G20-Gipfel
Nach der Gewaltexplosion: Rechte wollen Vergeltung, Linke suchen Ausreden

Im Trümmerhaufen der Ausschreitungen des Hamburger G20-Gipfels gehen die Meinungen zum Linksextremismus auseinander. Und ein Experte sucht nach einer Strategie.

Daniel Fuchs und Dennis Bühler
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Ein Feuer der Zerstörung brennt in der Hamburger Innenstadt.

Ein Feuer der Zerstörung brennt in der Hamburger Innenstadt.

KEYSTONE

Sie kamen mit Eimern und Besen und räumten auf. Die Hamburger wollen zumindest in den Gassen nicht mehr ständig an die Strassenschlachten der vergangenen Tage erinnert werden. Doch mit der Putzaktion der Bürger allein ist das Thema «G20 Hamburg 2017» noch lange nicht abgehakt. Aufräumen wollen nun auch die Politiker. Und zwar bei den Krawallmachern. Schnell standen Forderungen nach einer europäischen Datenbank zu Gewaltextremisten im Raum. Damit soll verhindert werden, dass einschlägig bekannte Krawallbrüder überhaupt in andere Länder einreisen können. Auch kam noch während des Gipfels die Frage auf, ob solche Treffen hochrangiger Politiker überhaupt in Grossstädten stattfinden sollen.

Bilder, die die Proteste gegen den G20-Gipfel prägen: Schaulustige, Polizisten mit Wasserwerfern – und bunte Kritiker von Machthabern wie Trump oder Erdogan.
3 Bilder
«Ich glaube, es dauert noch eine Weile, bis ich begreife, was alles passiert ist.» Franziska Stier, Beobachterin
G20-Proteste

Bilder, die die Proteste gegen den G20-Gipfel prägen: Schaulustige, Polizisten mit Wasserwerfern – und bunte Kritiker von Machthabern wie Trump oder Erdogan.

Franziska Stier / www.beobachternews.de

Schweizer Krawalltouristen

Unter den mehr als 400 Personen, die die Hamburger Polizei in den vergangenen Tagen vorübergehend aus dem Verkehr gezogen hat, sind 9 Schweizer. Weiterhin in U-Haft befindet sich neben 50 überwiegend aus Deutschland stammenden Personen ein Schweizer, der gemäss Angaben der Behörden unter 30 ist und dem Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte gefährliche Körperverletzung vorgeworfen wird. Ihm droht eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren.

Die Gewalteskalation ruft auch hiesige Politiker auf den Plan, zumal die äussere Schweizer Linke eine zentrale Rolle spielte. Der Revolutionäre Aufbau Schweiz beispielsweise hatte schon vor Monaten angekündigt, er wolle «das Treffen der G20 angreifen». Und vom Dach des Berner Kulturzentrums Reitschule prangte tagelang der Aufruf «Smash G20». «Ein Rechtsstaat darf solch unverhohlene Gewaltaufrufe nicht tolerieren», sagt CVP-Präsident Gerhard Pfister.

«Auf dem linken Auge ist man hierzulande blind»: Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat

«Auf dem linken Auge ist man hierzulande blind»: Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat

KEYSTONE/ALESSANDRO DELLA VALLE

Linksextremismus müsse endlich genauso vehement bekämpft werden wie Rechtsextremismus. Ins gleiche Horn stösst der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen: «Wenn Rechte in der Schweiz ein Konzert veranstalten, herrscht grösste Aufregung. Auf dem linken Auge hingegen ist man hierzulande nicht nur blind, man finanziert solch linken Extremismus gar staatlich: In der von der Stadt subventionierten Berner Reitschule ist diese gewaltbereite Brut regelrecht herangezüchtet worden.» Wenn die Reitschule weiterhin zu Gewalt aufrufe, entziehe sie sich selbst die Existenzberechtigung, sagen die beiden bürgerlichen Politiker unisono.

Einer, der sich ausgiebig mit dem Gewaltpotenzial linker Chaoten auseinandergesetzt hat, ist Peter Arbenz. Der ehemalige Winterthurer FDP-Stadtrat und spätere Top-Funktionär der Bundesverwaltung dürfte vielen noch in Erinnerung sein als Troubleshooter, dem es gelang, das Weltwirtschaftsforum in Davos (WEF) zu befrieden. Als im Jahr 2001 die Ausschreitungen einen traurigen Höhepunkt erreichten, wurde Arbenz von der Bündner Regierung eingesetzt, den Verbleib des WEF in Davos zu retten. Weil die Sicherheitskosten des Anlasses nach den Terroranschlägen von 9/11 und wegen der drohenden weiteren Eskalation der Proteste ins Unermessliche stiegen, verlegte WEF-Gründer Klaus Schwab das Forum für die Ausgabe 2002 nach New York. Arbenz sprach mit den Anti-WEF-Aktivisten, band sie mit dem «Spirit of Davos» ins Programm ein, gab ihnen eine Plattform für ihren friedlichen Protest. Das WEF kehrte nach Davos zurück, rund um das WEF befriedete sich das Ganze. Und so galt Arbenz fortan als Brückenbauer; und die Organisatoren des G8-Gipfels in Evian riefen ihn 2003 an den Genfersee, wo er eine Eskalation verhindern sollte.

«Mit ihrer Konfrontation hat die Polizei den Rhythmus der folgenden Tage vorgegeben»: Juso-Präsidentin Tamara Funiciello

«Mit ihrer Konfrontation hat die Polizei den Rhythmus der folgenden Tage vorgegeben»: Juso-Präsidentin Tamara Funiciello

Keystone/WALTER BIERI

Von den Forderungen der Politiker um verschärfte Gesetze oder neue Datenbanken hält Arbenz, der diesen Sommer 80 wird, nichts. «Immer wenn so etwas passiert, rufen die Leute nach Verschärfungen. Dabei reicht das neue Nachrichtendienstgesetz aus, es muss nur umgesetzt werden.» Auch eine neue Datenbank brächte nur neuen bürokratischen Aufwand. Es reiche, wenn die vorhandenen Datenbanken unter den Mitgliedstaaten des Schengen-Raums ausgetauscht würden. Mehr, so Arbenz, könne man nicht tun. Arbenz warnt vor der Illusion, zu glauben, Gewaltexzesse wie derjenige von Hamburg liessen sich verhindern. «Den schwarzen Block bringen wir nie unter Kontrolle, das sind kranke Typen. Seine Vertreter berauschen sich an der Gewalt und sie beherrschen den Häuserkampf wie eine Guerilla-Truppe. Mich wundert nur, dass es keine Toten gegeben hat.»

Einbindung als Verrat

Einzig auf lange Sicht sieht Arbenz eine Chance, das Gewaltpotenzial einzudämmen. «So, wie wir das beim WEF gemacht haben. Wir traten mit den Kritikern früh genug in den Dialog und boten ihnen Gegenveranstaltungen an.» Was für ein Gegensatz, wenn man sich vor Augen führt, welcher Raum den Globalisierungsgegnern in Hamburg gewährt wurde: Ihr Protestcamp mussten sie weit entfernt vom Gipfel-Treffen aufschlagen, das eigene Einsatzquartier richteten sie im Stadion von St. Pauli ein.

Friedliche Demonstranten lassen sich bei Polit-Gipfeln möglicherweise gerne einbinden, die vor keiner Gewalttat zurückschreckenden Anarchisten jedoch kaum. Schliesslich lehnen sie das System kompromisslos ab. Weil ihnen jegliche Einbindung zuwider ist, hegen sie ausgerechnet gegen ihnen ideologisch eigentlich nahestehende linke Politiker besonders starken Groll. «In ihren Augen verraten wir die Revolution, weil wir uns ins herrschende System einordnen», sagt ein national bekannter SP-Politiker, der sich nicht namentlich zitieren lassen möchte. Mehrmals sei er von antifaschistischen Gruppierungen offen angefeindet oder gar mit Bier übergossen worden. Eine Beobachtung, die auch Christian Wasserfallen gemacht hat. «Um linke Politiker, die sich kritisch über die Reitschule äussern, mundtot zu machen, wird enormer Druck aufgebaut», sagt der Freisinnige. Im Innern dieser Szene gelte die bei Demonstrationen offensiv eingeforderte Meinungsäusserungsfreiheit nichts.

Vielleicht fällt es Linken auch deshalb oft schwer, sich mit klaren Worten von gewaltbereiten Chaoten abzugrenzen. Kaspar Surber beispielsweise, stellvertretender Chefredaktor der «Wochenzeitung» («WOZ»), schrieb als Bilanz der Krawallnacht online: «Werden grundrechtliche Freiheiten derart massiv ausgehebelt, muss man sich nicht wundern, wenn die Stimmung in Anarchie kippt.» Die «WOZ» legitimiere damit weder Sachbeschädigungen noch Gewalt gegen Polizisten, stellt Surber auf Anfrage klar. Die Plünderungen hätten die Plünderer zu verantworten. Allerdings: Mit dem massiven Sicherheitsapparat um 20 000 Polizisten sei ein rechtsfreier Rahmen und eine aggressive Stimmung geschaffen worden, der jene begünstige, die auf Randale aus sind. «Zudem ging die Gewalt häufig von der Polizei aus, etwa bei der Demonstration am Donnerstag.»

Auch Juso-Präsidentin Tamara Funiciello, die im Gegensatz zu Surber nicht selbst in Hamburg weilte, sieht einen grossen Teil der Schuld bei den Ordnungshütern: Die Polizei sei vor allem am Donnerstag mit unglaublicher Härte gegen friedliche Demonstranten vorgegangen und habe so die Eskalationsspirale der Gewalt erst entfacht, kritisiert die 27-Jährige. «Mit dieser Konfrontation hat sie den Rhythmus der folgenden Tage vorgegeben.» Zu den Verwüstungen sagt sie: «Wer einen Apple-Shop plündert, kann politisch nicht links ticken. Und wer einen Renault Twingo anzündet, vermittelt damit keine politische Botschaft.» Sie heisse beide Taten nicht gut, auch wenn sie es gelinde gesagt erstaunlich finde, wie sich die «Bourgeoisie nun für die ‹armen Arbeiter› einsetzt, deren Autos in Flammen aufgingen». So mitfühlende, klassenkämpferische Töne höre sie aus dieser Ecke sonst nie.