Verjährung
Nationalrat will mehr Rechte für Geschädigte und Asbestopfer

Der Nationalrat will, dass Körperverletzungen und Todesfälle erst nach 20 Jahren verjähren sollen.

Andrea Tedeschi
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Es dauert 20 bis 40 Jahre, bis eine Krankheit als Folge der Exposition von Asbest ausbricht. Eddy Risch/Keystone

Es dauert 20 bis 40 Jahre, bis eine Krankheit als Folge der Exposition von Asbest ausbricht. Eddy Risch/Keystone

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Zehn Feuerwehrmänner löschten in Gretzenbach brennende Autos in einer Tiefgarage. Die Betondecke stürzte ein und sieben Männer starben. Das war im November 2004. Die Ursache: Zu viel Erde auf dem Garagendach und eine falsche Berechnung der Statik. Bauherren und Eigentümer hatten bereits 1990 Risse an der Decke festgestellt und nichts dagegen unternommen. Das Obergericht sprach sie trotzdem frei. In der Schweiz verjährt der Anspruch auf Schadenersatz bei Körperschäden und Todesfällen nach zehn Jahren. Das soll sich nun ändern.

Gestern hat eine knappe Mehrheit im Nationalrat die geltende Verjährungsfrist auf 20 Jahre verlängert, spezielle Regeln für Asbestopfer lehnte er jedoch ab. . Hintergrund für die Gesetzesänderung ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der die Verjährungsfrist von 10 Jahren als zu kurz kritisierte. Der Bundesrat hatte 30 Jahre vorgeschlagen, weil es den Fristen anderer Gesetze wie der Gentechnik oder Kernenergie entspräche. Doch 30 Jahre wären auch nötig gewesen, damit besonders Asbestopfer klagen können. Bis eine Krankheit als Folge der Exposition ausbricht, dauert es zwischen 20 und 40 Jahren.

Asbest galt besonders auf dem Bau bis weit in die achtziger Jahre als Wunderfaser, sie war billig, formbar und feuerfest. Seit 1990 ist Asbest in der Schweiz verboten. Sobald Asbestfasern freigesetzt werden, können sie Lungen- oder Zwerchfellkrebs auslösen. In der Schweiz erkranken laut der Unfallversicherer SUVA als Folge dieser Zeit im Schnitt jährlich über 280 Menschen, weil sie Asbestfasern eingeatmet haben, und 100 Menschen sterben. Betroffen sind besonders Handwerker wie Schreiner, Gipser und Elektriker, die Asbeststaub ausgesetzt sind. Aber auch unbeteiligte wie Hausfrauen, welche die Kleider ihrer Männer wuschen und dabei mit den Fasern in Kontakt kamen.

Wirtschaft will Rechtssicherheit

Der Entscheid des Nationalrats ist also ein Kompromiss – besonders für die Vertreter der Wirtschaft. Denn das Problem sei gelöst, sagte FDP-Nationalrat Giovanni Merlini, seit es die Stiftung Entschädigungsfonds für Asbestopfer (EFA) gäbe - seit dem Sommer 2017. Sie soll eine unbürokratische Lösung für Betroffene sein, die wegen Verjährung keine Ansprüche mehr geltend machen können oder den Rechtsweg nicht bestreiten wollen. 77 Forderungen von Betroffenen sind laut EFA bisher eingegangen, 13 wurden positiv beantwortet.

«20 Jahre ist eine kompromissfähige Lösung und wichtiger Meilenstein», sagt Benjamin Schlesinger, Geschäftsführer der Stiftung. Denn die Wirtschaft ist nur bereit, freiwillig in den Fond der Stiftung einzuzahlen und Opfer zu entschädigen, wenn die Rechtslage klar ist und sie finanzielle Rückstellungen bilden können. Gespendet sind bis jetzt laut EFA 6 Millionen, weitere 30 bis 40 Millionen sollen noch folgen.

Geschäft geht noch in Ständerat

SP-Nationalrat und Kommissionspräsident Corrado Pardini wertet den Entscheid des Nationalrats durchaus als Erfolg, sagt im Gespräch aber auch: «Jetzt steht die Wirtschaft in der Pflicht.» Sie müsse ihren Versprechen nachkommen.

Doch zunächst geht das Geschäft in den Ständerat, der erst noch zustimmen muss.