Der Rüeblimärt darf das Kultur- und Kongresszentrum (KuK) nicht nützen, Feldschlösschen darf kein alkoholhaltiges Freibier ausschenken, die Topfpflanzen vor einem Restaurant passen nicht ins Stadtbild... Diese und andere Erlasse erzürnen die Aarauer. Marcel Guignard, Stadtammann von Aarau, verteidigt diese Beschlüsse.
Thomas Röthlin
Herr Guignard, Stadtluft macht frei, hiess es im Mittelalter. Aarau reicht bis in diese Zeit zurück, das Rechtsgebaren erinnert allerdings eher an neuzeitliche Prohibition.
Marcel Guignard: Wenn man ausschliesslich auf die wenigen Unzufriedenen und allein auf deren Sicht der Dinge hört, kann dieser Eindruck durchaus entstehen. Tatsache ist aber, dass übers Jahr hinweg unzählige Bewilligungen im öffentlichen Raum anstandslos erteilt werden. Es ist vielleicht ein Zeichen der Zeit, dass jemand den Schlagabtausch auf die mediale Ebene verschiebt, wenn er mit unserem Entscheid nicht einverstanden ist. Ich bedaure das zwar, verwehre mich dem aber nicht.
Die sich in letzter Zeit häufenden restriktiven Beschlüsse und Massnahmen sind nicht die Spitze des Eisbergs?
Guignard: Nein. Ich stelle einfach fest, dass die Anforderungen an den öffentlichen Raum permanent zunehmen. Hier müssen deshalb Regeln gelten. Für Anwohnerschutz, Sicherheit und Ordnung braucht es einen gewissen common sense, damit Individuen nicht von Freiheiten anderer überrollt werden.
Ein paar Beispiele, angefangen beim Rolling-Rock-Shop. Dieser musste die Fassadenreklame entfernen, weil die Schrift 23 Zentimeter zu hoch war.
Guignard: Hier gehts letztlich darum, das Bild der Altstadt zu schützen. Das Haus ist unter Denkmalschutz, das letzte Wort hat der kantonale Denkmalpfleger. Kommt hinzu, dass die Reklame ohne Bewilligung montiert wurde - was sich nicht niederschlagen soll auf die materielle Beurteilung der Angelegenheit!
Sie sollten doch froh sei um Frequenzbringer in der verkehrsberuhigten Altstadt. Täte mehr Laisser-faire nicht gut?
Guignard: Bei der Anwendung der Spielregeln gibts auch Ermessenspielraum. Aber man muss auch Rechtsgleichheit herstellen. Nur weil hier Junge betroffen sind, kann man nicht weniger streng sein.
Ein ähnlicher Fall waren die Topfpflanzen vor dem Restaurant Platzhirsch. «Ein Nadelbaum passt nicht in die Stadt, sondern in den Wald», wurde den Betreibern beschieden.
Guignard: Die Spielregeln in der Altstadt dienen sowohl den Behörden als auch den Betroffenen, die sich darauf berufen können. Es muss Verschiedenes berücksichtigt werden: Verkehr, Lärm, Ästhetik. Bei der Bepflanzung sollte man allerdings nicht päpstlicher sein als der Papst. Im «Platzhirsch»-Fall hat der «Wald auf der Strasse» allerdings auch eine gewisse Reklamefunktion. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, wir sind in Verhandlungen mit dem Wirt. Es zeichnet sich eine befriedigende Lösung ab.
Dann gehen Sie mit dem Stadtpolizeichef einig. Dieser verweigerte den Vollzug mangels «nachvollziehbarer Linie» in Sachen Reglementsauslegung.
Guignard: Ich will nicht Partei ergreifen, aber: Wenn sich das Stadtbauamt, wo das Ästhetische im Vordergrund steht, und die Stadtpolizei, für die das Praktische wichtig ist, uneinig sind, entscheide in Zukunft im Zweifelsfall ich selber.
Drittens hat Aarau Feldschlösschen den Ausschank von alkoholartigem Bier zu Werbezwecken letzte Woche untersagt. Begründung war eine laufende Präventionskampagne.
Guignard: Da unterstütze ich voll die Haltung des Stadtpolizeichefs. Wir können nicht für viel Steuergeld eine Kampagne machen, in der klar die Verbindung zwischen Gewalt und Alkohol aufgezeigt wird, und dann Freibierausschank ohne Auflagen auf öffentlichem Grund bewilligen. Das beisst sich.
Ist das nicht fadenscheinig, wenn gleichzeitig sonst überall gebechert wird?
Guignard: Wir können nicht an jeder Ecke präsent sein. Es ist heute nicht verboten, im öffentlichen Raum Alkohol zu konsumieren. Dass es dereinst dazu kommen könnte, ist aber durchaus in Diskussion. Ob sich die Freiheit auf Dauer halten kann, auf der Strasse zu trinken, da mache ich zumindest ein Fragezeichen. Es gibt schon Orte, wo das der Fall ist.
In Chur darf nach Mitternacht auf öffentlichem Grund kein Alkohol getrunken werden.
Guignard: Ja. Aber es ist offen, ob wir diesen Weg beschreiten.
Verbieten wollen Sie viertens die Benützung des Kultur- und Kongresshauses (KuK) durch den Rüeblimärt. Das KuK genüge nur höheren kulturellen Ansprüchen.
Guignard: Der Rüeblimärt ist seit über 30 Jahren in Aarau. Seit 15 Jahren sind die Veranstalter nicht mehr im KuK, ohne dass sie stark gelitten hätten. Was in jüngerer Zeit weggefallen ist, ist der «Affenkasten». Wir sind auf gutem Weg, eine Ersatzlösung zu finden. Ich habe ein Angebot gemacht für ein Zelt am unteren Ende des Grabens. Es stimmt nicht, dass die Organisatoren finanziell alles selber tragen müssen, wie in der AZ stand. Wir sind bereit, Ihnen mindestens so viel zu geben, wie sie für die KuK-Miete zahlen müssten: 4000 Franken. Damit stehen dem Rüeblimärt für eine Alternative 8000 Franken zur Verfügung. Falls die gesamte Finanzierung des Zeltes zustande kommt, kann Walter Käser damit sehr gut leben, wie er mir versicherte. Er hat übrigens einen eventuellen Ersatzstandort ins Spiel gebracht: den Maienzug- oder Viehmarktplatz. Das wäre für die Erschliessung ideal: Im Schachen kommen die Cars aus der ganzen Schweiz an.
Am Maienzugvorabend sieht das KuK-WC auch nicht gerade appetitlich aus.
Guignard: Das mag sein. Aber hier präsentieren Kantonsschüler kulturelle Darbietungen. Wir müssen aufpassen, dass wir aus dem KuK nicht einfach wieder eine Mehrzweckhalle machen mit Autoausstellungen wie im alten Saalbau. Was der Rüeblimärt sucht, ist eine Verpflegungsstätte mit Toiletten. Allein dafür ist das KuK nicht gemacht.
Wir fragten nach: Andere Marktorte würden den Rüeblimärt gern bei sich aufnehmen.
Guignard: Die vielen Gäste kommen auch, weil Aarau ein schöner Marktort ist mit einer schönen Altstadt in umittelbarer Umgebung. Ich würde es bedauern, wenn diese Attraktion aus Aarau verschwinden würde. Natürlich ist es einfach zu sagen, wir nehmen den Rüeblimärt bei uns auf. Aber auch in Schöftland zum Beispiel müsste sich zuerst herausstellen, wo die Bedürfnisse, die der Marktveranstalter im KuK befriedigen möchte, abgedeckt sind. Wohl kaum im Schlossgarten.
Fünftens wurden den Organisatoren der Stadtstubete fast 900 Franken für Lärmmessungen durch die Stadtpolizei in Rechnung gestellt. Jetzt droht dem gemütlichen Ländler-Open-Air das Aus.
Guignard: Auch hier gilt es zum Schutz der Altstadtbewohner, Richtlinien einzuhalten. Die Stadtstubete wird im Wohngebiet nicht von allen gleichermassen geschätzt. Die Veranstalter müssen in der Lage sein, die Lautstärke bei Bedarf runterzufahren. Dafür brauchts ein Lärmmessgerät, das die Stadt auf Anfrage zur Verfügung gestellt und bedient hat. Der Stadtrat war der Meinung, die Kosten seien zu hoch, um der Stadtstubete voll zu überwälzen. So machten wir à l'amiable halb-halb.
Es kann doch nicht sein, dass wegen knapp 450 Franken der ganze Anlass in Frage gestellt wird.
Guignard: Wenn das von den Veranstaltern so zugespitzt wird, tut es mir leid. Irgendwann muss schlussendlich das Verursacherprinzip gelten. Die öffentliche Hand ist nicht Verursacherin dieser Immissionen.
Schliesslich gehen Aarauer Wirte nächstens vor Gericht, wo sie sich gegen saftige Bussen wehren. Sie tappten am Maienzugvorabend 2008 Alkohol-Testkäufen durch Jugendliche in die Falle.
Guignard: Von einer Falle kann keine Rede sein. Sämtliche Wirte wurden mehrfach vororientiert. Die Kontrollen wurden angekündigt. Wenn man die Regeln nicht durchsetzt, dann sind sie hohl.
Man wird die Befürchtung nicht los, Aarau werde zu Tode reguliert. Und das in einer Zeit, in der das Aushängeschild, der historische Kern, von urbanen Entwicklungen am Bahnhof, in der Gais und im Torfeld in den Schatten gestellt zu werden droht.
Guignard: Nochmals: Sehr vieles in der Altstadt läuft reibungslos. «Aarau wird zum Bauernhof» zum Beispiel findet anstandslos statt wie die beliebte «Musig i de Altstadt». Auch für die Weihnachtsbeleuchtung am Rain und der Vorderen Vorstadt haben wir sofort Hand geboten. Die Altstadt braucht und erhält die Unterstützung der öffentlichen Hand.
Aarau ist jetzt «Swiss City». Wichtig ist doch aber auch Standortmarketing nach innen, indem die Behörden den Gewerbetreibenden und Kulturveranstaltern entgegenkommen.
Guignard: Das machen wir doch! Wir haben gerade ein grosses Kulturfest hinter uns. Ich wiederhole: Man sollte nicht nur auf jene hören, die am lautesten rufen. Oft wird auch versucht, die Richtlinien auszureizen. Ich würde es ausserordentlich bedauern, wenn aufgrund der jetzt angesprochenen Einzelfälle eine Stimmung aufkäme, wonach innovative, uneigennützige Private, die den öffentlichen Raum beanspruchen, einer kleinkarierten, hinterwäldlerischen Behörde gegenüberstehen. Der gelebte Alltag zeigt ein gefälligeres und harmonischeres Bild.