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Schweiz
Die Frage, ob und wann Doris Leuthard zurücktritt, beeinflusst die Diskussion um die Ersatzwahl für Burkhalter.
Es ist ein Durchbruch für die Schweiz in Brüssel: Das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse mit der EU, seit 2014 blockiert, wird per sofort wieder aktualisiert. Das sei «ein erster Schritt im Sinne der vereinbarten Normalisierung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU», sagt Bundespräsidentin Doris Leuthard.
Sie engagiert sich seit Beginn ihres Präsidialjahres stark dafür, dass die Schweiz den Bann mit der EU brechen kann, unter dem sie seit dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative vom 9. Februar 2014 liegt. Leuthard hat sich vorgenommen, die Beziehungen der Schweiz zur EU zu normalisieren. Dazu scheint sie nun auf bestem Weg.
Die EU-Frage zu lösen und die Energiestrategie 2050 gut aufzugleisen, soll sich die Bundesrätin noch vorgenommen haben für ihre Bundesrats-Zeit, heisst es im engsten Parteiumfeld. Beides dürfte sie Ende Jahr erreicht haben. Danach werde sie zurücktreten. «Doris Leuthard wird schon im Sommer 2018 nicht mehr Bundesrätin sein», sagt eine Quelle.
In der CVP war man stets davon ausgegangen, dass Leuthard zwischen Bundespräsidium 2017 und Legislaturende 2019 zurücktritt. Klar ist, dass Rücktritte von Bundesräten deren bestgehütetes Geheimnis sind. Er habe «keinerlei Anzeichen» in die eine oder andere Richtung, sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister selbst. Noch vor einer Woche hatte Pfister in der «Schweiz am Wochenende» einen Artikel geschrieben für eine «staatspolitische Rücktrittskultur des Bundesrats» – unter dem Titel: «Klüger, wer zu gehen weiss, wann es frommt». Darin schrieb Pfister, er vermisse bei Begründungen von Bundesräten immer stärker staatspolitische Argumente: «Diese könnten beispielsweise lauten, wichtige Projekte seien abgeschlossen.» Ein Zufall? Oder weiss Pfister mehr, als er heute zugibt?
Ob Leuthard 2018 zurücktritt oder nicht: Sie beeinflusst die Strategien um die Ersatzwahl für Didier Burkhalter so oder so mit. In der CVP kursieren Frauennamen für die Leuthard-Nachfolge: etwa jene der Nationalrätinnen Viola Amherd (VS), Ruth Humbel (AG), Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) und der Ständerätin Brigitte Häberli-Koller (TG). Insider glauben, dass sich auch die Männer in der CVP wappnen, die Bundesrats-Ambitionen haben: Sie setzten schon diesmal auf eine Frau, damit die Frauenfrage bei einem allfälligen Leuthard-Rücktritt kein Thema mehr ist.
Für Doris Fiala, die Präsidentin der FDP-Frauen, ist dies plausibel. «Gewisse Männer möchten die Frauenfrage schon diesmal lösen», sagt sie. «Es gibt deshalb bestimmt potenzielle Kandidaten, die hinter den Kulissen über die Parteigrenzen hinweg mobilisieren. Das gehört zum Spiel.» Fiala denkt nicht nur an die CVP-, sondern auch an die FDP-Männer. Diese könnten ihre Chancen bei einem Rücktritt von Johann Schneider-Ammann torpediert sehen, der bis 2019 erwartet wird – weshalb auch sie diesmal auf eine Frau setzen könnten. Mit Ständerätin Karin Keller-Sutter (SG), FDP-Präsidentin Petra Gössi (SZ) und Regierungsrätin Carmen Walker Späh hätten sie sonst übermächtige Frauenkonkurrenz. Fiala: «Ich würde zu behaupten wagen: Das ist qualitativ erste Sahne.»
Fiala vermutet aber selbst bei den SP-Männern taktische Spiele. Dass SP-Präsident Christian Levrat der FDP eine Frauen-Doppel-Kandidatur ans Herz legte, machte sie stutzig. «Was genau ist das Ziel von Herrn Levrat, wenn er dermassen für eine Frau weibelt, nachdem die Linke Karin Keller-Sutter bei der Bundesratswahl 2010 grossmehrheitlich nicht unterstützte?», fragt sie. Und: «Will er vielleicht sein eigenes Terrain vorbereiten?» Dass sich Levrat «so sehr» um das Wohl der FDP-Frauen sorge, «bringt mich zum Schmunzeln».
Die Linke wird eher eine Frau für Burkhalter wählen. «Es sind zwei sehr berechtigte Anliegen, dass das Tessin und eine weitere Frau im Bundesrat vertreten sein sollten», sagt SP-Nationalrätin Nadine Masshardt, Vize-Fraktionschefin. «Stand heute gewichte ich das Anliegen einer zusätzlichen Frau in der Regierung höher.» Auch für die Grünen steht die Frauenfrage im Vordergrund, vorerst vor allem im eigenen Lager. Die Jungen Grünen fordern eine eigene Bundesrats-Kandidatur und nennen Namen: Nationalrätin Adèle Thorens, Regierungsrätin Béatrice Métraux (beide VD) – und die Genfer Männer Antonio Hodgers (Regierungsrat) und Robert Cramer (Ständerat). «Die Frauenfrage steht im Vordergrund», sagt Luzian Franzini, Co-Präsident der Jungen Grünen.
Nicht beeindrucken lässt sich die Tessiner FDP. Bis jetzt gebe es für die Delegiertenversammlung vom Dienstag keinen Antrag auf ein Zweier- oder Dreierticket, sagt Präsident Bixio Caprara. «Die Ampel steht auf Grün für eine Einerkandidatur mit Ignazio Cassis.» Natürlich werde es Fragen geben. «Darauf hoffe ich sogar.» Doch es sei klar geworden, dass die Westschweiz nicht auf eine Kandidatur verzichte. Und Ignazio Cassis habe die geforderten Qualitäten. «Er hat die Fähigkeit zum Konsens, kann komplexe Probleme analysieren und Entscheide vertreten», sagt Caprara. Es täte dem Bundesrat gut, statt eines Juristen auch einmal einen Arzt im Gremium zu haben.» Die Frauenfrage, findet Caprara, dürfe bei einer Bundesrats-Wahl «nicht das ausschliessliche Kriterium» sein.
Drei von sechs möglichen Westschweizer Bundesrats-Kandidaten haben eine doppelte Staatsbürgerschaft oder sind in einem Nachbarland aufgewachsen: Regierungsrätin Jacqueline de Quattro (VD) hat Schweizer und italienischen Pass; Regierungsrat Pierre Maudet (GE) Schweizer und französischen Pass; und Ständerat Olivier Français (VD) wuchs bis zum 21. Lebensjahr in Frankreich auf, besitzt aber heute nur noch den Schweizer Pass, den französischen gab er zurück. Pierre Maudet ist «Franzose von Geburt auf durch meinen Vater, der durch die Heirat mit meiner Mutter Schweizer geworden ist», wie er sagt. Seine Mutter sei gebürtige Bündnerin. «Deshalb bin auch ich von Geburt auf Schweizer.»
Juristisch spricht nichts gegen die Wahl eines Doppelbürgers, wie Ursula Eggenberger betont, Informationschefin der Bundeskanzlei. Politisch empfindet SVP-Nationalrat Peter Keller aber de Quattros Kandidatur als «Provokation»: «Diese Kandidatur ist für das Tessin eine doppelte Ohrfeige. Erstens ist de Quattro keine Tessinerin, zweitens hat sie ausgerechnet einen italienischen Pass.» Damit ist Keller selbst in der SVP isoliert. «Eine doppelte Staatsbürgerschaft ist kein Hindernis für eine Bundesrats-Kandidatur», sagt Fraktionschef Adrian Amstutz. «Entscheidend ist vielmehr, wie ein Kandidat zur Schweiz steht.» Amstutz weiter: «Lieber ein Kandidat mit doppelter Staatsbürgerschaft, der aus innerster Überzeugung verlässlich zur Unabhängigkeit der Schweiz steht, als ein Kandidat aus einer alteingesessenen Familie, der die Schweiz an die EU anketten will.» Für die SVP ist, so Amstutz, eines wichtig: «Sie will keinen weiteren scheinbürgerlichen FDP-Bundesrat wie Didier Burkhalter mehr, der mit der SP und der CVP zusammen eine linke Bundesratsmehrheit weiterführt. Das ist sonnenklar.»