Die Nagra grenzt ihre Suche nach Standorten ein – für ihre Kritiker viel zu früh. Der Aargau könnte dabei als nationale Atommüllhalde enden.
Frühestens 2060 kann die Schweiz ihre hochaktiven Abfälle aus der Atomstromproduktion in geologischen Tiefenlagern entsorgen. Bis es soweit ist, lagern die radioaktiven Brennelemente im Zwischenlager Würenlingen oder bei den AKW selber.
Beim Bau der ersten Atomreaktoren machte sich niemand Gedanken darüber, was mit dem radioaktiven Müll passieren soll. Erst 1978, als Beznau und Mühleberg längst in Betrieb waren, wurde die Erteilung weiterer Rahmenbewilligungen für den Bau neuer AKW mit der Frage der Entsorgung verknüpft. Bis heute wird der hochaktive Atommüll aus den AKW, die Uran-Brennstäbe, bei den AKW selber oder im Zwischenlager Würenlingen gelagert. In seinen «Wartehallen» bietet Letzteres Platz für Atommüll aus 40 Jahren.
Die Suche nach geeigneten Standorten für ein Endlager ist ein Rennen, das niemand gewinnen will.
Eigentlich schon lange aus diesem Wettbewerb ausgeschieden ist der Wellenberg im Kanton Nidwalden. Was dort mehrere (klare) Volksverdikte längst klar machten, wurde am Mittwoch nur bestätigt: «Kein Endlager Wellenberg», titelte der «Tages-Anzeiger».
Dem Vernehmen nach lässt die zuständige Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) neben dem Wellenberg nun auch das Gebiet Nördlich Lägern fallen. Das zeigen Recherchen der «Nordwestschweiz».
In ihrer Eingrenzung auf geeignete Gebiete befindet sich die Nagra nun in Etappe 2. Gemäss Sachplan geologische Tiefenlager liegt das Ziel in einer Einengung auf mindestens zwei potenzielle Standorte für ein Lager hochaktiver Abfälle (HAA) und zwei für ein Lager schwach- und mittelaktiver Abfälle (SMA).
Aussagen im Zuge einer Debatte des Zürcher Kantonsrats, wonach das für das Verfahren verantwortliche Bundesamt für Energie (BfE) die Zahl der Lager für hochaktive Abfälle von drei auf zwei reduziert, bestätigte dieses.
Weil dem Vernehmen nach auch das Tiefenlager Jura-Südfuss für schwach- und mittelaktive Abfälle von der Liste genommen werden könnte, ist denkbar, dass die Nagra morgen Freitag sogar die Konzentration auf drei Standorte verkündet: die beiden HAA-Lager Zürich Nordost im Zürcher Weinland und Jura Ost (Bözberg) im Aargau sowie das SMA-Lager Südranden SH.
Dort ist man wenig erfreut. Denn damit steigt die Wahrscheinlichkeit für ein Endlager im Weinland oder im Bözberg.
Max Chopard, der Präsident des Vereins «Kein Atommüll im Bözberg!», hat kein Verständnis für die Streichung von Nördlich Lägern und des Wellenbergs bei der gleichzeitigen Beibehaltung des Bözbergs. Das Tiefenlager gehöre an den sichersten Standort. «Wenn Wellenberg und Nördlich Lägern geologisch ungeeignet für die Lagerung von Atommüll sind, dann sollen sie rauskippen. Aber das gilt auch für den Bözberg. Dort gibt es viel zu viel Wasser. Und das findet bekanntlich immer seinen Weg.»
Ähnlich sieht es auch Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energie-Stiftung. Sie kritisiert, dass die Nagra entscheidet, ohne vertiefte Untersuchungen vorgenommen zu haben. «Im Weinland hat man die Geologie am eingehendsten untersucht. Doch es haben alle drei Standorte für hochaktive Abfälle ihre Nachteile.»
Für die Nagra willkommen: Mit der Streichung von Nördlich Lägern könne die Nagra viel Geld für die nötigen 3D-Seismik-Abklärungen einsparen, so von Stockar. Sie sieht ihren Verdacht bestätigt, wonach die Nagra selber an deren Favoriten Zürich Nordost festhalten will.
Die Beibehaltung des Bözbergs indes sei praktisch, weil dort bereits das Zwischenlager in der betroffenen Gemeinde Würenlingen AG stehe und die Bevölkerung sich mit der Nähe zur Radioaktivität abgefunden habe, so von Stockar. Mit der Beibehaltung von Südranden könne die Nagra schliesslich den Verdacht abwehren, sich von den Standorten mit dem grössten Widerstand trennen zu wollen.