDP Schweiz angehört, verabschiedete den Beschluss für eine Mitgliederbefragung einstimmig. Jetzt führen wir die Befragung der 120 000 Mitglieder durch und gehen mit dem Resultat vor die DV.
Was ist Ihr Ziel?
Wir wollen die Umweltpolitik wieder stärker in den Vordergrund rücken. Wir machen aber weiterhin keine linke Politik. Ich will keine Verbotspolitik, wie sie die Grünen und die SP machen. Sondern typisch liberale Lösungsansätze, wie etwa fiskalneutrale Lenkungen. Es geht darum, Innovationen zu fördern, die Wertschöpfung im Inland schaffen und gleichzeitig zum Schutz der Umwelt beitragen. Entscheidend ist immer die Gesamt-Ökobilanz. Es ist wichtig, hier eine bürgerliche Stimme zu hören.
Weshalb kam die Neupositionierung ausgerechnet im Wahljahr zustande?
Es ist keine Neupositionierung, sondern wir wollen die Nachhaltigkeit wieder stärker betonen. Wir haben in den Wahlkampagnen von Tür-zu-Tür immer wieder die Rückmeldung erhalten, dass wir das Thema Umwelt stärker aufnehmen müssen. Es beschäftigt die Leute. Das kommt einer Zeitenwende gleich.
Ich überlegte mir in jungen Jahren, mich für Greenpeace an ein Schiff anhängen zu lassen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür, wie eine liberale Lösung im Umweltbereich für Sie aussieht?
Die regulatorischen Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft sollen gelockert werden, damit durch Innovationen weniger Pestizide eingesetzt werden müssen und viel effizienter produziert werden kann. Auch muss beispielsweise die neue Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit der Schweiz (IZA) zwingend einen Schwerpunkt Klima/Umwelt integriert haben. Oder auch eine Lenkungsabgabe, die dann vollständig den Menschen und Unternehmen zurückverteilt wird und wirkliche Anreize schafft.
Am Dienstag lehnte die FDP acht von acht Umwelt-Vorstössen ab. «Der Klimafrühling der FDP dauerte gerade mal 17 Tage», frotzelte SP-Fraktionschef Roger Nordmann in der Folge auf Twitter.
Es ist mir schon klar, dass Roger Nordmann das als SP-Fraktionschef nicht gefällt. Die SP erlag dem Wunschdenken, dass wir künftig Hand bieten für Verbotspolitik, etwa von Verbrennungsmotoren ab 2025. Wir bleiben aber bei unseren liberalen Ansätzen.
Ist die FDP nun für eine Flugticket-Abgabe beim CO2-Gesetz?
Sie soll diskutiert werden. Die Prüfaufträge dafür kamen von den FDP-Ständeräten in der Umweltkommission. Entscheidend wird sein, wie eine solche Abgabe ausgestaltet wird und welches Ziel man damit erreichen will. Für uns hängt das Ja vom Gesamtprodukt ab.
Was sagt die FDP beim Inlandziel?
Beträgt es für die Reduktion des CO2-Ausstosses 100 Prozent und das Auslandziel 0 Prozent, sind wir klar dagegen. Ich werde aber Hand bieten für einen Kompromiss beim Inlandziel. Wichtig ist am Ende die Gesamtbeurteilung des CO2-Gesetzes. Wir stimmten im Nationalrat zu, bieten auch im Ständerat Hand für einen Kompromiss. Die Differenzbereinigung beginnt ja erst.
Die Klimapolitik kam mit den streikenden Schülern in den Fokus, mit dem Slogan «FDP = Fuck de Planet».
Ich finde es gut, dass sich die Jugend für ihr Anliegen einsetzt. Sie tut etwas und spürt, dass sie etwas bewegen kann. Ich hatte mir in jungen Jahren auch überlegt, mich für Greenpeace an ein Schiff anhängen zu lassen, um für den Umweltschutz zu kämpfen.
Sie taten es aber nicht?
Nein. Ich reiste sonst herum und habe mich auf anderen Ebenen engagiert.
Es ist offensichtlich, dass die FDP Umwelt- und Klimapolitik zu einem Pfeiler ihres Wahlkampfs machen will.
Das Thema ist auf dem Tapet, es beschäftigt die Menschen. Deshalb kümmern wir uns verstärkt darum.