No Billag
Nach der Schlacht ist vor der Schlacht: SRG-Direktor Marchand zeigt sich demütig

Nach dem deutlichen Nein zur «No Billag»-Initiative kommt SRG-Generaldirektor Gilles Marchand den privaten Verlegern entgegen. Dennoch sieht er sich weiterhin grossem Druck ausgesetzt.

Dennis Bühler
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Kann trotz Nein zu «No Billag» nur kurz aufatmen: Gilles Marchand, Generaldirektor, steht mit seiner SRG weiter unter Druck.

Kann trotz Nein zu «No Billag» nur kurz aufatmen: Gilles Marchand, Generaldirektor, steht mit seiner SRG weiter unter Druck.

ANTHONY ANEX/Keystone

Er ist der Sieger des Tages, auch wenn man es ihm nicht ansieht: Im viel zu kleinen Saal des Berner Hotels «National» steht SRG-Generaldirektor Gilles Marchand am Sonntagnachmittag vor vier Dutzend dicht gedrängten Journalisten und macht ein Gesicht, als ob sein Unternehmen soeben von der Stimmbevölkerung abgestraft worden wäre.

Und auch die Sätze, die aus seinem Mund kommen, könnten einen unwissenden Beobachter glauben lassen, die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft sei in extremis gerade noch mal mit einem blauen Auge davongekommen: «Dieser 4. März geht als Wendepunkt in die Geschichte der SRG ein», sagt der 56-jährige Waadtländer mit ernster Miene. «Wir werden uns an neue finanzielle Rahmenbedingungen und an neue gesellschaftliche Bedürfnisse anpassen.»

Marchand zeigt sich demütig. Und das, obwohl fast drei Viertel der Stimmenden und sämtliche Stände die Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren abgelehnt haben, was Bundesrätin Doris Leuthard anderthalb Stunden später zur Aussage bewegt, die Initianten hätten einen «Absturz», eine «Klatsche» erlitten.

Es ist offensichtlich: Marchand will auf keinen Fall den Fehler seines Vorgängers Roger de Weck wiederholen, der nach der 2015 bloss haarscharf gewonnenen Abstimmung über das Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) nicht vom hohen Ross herabstieg.

Es geht um die Raison d’être

Gemeinsam mit Verwaltungsratspräsident Jean-Michel China präsentiert Marchand drei Reformpakete: Erstens soll die SRG einen Effizienzsteigerungs- und Reinvestitionsplan in der Höhe von 100 Millionen Franken umsetzen, da sie wegen der Gebührensenkung von jährlich 451 auf 365 Franken ab 2019, der vom Bundesrat vorgenommenen Plafonierung der Einnahmen sowie sinkender Werbeerlöse zum Sparen gezwungen ist.

Sparpotenzial ortet Marchand bei der Infrastruktur, den Immobilien, in der Technik, der Verwaltung und bei den Produktionsprozessen. «Wir werden nicht um Entlassungen herumkommen», sagt Marchand. Wie viel Personal abgebaut wird, soll im Juni feststehen.

Zweitens will sich die SRG auf ihre «Raison d’être» konzentrieren: Neben ausgewogener und unabhängiger Information in allen vier Sprachregionen will Marchand die einheimische Kulturproduktion fördern, indem er mehr Filme und Serien in Auftrag gibt.

Um sich von privaten Stationen abzugrenzen, verzichtet die SRG künftig darauf, abends ausgestrahlte Spielfilme durch Werbung zu unterbrechen, obwohl ihr dies laut ihrem Generaldirektor bisher Einnahmen von rund zehn Millionen Franken pro Jahr beschert hat.

Was das Internet angeht, sendet die SRG unterschiedliche Signale aus: Zum einen will sie eine mehrsprachige Plattform aufbauen, die es erlaubt, dem Publikum sämtliche Produktionen aus allen Sprachregionen mit Übersetzungen zugänglich zu machen – eine Idee, die den privaten Verlegern sauer aufstossen dürfte.

Zum anderen will sie online nur noch Texte veröffentlichen, die sich auf selbst produzierte Radio- oder Fernsehsendungen beziehen. Damit kommt die SRG den Verlegern entgegen, die Texte ohne Sendungsbezug stets als «subventionierte Konkurrenz» kritisierten.

Auch mit dem dritten Reformpaket macht die SRG einen Schritt auf die Verleger zu, die sich im «No Billag»-Abstimmungskampf erst im letzten Moment ins Nein-Lager begaben: Sie akzeptiert, dass sie auf absehbare Zeit keine Onlinewerbung schalten darf, und sieht selbst dann von regionaler zielgruppenspezifischer Werbung ab, wenn ihr dies dereinst erlaubt werden sollte. Darüber hinaus stellt sie den privaten Medienanbietern ihre Archivinhalte kostenlos zur Verfügung.

Die Nachrichtenagentur SDA, die seit Wochen wegen eines massiven Personalabbaus in den Schlagzeilen steht, unterstützt die SRG, indem sie keine weiteren Rabatte einfordert. Der Vertrag werde auf der Basis von 2018 um ein Jahr verlängert, sagt Marchand.

Er und der SRG-Präsident Jean-Michel Cina wissen, dass all diese Konzessionen nötig sind, um den Druck auf die SRG abzufedern. Dieser nämlich bleibt auch nach «No Billag» hoch. So hat der Freiburger CVP-Ständerat Beat Vonlanthen gestern eine Motion angekündigt, die eine Obergrenze für Werbeeinnahmen, ein Werbeverbot ab 19.30 Uhr und einen höheren Gebührenanteil für private Anbieter verlangt.

Auf Letzteres pocht auch André Moesch, Präsident des Verbandes der Schweizer Regionalfernsehen Telesuisse. «Wir fordern eine Verdoppelung des Gebührenanteils für Private auf zehn Prozent», sagt er im Gespräch mit der «Nordwestschweiz».

Und mit dem Berner Matthias Aebischer sagt selbst ein SP-Nationalrat, die Gebühren zuhanden der SRG könnten zukünftig sinken, da die Distribution im Internetzeitalter günstiger werde. Immerhin: Aebischer will Marchand und Cina erst eine Strategie schmieden lassen, bevor über monetäre Dinge entschieden werden könne.

Wichtige Weichenstellungen

Noch dieses Jahr stehen mit der Änderung der Radio- und Fernsehverordnung, der Erneuerung der SRG-Konzession und vor allem dem neuen Mediengesetz drei entscheidende Weichenstellungen an (siehe Textbox unten). Grünen-Präsidentin Regula Rytz hat zwar recht, wenn sie festhält, die «No Billag»-Initianten hätten «das Gegenteil dessen erreicht, was sie wollten»: Die Position der SRG ist nach diesem Abstimmungskampf tatsächlich gestärkt.

Allzu sicher aber sollten sich Cina und Marchand nicht fühlen. Denn auch wenn die Koalition gegen die radikale «No Billag»-Initiative in den letzten Monaten bestens funktionierte, ist sie doch brüchig: Die meisten der beteiligten Verbände und Gruppierungen setzen sich für ihre jeweiligen Partikularinteressen ein – sei es der Erhalt der Musikwelle, eine starke Filmförderung oder Gebührenanteile für Private. Die Prognose sei gewagt: Sobald die SRG wirklich sparen muss, bröckelt die Einheit.

Drei medienpolitische Weichenstellungen

1. SRG-Konzession: Gibts Streit um die Online-Ausweitung?

Unmittelbar vor Weihnachten schickte der Bundesrat den Entwurf für eine neue SRG-Konzession für die Jahre 2019 bis 2022 in die Vernehmlassung. Die drei wichtigsten Punkte: Die SRG-Unterhaltungsprogramme sollen sich klarer von kommerziellen Angeboten unterscheiden; die SRG soll mindestens 50 Prozent der Gebühreneinnahmen für die Sparte Information verwenden; und die Unternehmensspitze soll verpflichtet werden, regelmässig über die Programmstrategie zu orientieren. «Der neuen Konzession zu genügen, wird für die SRG eine grosse Herausforderung», sagte Bakom-Chef Philipp Metzger im Interview mit der «Südostschweiz». «Sie muss effizienter werden, um das zu schaffen.» In einem Punkt allerdings kommt der Bundesrat der SRG entgegen: In der neuen Konzession will er Online-Angebote erstmals ausdrücklich als Teil ihres Service-public-Auftrags definieren. Vor allem dieser Aspekt dürfte in der Vernehmlassung, die noch bis zum 12. April dauert, bei den Verlegern und weiteren SRG-Kritikern für Unmut sorgen.

2. RTVV: Hält der Bundesrat an der Zielgruppen-Werbung fest?

Mit einer Änderung der Radio- und Fernsehverordnung (RTVV) möchte der Bundesrat der SRG und den konzessionierten privaten Sendern zielgruppenspezifische Werbung erlauben. Dieser Vorschlag allerdings fiel in der Vernehmlassung, die Mitte Februar endete, durch: Der Gewerkschaftsbund sprach sich genauso dagegen aus wie der Gewerbeverband und fast alle Parteien (Ausgabe vom 14. Februar). Eindringlich warnte auch der Verband der Schweizer Regionalfernsehen Telesuisse: «Die Einführung der zielgruppenspezifischen Werbung würde einzig der SRG dienen und die Kluft zwischen dem grossen öffentlich-rechtlichen Medienhaus und den regionalen Anbietern weiter vergrössern.» Dass der Bundesrat an der propagierten RTVV-Änderung festhält, ist kaum denkbar. Er wird Einschränkungen für die SRG vorsehen müssen. Bisher will er ihr einzig verbieten, Zielgruppen nach ausschliesslich geografischen Kriterien zu definieren.

3. Neues Mediengesetz: Gebührengelder für alle Kanäle?

Im Detail ist der genaue Inhalt des neuen Mediengesetzes noch nicht bekannt – der Bundesrat möchte es im Juni vorstellen. Die Grundrichtung ist aber bereits durchgesickert: Die Gebühreneinnahmen sollen nicht mehr im selben Mass zur SRG fliessen, sondern breiter gestreut werden, berichtete der «Tages-Anzeiger» kürzlich. Alle Medien sollten sich künftig um Leistungsaufträge bewerben können – unabhängig vom Verbreitungskanal. Geld gäbe es also nicht mehr nur für Radio- und Fernsehstationen, sondern auch für Onlineportale, womit indirekt auch Zeitungen subventioniert würden – die meisten Medienhäuser publizieren ihre primär für Print geschriebenen Artikel auch im Internet. Wie heftig die Debatte über das neue Mediengesetz werden dürfte, zeigen erste Positionsbezüge: Der Verlegerverband und rechte Politiker sind der Ansicht, dass es gar kein solches Gesetz braucht. «Wir müssen deregulieren, nicht das Internet regulieren», sagt etwa SVP-Nationalrätin Natalie Rickli.