Sicherheit
Nachrichtendienst-Chef: «Politisch ist China oft ein undurchsichtiger Akteur»

Markus Seiler, Direktor Nachrichtendienst des Bundes NDB, nimmt Stellung zum Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2016».

Dennis Bühler
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Herr Seiler, können Sie ruhig schlafen?

Markus Seiler: Weniger ruhig als auch schon. Der Terrorismus ist der Schweiz näher gekommen, wir spüren eine unmittelbare Bedrohung.

Anschläge trafen bisher aber «nur» Belgien und Frankreich.

Belgien und Frankreich, aber auch die Türkei stehen stärker im Fokus der Terroristen, vor allem weil sie im Unterschied zu uns in Syrien und im Irak militärisch präsent sind. Die Schweiz gehört jedoch zur westlichen, von Dschihadisten als islamfeindlich wahrgenommenen Welt.

Seit einigen Monaten haben Sie keine neuen Dschihadreisenden mehr verzeichnet. Ist der Dschihad für Schweizerinnen und Schweizer weniger interessant als auch schon?

Es ist zu hoffen. Tatsächlich scheint ein Plafond erreicht: Jene, die in den Dschihad reisen wollten, sind bereits in den Konfliktgebieten angekommen.

Von den 73 Schweizer Dschihadreisenden sind nach Ihrer Statistik zwölf zurückgekehrt und 13 verstorben. Was geschieht, wenn die übrigen 48 in die Schweiz zurückkehren?

Es ist nicht einfach, das Gebiet des Islamischen Staats zu verlassen – man kommt da nicht einfach weg, wenn man keine Lust mehr auf den Dschihad hat. Sollten sie trotzdem hierher zurückkehren, versuchen wir, so gut wie möglich aufzuarbeiten, was sie in Syrien oder im Irak gemacht haben: Haben sie an Kampfhandlungen teilgenommen, oder nur gekocht, wie sie so oft behaupten? Wir verfassen Berichte für die Bundesanwaltschaft, die in allen Fällen von Rückkehrern ein Strafverfahren eröffnet hat.

In Ihrem Lagebericht 2016 widmen Sie China ein ausführliches Kapitel. Weshalb?

Es ist nicht so, dass China die grösste Bedrohung wäre. Aber es ist wichtig, dass dieses Thema nicht vom Radar verschwindet, nur weil die islamistische Terrorbedrohung gestiegen ist.

Welche Gefahr geht denn von China aus?

Ich spreche lieber von einer Herausforderung als einer Gefahr. China hat enorm viel erreicht in den letzten 30 Jahren, es ist mittlerweile die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und verfügt über schier unerschöpfliches Potenzial. Doch mit diesem Aufstieg zur Grossmacht prallen zwei Wertvorstellungen aufeinander: Was das Verständnis für Religionsfreiheit, die Rechte von Minderheiten oder die Internetzensur angeht, divergieren unsere Ansichten stark. Politisch ist China oft ein undurchsichtiger Akteur.

«China übt ideologisch Einfluss in der Schweiz aus», heisst es im Lagebericht. Explizit erwähnt werden die Konfuzius-Institute in Genf und Basel. Sind die Kulturinstitutionen denn gefährlich?

Für sich alleine genommen nicht. Aber sie sind Teil einer umfassenden Strategie, mehr Einfluss zu gewinnen. Damit müssen wir uns beschäftigen.

Müsste sich die Schweiz gegenüber China anders – kritischer – verhalten, als es zuletzt Bundespräsident Johann Schneider-Ammann tat?

Es ist nicht an uns, der Regierung Handlungsempfehlungen zu machen. Aber wir weisen auf die Herausforderungen hin, die ein Erstarken Chinas an uns stellt. Wir müssen damit rechnen, dass China aussen- und sicherheitspolitisch bald sehr viel selbstbewusster auftritt – nicht nur im südchinesischen Meer, sondern auf dem Weltparkett.