Interview
Niall Ferguson über die Klima-Aktivisten: «Eine nebulöse Millionärsbewegung»

Die Ziele der Klimabewegung seien wenig greifbar, sagt der britische Historiker Niall Ferguson im Interview mit der «Schweiz am Wochenende». Ganz im Gegensatz zu jenen der rechtspopulistischen Bewegung. Dieser aber prophezeit er den Niedergang: Trump & Co. stünden jetzt auf dem Zenit der Macht.

Patrik Müller
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Analysiert die Klima- und die rechtspopulistische Bewegung: Niall Ferguson.

Analysiert die Klima- und die rechtspopulistische Bewegung: Niall Ferguson.

Michael Buholzer/WEF

Er doziert an den besten Universitäten der Welt: in Stanford und Harvard in den USA, früher in Oxford in Grossbritannien. Niall Ferguson, 55, besticht nicht nur mit glasklaren Analysen, sondern mit konservativen Ansichten, die an den linksliberal geprägten Universitäten oft provokativ wirken. Diese Woche weilte der Historiker am WEF in Davos, und auch da waren seine Analysen erfrischend ausserhalb des Mainstreams.

Sie gehören zu den Experten, die 2016 nicht mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gerechnet hatten. Wagen Sie für 2020 trotzdem eine Prognose?

Niall Ferguson: Damals gab ihm praktisch niemand eine Chance, und es kam anders. Heute sagen die meisten, Trump würde wiedergewählt. Und genau das macht mich misstrauisch – weil mir unser aller Irrtum von 2016 noch in den Knochen sitzt. Ich würde heute also eher gegen Trump wetten. Aber wir sind im Januar, die Wahl ist im November, da kann noch sehr viel passieren.

Die US-Wirtschaft läuft wie geschmiert, die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Tief. Das liege an ihm und seiner Politik, behauptet Trump. Stimmt das?

Er hat durchaus einen Anteil an der ­guten Wirtschaftslage. Auch wenn das vielen nicht passt. Aber Trumps Politik trägt dazu bei, dass die Konsumenten in bester Laune sind, und das starke Wachstum der Arbeitsplätze ist eine Realität. In normalen Zeiten würde das einem Präsidenten locker für die Wiederwahl reichen, aber diesmal ist es nicht nur die Wirtschaft, die entscheidend sein wird.

Was denn sonst?

Trump ist als Person derart im Fokus, die Meinungen sind derart geteilt über ihn, dass selbst die beste Wirtschaftslage seine Beliebtheitswerte kaum verändern. Trump ist bei einer Mehrheit der Amerikaner unpopulär. Bei Frauen, Jungen und Minderheiten ist er sogar sehr unbeliebt. Das wird nicht einfach wettzumachen sein. Und ob im Sommer und Herbst die Wirtschaft immer noch so blendend läuft, ist keineswegs sicher.

Sie rechnen mit einem Abschwung?

Nicht unbedingt, es ist einfach unsicher. Viele Unternehmen werden Investitionen bis zu den Wahlen eher zurückfahren, solange diese nicht entschieden sind.

Als Professor an der Elite-Universität Stanford zählen Sie zu den wenigen Stimmen, die es wagen, auch die positiven Seiten der Trump-Präsidentschaft zu betonen. Braucht das Mut?

Nun, damit gewinne ich in Stanford ­sicher keinen Beliebtheitswettbewerb. Aber das will ich auch nicht. Ich bin Wissenschafter. Und da ist mein Credo: Sag es, wie es ist. Manchmal ist es halt so, dass die Erkenntnisse, zu denen man kommt, unpopulär sind. So ist es beispielsweise eine Tatsache, dass unter Trump die Löhne der schlecht ausgebildeten Arbeiter überdurchschnittlich stark gestiegen sind.

Ist diese Erkenntnis unpopulär?

In linksliberalen Kreisen und an Universitäten schon. Man will nicht wahrhaben, dass viele einfache Leute Trump nicht nur gewählt haben, sondern jetzt auch von seiner Politik profitieren. Trump war auch gut für Minderheiten, etwa für die Afroamerikaner. Ihre Erwerbsquote und ihre Löhne stiegen überdurchschnittlich. Es gibt Daten, die das eindeutig zeigen.

Eine Tatsache ist aber auch, ­ dass seine Steuersenkungen vor allem die Reichsten noch reicher machten.

Sie haben profitiert, doch insgesamt ist die Ungleichheit ein wenig zurückgegangen. Eben weil die breite Masse der schlecht Ausgebildeten Lohnerhöhungen auf breiter Front erhalten hat und die Arbeitslosigkeit gefallen ist.

«Sag es, wie es ist»: Ist dieses Prinzip an Universitäten oder auch in den Medien gefährdet, wenn die Vorteile der Trump-Politik tabuisiert werden?

Bei den Medien sehe ich diese Gefahr weniger. Die freie Meinungsäusserung ist dort nicht bedroht. In der akademischen Welt gibt es aber durchaus bedenkliche Entwicklungen. Ich selber konnte immer schreiben und sagen, was ich denke, doch an den Universitäten wächst der Druck auf Studenten und Dozenten, sich mit unerwünschten Erkenntnissen zurückzuhalten. Viele fühlen sich von den «Social Justice Warriors» eingeschüchtert («Krieger der sozialen Gerechtigkeit», die Red.). Und das ist sehr ungesund. Wissenschaft ist sinnlos, wenn sie nicht ergebnisoffen forscht und sagen kann, was Sache ist.

Ist diese Befürchtung nicht übertrieben?

Es gibt Untersuchungen, die zeigen: Studenten mit konservativen Ansichten wagen es nicht mehr, ihre Meinung klar auszudrücken. Die linksliberale Dominanz und der Druck sind so gross, dass uns das als Wissenschafter wirklich besorgen muss.

Der Populismus war ein Kennzeichen der 2010er-Jahre. Wird das im neuen Jahrzehnt so bleiben? Oder ist der Populismus mit Trump, Boris Johnson in England, Bolsonaro in Brasilien und Modi in Indien jetzt auf dem Zenit angekommen?

Die Kombination aus Nationalismus und kulturellem Konservatismus hat im letzten Jahrzehnt in vielen Ländern gut funktioniert – vor allem bei Arbeitern. Das dürfte in den kommenden Jahren so bleiben. Doch zum Ende des neuen Jahrzehnts wird die Demografie einiges ändern. Jüngere Menschen, die heutige Klimajugend, werden auch später eher nach links neigen. In den USA wachsen die Minderheiten schneller als die Gesamtbevölkerung.

Kommt es zu einer Linksverschiebung in der Politik?

Ich rechne in mehreren Ländern damit, ja. In der jungen Bevölkerung gibt es nicht nur das Klima, das mobilisiert, sondern auch eine sozialistische Strömung, die empfänglich ist für Umverteilung.

Bedeutet dies das Ende des Rechtspopulismus zum Ende der 2020er-Jahre?

Nicht überall, aber insgesamt kann ich mir nicht vorstellen, dass mit den Rezepten der Rechtspopulisten in zehn Jahren noch Wahlen gewonnen werden können.

Sehen Sie Parallelen zwischen der rechtspopulistischen Bewegung und der Klimabewegung?

Ich sehe primär einmal die Unterschiede. So ist die Klimabewegung etwas abgehoben und gar nicht so politisch. Die Aktivisten sind zu wenig an den Fakten dran. Ein Beispiel: Die Jugendlichen greifen vor allem Trump und die westlichen Regierungen an. Dabei ignorieren sie, dass vor allem China verantwortlich ist für die Zunahme des CO2-Ausstosses. Seit Greta Thunberg geboren worden ist, hat China 60 Prozent der zusätzlichen Treibhausgase ausgestossen.

Die Rechtspopulisten sind politischer?

Sie sind konkreter, sie operieren nach Zahlen: Sie wollen weniger Immigranten und geben zumindest vor, im Inland so und so viele Jobs schaffen zu sollen. Man kann damit einverstanden sein oder nicht, aber das ist greifbar. Die Klimabewegung hingegen ist nebulös, und es ist eine Millionärsbewegung. Da sehe ich wenig Greifbares.

Besteht nicht eine Parallele darin, dass Rechtspopulisten und Klimaaktivisten Ängste des Volkes bewirtschaften?

Das stimmt, Trump hat 2016 auch mit apokalyptischer Rhetorik gearbeitet. Das tut er jetzt, wo er an der Macht ist, nicht mehr – nun sagt er, Amerika stehe grossartig da. Es gibt immer Optimismus und Pessimismus gleichzeitig. Dazu passt, dass die Wirtschaft zwar gut läuft zurzeit, dass aber die Unternehmen gemäss dem Risikoreport des WEF im Klimawandel grosse Gefahren sehen. Und dann gibt es völlig unerwartete Risiken, wie jetzt das Coronavirus in Wuhan – sowas kann je nach Verlauf zu einer bösen und folgenreichen Überraschung werden.

Seit zehn Jahren wächst die Wirtschaft, doch irgendwann kommt die nächste Rezession. Was wird diese verändern?

Dass das in den nächsten zwölf Monaten passiert, ist unwahrscheinlich. Aber die Geschichte zeigt: Wirtschaftliche Schocks können eine Generation stark beeinflussen. Die Millennials wurden geprägt von der Finanzkrise 2008/2009. Die Klimajugend hat keine Rezession erlebt und glaubt, es sei normal, dass die Wirtschaft wachse und wachse.

Was, wenn die Klimajugendlichen die erste Krise erleben?

Dann wird es konkret. Wenn sie nach Studienabschluss keinen Job finden, dann verändert das die Sicht auf sehr vieles, so etwas prägt. Es wird interessant zu sehen sein, wie diese Generation den Realitätscheck bewältigt.

Kommen wir noch auf die Schweiz zu sprechen, die Sie gut kennen. Hat ein Kleinstaat ausserhalb der EU in Zeiten von Handelskrieg und internationalen Problemen wie der Klimaerwärmung langfristig eine Zukunft?

Die Schweiz zeigt: Es gibt ein Leben ausserhalb der EU, und es ist ganz gut. Ihr Land hat rechtzeitig ein Arrangement mit der EU ausgearbeitet – ein Weg, der Grossbritannien noch bevorsteht.

Doch das Gezerre um den Rahmenvertrag zeigt, dass es auch für die Schweiz immer schwieriger wird.

Ausserhalb der EU zu sein, ist anstrengend, aber ökonomisch lohnenswert. Die Schweizer tun gut daran, ihre Unabhängigkeit weiterhin so entschieden zu bewahren wie bis anhin. Die Briten sahen das ebenso.

Ihr Austritt hat einen hohen Preis, einverstanden?

Die Mehrheit hat entschieden, gewisse Kosten auf sich zu nehmen, wenn dafür die nationale Souveränität gestärkt wird.

Es gibt die Sicht, die etwa Angela Merkel diese Woche in Davos vertreten hat: Im weltweiten Wettbewerb hat neben den Vereinigten Staaten und China Europa nur dann eine Chance, wenn es geeint auftritt.

Wenn das heisst, dass die EU darauf hofft, dass Grossbritannien früher oder später wieder der EU beitreten wird, dann wäre das ein Irrtum. Das Interesse der Briten wird eher abnehmen. Das zeigt sich in der Schweiz, die nie dabei war und wo die Zustimmung zu einem Beitritt sehr tief gesunken ist. Und noch ein letzter Punkt.

Bitte.

Wäre die Europäische Union ein lockerer Staatenbund geblieben und hätte sie sich nicht zu stark integriert, dann wäre Grossbritannien nicht ausgetreten. So aber ist die EU weder für Grossbritannien noch für die Schweiz eine Option. Es gibt keine Mehrheiten dafür, in einem grossen Ausmass politische ­Unabhängigkeit und Mitsprache abzugeben.

Streitbarer Historiker


Niall Ferguson wurde 1964 in Glasgow als Sohn einer Lehrerin und eines Hausarztes geboren. Er studierte Geschichte an der Oxford University. Im Jahr 2004 nahm er den Ruf nach der US-Universität Harvard an, inzwischen ist er vor allem in Stanford (Kalifornien) tätig. Der Experte für Wirtschafts- und Finanzgeschichte ist Autor mehrerer internationaler Bestseller wie «Türme und Plätze: Netzwerke, Hierarchien und der Kampf um die globale Macht». Ferguson fällt in der Wissenschaftsgemeinde mit seinen oft konservativen Ansichten auf. Er ist verheiratet mit der aus Somalia stammenden niederländischen Politikerin, Frauenrechtlerin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali. Er ist vierfacher Vater.