Terrorbekämpfung
Niederlage für SVP und CVP: Der Nationalrat will keine Präventivhaft für Gefährder

Das Parlament will terroristische Gefährder härter anpacken. Auf die umstrittenste Massnahme, die Präventivhaft, verzichtet der Nationalrat zwar. Widerstand gibt's trotzdem.

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SVP-Nationalrat Mauro Tuena warb im Parlament für die Präventivhaft, Justizministerin Karin Keller-Sutter stellte sich dagegen.

SVP-Nationalrat Mauro Tuena warb im Parlament für die Präventivhaft, Justizministerin Karin Keller-Sutter stellte sich dagegen.

Keystone/Peter Klaunzer (16.6.2020

Selten sorgt ein Kommissionsentscheid für solchen Wirbel, wie kürzlich jener zur Präventivhaft. Selbst UNO-Sonderbotschafter schalteten sich per Brief in die Debatte ein. Der Auslöser: Die sicherheitspolitische Kommission hatte sich Mitte Mai knapp dafür ausgesprochen, dass sogenannte Gefährder in Haft genommen werden können, um terroristische Attacken zu verhindern.

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Der Antrag führte gestern im Nationalrat für eine hitzige Debatte. SVP-Nationalrat Mauro Tuena sagte im Namen der Kommission:

Die Politik hat die Pflicht, alles zu unternehmen, um Terroranschläge möglichst zu verhindern.

Mit vorbeugenden Massnahmen wie der Präventivhaft könnten Menschenleben gerettet werden, gab er zu bedenken.

GLP-Nationalrat Beat Flach warnte hingegen vor «absoluter Willkür»: Man dürfe nicht jemanden der Freiheit berauben, der vielleicht einmal eine Straftat begehen werde. Auch Justizministerin Karin Keller-Sutter schlug sich auf die Seite der Gegner: Die Präventivhaft würde gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen, gab sie zu bedenken.

Entscheidende FDP-Stimmen

Diese Argumente verfingen. Der Nationalrat stellte sich mit 113 zu 78 deutlich gegen die Präventivhaft. Neben der SVP sprach sich lediglich noch die CVP dafür aus. Und sie tat dies nur halbherzig: Auch der Ständerat solle die Gelegenheit erhalten, darüber zu diskutieren, erklärte die Partei.

Den Ausschlag für den Entscheid gab die FDP: Zusammen mit dem links-grünen Lager sprach sie sich grossmehrheitlich gegen die Präventivhaft aus – anders als noch in der Kommission. Sie folgte damit dem Antrag ihrer Bundesrätin Keller-Sutter.

Damit dürfte die Forderung nach einer Präventivhaft vom Tisch sein – auch wenn dazu noch eine Motion hängig ist. Aufgebracht hatten die Forderung ursprünglich die Kantone; sie haben inzwischen jedoch davon Abstand genommen.

Hausarrest statt Präventivhaft

Auch wenn die Präventivhaft der Mehrheit am Donnerstag im Nationalrat zu weit ging: Wie der Ständerat will auch die grosse Kammer der Polizei zusätzliche Mittel geben im Umgang mit Gefährdern – Personen also, von denen potenziell eine terroristische Gefahr ausgeht. Möglich sein sollen unter anderem Kontakt- und Ausreiseverbote sowie Hausarrest. Für letzteres wäre eine richterliche Genehmigung nötig.

SP, Grüne und GLP warnten, dies untergrabe den Rechtsstaat. «Die Massnahmen treffen Menschen, die weder eine Straftat vorbereitet, geschweige denn begangen haben», sagte SP-Nationalrätin Franziska Roth. Die bürgerliche Mehrheit befand jedoch, die Polizei brauche diese Mittel; es gehe darum, Lücken in der Terrorbekämpfung zu schliessen.

Beschwerde vor UNO-Ausschuss geplant

Ein besonders umstrittener Punkt ist das Alter: Massnahmen wie Kontakt- und Rayonverbote sollen laut Bundesrat bereits bei 12-Jährigen angeordnet werden können, mehrmonatiger Hausarrest ab einem Alter von 15 Jahren. Der Nationalrat wird erst heute darüber beraten; er dürfte an der Altersgrenze aber nichts ändern.

Die Jungen Grünen wollen deswegen beim UNO-Ausschuss für die Rechte der Kinder Beschwerde einreichen. «Einen solch tief greifenden Eingriff in die Rechte der Kinder darf es nicht geben, auch nicht als letztes Mittel», sagt Co-Präsidentin Julia Küng. Sie warnt zudem davor, die Massnahmen könne kontraproduktiv sein: «Setzt man einen Jugendlichen unter Hausarrest, könnte er sich noch mehr radikalisieren.» Die Jungen Grünen hoffen, dass der UNO-Ausschuss ihre Bedenken teilen wird – und dies auch in der Schweiz zu einem Umdenken führt.