Seine Bilanz als Staatsrat ist umstritten, seine Wiederwahl aber ungefährdet. Was macht Oskar Freysinger so populär? Eine Spurensuche im Wallis.
An der Wand hängen Fotos von gealterten Rockstars. Und Werbegirlanden für einen billigen Schnaps. Die rund fünfzig Leute an der Bar tragen die Haare lang und die Kleidung schwarz. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis das Konzert der Metal-Band beginnt. Denkt man.
Der Mann, der im Pub Le Manoir in Saint-Maurice VS die Bühne betritt, trägt zwar einen Rossschwanz, mit Anzug und Krawatte käme er für einen Hardrocker aber gar staatsmännisch daher. Es ist Oskar Freysinger, Walliser Regierungsrat, SVP-Parteivize, dreifacher Familienvater, Autor, Musiker, Querdenker und -schläger.
Das Publikum strömt von der Bar in die angebaute Scheune, das Durchschnittsalter ist jugendlich. «Nur er schafft es, uns anzusprechen», sagt einer und nippt an seinem Bier. Neben Freysinger nehmen zwei weitere Kandidaten für die Walliser Staatsratswahlen von März auf der Bühne Platz (siehe Box am Ende des Artikels).
Thema der Diskussion ist die Bilanz der Legislaturperiode. Der Moderator ist gleichzeitig der Barbesitzer. Seine Fragetechnik beschränkt sich darauf, den Politikern das Rederecht zu erteilen. Eine Steilvorlage für den begnadeten Rhetoriker Freysinger: Er zählt diejenigen Projekte auf – etwa den neuen Justizrat, die Revision des Schulgesetzes oder die Verhandlungen um den Flughafen Sion –, welche seine «überaus erfolgreiche» Regierungstätigkeit unterstreichen sollen.
Seine Frau sitzt am Rand und filmt alles mit dem Handy. Die Konkurrenten wirken ob des Redeschwalls eingeschüchtert. Ihr Widerspruch ist lau, aus dem Publikum kommt gar keiner. Freysinger hat hier, im Rocker-Pub von Saint-Maurice, ein Heimspiel. Seine Pointen kommen an, immer wieder brandet Zwischenapplaus auf.
Ein Mann mit einer rot-weissen Baseballmütze sagt: «Die da draussen, die sind doch nur eifersüchtig auf ihn.» Denn draussen, zwischen Rhone-Kanal, Skipisten und Weinbergen, geht es rau zu und her. So, wie wohl noch nie in einem Walliser Wahlkampf. Und Freysinger ist mittendrin.
«Coupons-lui la queue» («Schneiden wir ihm den Schwanz ab») war die Homepage übertitelt, die vor zwei Wochen die Romandie in Aufregung versetzte. Illustriert war die Seite mit einem abgeschnittenen Hinterkopf, an dem ein Rossschwanz hing. Auch dem uninformierten Betrachter war klar, dass hier kein Schulmädchen dargestellt wird. Wer hinter der Aktion stecken könnte, blieb tagelang im Dunkeln – bis eine sechsköpfige Bürgerbewegung den Schleier lüftete.
Der Slogan der Kampagne wurde mittlerweile auf «Coupons-lui la voie» («Schneiden wir ihm den Weg ab») abgeändert, der Tenor bleibt aber hart: «Oskar Freysinger muss weg – die letzten vier Jahre haben gezeigt, dass er als Regierungsrat schlicht nicht tragbar ist», sagt Initiant Gilles Brunner. Den aggressiven Start habe man bewusst gewählt, um aufzuzeigen, «auf welchem Niveau sich die Kampagne der SVP bewegt».
Brunner spielt auf ein Zeitungsinserat an. Es zeigte eine weinende Mutter, Maria, die angeblich ihre Wohnung nicht mehr bezahlen kann, während der Kanton 650'000 Franken pro Monat für die Mieten von Migranten ausgibt.
Das Establishment stört sich am Ton der Bürger-Kampagne, teilt deren Stossrichtung aber inhaltlich: «Freysinger benimmt sich wie ein talentierter Jugendlicher auf dem Schulhausplatz, mehr hat er nicht zu bieten. Für einen Staatsrat ist das zu wenig», sagt alt FDP-Bundesrat Pascal Couchepin.
Auch der langjährige SP-Präsident Peter Bodenmann stellt ihm ein schlechtes Zeugnis aus: «Er rühmt sich dafür, den «Petit Prince» in der Schule eingeführt zu haben – das ist doch lachhaft. Seine Bilanz ist nullkommanull.»
In der Tat erlebte der Bildungs- und Sicherheitsdirektor eine Reihe von Krisen. Die virulenteste im letzten Sommer: Wochenlang stemmte er sich gegen die Entlassung seines untragbar gewordenen Chefbeamten Jean-Marie Cleusix. Der Chef der Dienststelle für Unterrichtswesen hatte seine Steuern nicht korrekt beglichen, den Rückhalt der Lehrerschaft weitgehend verloren und mit unlauteren Praktiken von sich reden gemacht.
Freysinger stellte ihn schliesslich vor die Türe, wollte ihm aber einen Posten am Gymnasium Oberwallis verschaffen. Nach Protesten verzichtete er darauf, fand Cleusix aber eine Stelle an der Kantonsschule von Saint-Maurice. Freysinger verteidigt sich: «Es war die bestmögliche Lösung. Sie hat die Steuerzahler keinen Franken gekostet.»
Kein halbes Jahr später war er schon wieder unter Beschuss. Für ein Seminar sicherte er sich die Dienste des umstrittenen Buchautors Piero San Giorgio, der mehrfach durch rassistische und gewaltverherrlichende Äusserungen aufgefallen war. Als nach einer gemeinsamen Pressekonferenz ein Video auftauchte, in dem San Giorgio Behinderte verhöhnte, zog Freysinger die Reissleine und beendete die Zusammenarbeit.
Im Nachhinein sagt er, der Italiener habe ihn «verarscht» und die Plattform zur Eigenwerbung für sein neues Buch missbraucht. Dessen extremistische Gesinnung sei ihm nicht bekannt gewesen. Videoaufnahmen aus dem Jahr 2014 zeigen freilich, wie sie sich minutenlang unterhalten.
Für Kritiker zeigen diese Vorfälle das wahre Gesicht des Staatsrats – vordergründig ein sauberer Demokrat, im Kern ein ausgrenzender Aufwiegler mit keinerlei Berührungsängsten gegenüber Rechtsnationalisten und Hasspredigern.
«Er muss sich nicht über dieses Image wundern, wenn er durch halb Nazi-Europa lungert», sagt Bodenmann und meint damit die Auftritte bei allerlei umstrittenen Politikern. Die Liste reicht vom niederländischen Islamkritiker Geert Wilders (Freysinger: «Ein super Typ!») über den französischen Extremisten Pierre Cassen bis zur deutschen AfD.
Freysinger predigt dort jeweils das Hohelied der Schweizer Demokratie, geisselt die EU, rühmt den russischen Präsidenten Wladimir Putin und warnt vor einer Islamisierung des Abendlandes. «Warum soll ich solche Einladungen nicht annehmen? Wir sind nicht in einer Diktatur, ich darf doch reden, mit wem ich will», sagt er.
Überall würde er allerdings nicht hingehen, die FPÖ sei ihm zu radikal und die Angebote von Front-National-Chefin Marine Le Pen habe er stets ausgeschlagen («ihr Gesellschaftsprojekt ist zu etatistisch»). Dass er in der Öffentlichkeit in die braune Ecke gedrängt werde, sei «eklig», sagt Freysinger. «Am Anfang habe ich mich noch vor dem Rufschaden gefürchtet, aber irgendwann hat es mir den Nuggi rausgehauen. Es kann doch nicht sein, dass ich mich einschüchtern lasse», sagt er. Die Grenzen des Rechtsstaats seien ihm heilig, er habe sie stets eingehalten.
Oskar Freysingers politische Karriere in Bildern:
Freysinger sieht sich als Gegenentwurf zur politischen Elite, bezeichnet sich als Guerilla-Kämpfer. Solch plakative Aussagen stossen bei dem Teil der Bevölkerung, der sich «von denen da oben» nicht vertreten fühlt, auf fruchtbaren Boden. Das zeigt sich an den Hunderten Zuhörern in deutschen oder französischen Hallen, das zeigt sich im kleinen Konzertlokal im Unterwallis.
Der Mann, der seit bald 30 Jahren mit der gleichen Frau zusammen ist, preist die traditionelle Familie (dass sein grosser Widersacher im Wallis, der frühere CVP-Präsident Christophe Darbellay, ein uneheliches Kind hat, habe damit nichts zu tun, beteuert Freysinger), er beruft sich auf kulturelle, christliche, ja gar kantonale Werte, er grenzt ab und aus.
Einer seinen Wahlslogans lautet «Das Wallis zuerst», abgekupfert von US-Präsident Donald Trump. Ohnehin, Trump. Das übermässige Betonen der eigenen Identität, die als Show inszenierten Auftritte, das Streben nach einer konservativen Revolution, die Ablehnung von allem Fremden – der starke Mann des Wallis erinnert an den starken Mann Amerikas. Der Vergleich stört ihn nicht: «Trump wird vom Establishment verteufelt, weil er Klartext redet. Das ist genau mein Schicksal.»
In die Gilde des respektierten Politpersonals wird Freysinger nie aufsteigen, es ist ihm auch egal. Er fühlt sich von der Bevölkerung getragen und verweist immer wieder darauf, dass er vor vier Jahren das beste Resultat aller Staatsräte gemacht hatte. Auch diesmal scheint seine Wahl trotz aller Kritik ungefährdet. Das weiss die Bürgerbewegung «Coupons-lui la voie».
Sie sammelt bis heute Geld, um allen 160'000 Haushalten des Kantons eine Informationsbroschüre über seine grössten «Fehlleistungen» zuzuschicken. Ihm damit den Weg abzuschneiden, bleibt unrealistisch. Das Rhonetal ist zu wenig eng.
13 Sterne hat das Walliser Wappen – und genau so viele Kandidaten stellen sich am 5. März der Wahl in den Walliser Staatsrat (ein allfälliger zweiter Wahlgang findet am 19. März statt). Von den fünf Bisherigen treten drei wieder an: Esther Waeber-Kalbermatten (SP), Oskar Freysinger (SVP) und Jacques Melly (CVP). Die neue Rekordzahl an Bewerbern vermag die Irrungen und Wirrungen der vergangenen Wochen jedoch nicht alleine zu erklären.
Lange sah es danach aus, als ob der frühere CVP-Präsident Christophe Darbellay trotz seines unehelichen Kindes problemlos gewählt wird. Bis Freysinger einen regelrechten Coup landete und den konservativen CVP-Mann Nicolas Voide – ein Intimfeind Darbellays – auf seine SVP-Liste setzte. Da dieser im gleichen Bezirk wie Darbellay wohnt, daraus aber nur einer gewählt werden kann, wird das Rennen nochmals spannend.
Auch die SP hat ihren Sitz noch nicht auf sicher, mit dem früheren Nationalratspräsidenten Stéphane Rossini tritt ein prominenter Kandidat gegen Parteikollegin Waeber-Kalbermatten an. Dass sich auch diese beiden nicht mögen, verkommt angesichts der Querelen fast zur Randnotiz. (fum)