Fall Lucie
Nach dem Urteil: SVP plant neue Vorstösse für lebenslange Verwahrung

Politik urteilt unterschiedlich über den Entscheid im Fall von Lucies Mörder Daniel H. Die SVP will das Strafrecht für Wiederholungstäter verschärfen. Natalie Rickli fordert gar einen Automatismus, was die Verwahrung angeht.

Isabelle Frühwirt und Rinaldo Tibolla
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Der Entscheid der Bundesrichter in Lausanne, die lebenslängliche Verwahrung von Daniel H. aufzuheben, löst erneut heftige Diskussionen aus. Anita Chaaban, Mutter der Verwahrungsinitiative, kann das Urteil überhaupt nicht verstehen. «Ich bin wirklich schockiert. Hier wird der Volkswille schlicht nicht umgesetzt. Das ist absolut fatal», sagt sie auf Anfrage.

Ihrer Meinung nach genügt es, wenn ein Gewalttäter auf lange Zeit nicht therapierbar ist, um eine lebenslängliche Verwahrung auszusprechen. Sie stützt also das von Lausanne revidierte Urteil des Aargauer Obergerichts.

Versprechungen, dass Täter wie H. dennoch niemals auf freien Fuss gesetzt werden, schenkt Chaaban keinen Glauben. Sie will deshalb ihre beiden Initiativen forcieren.

Einerseits fordert Chaaban ein nationales Täterregister. Andererseits will sie erreichen, dass Personen, die in Zusammenhang mit Haftentlassungen von Straftätern Fehlentscheidungen getroffen haben, persönlich haftbar gemacht werden können. Beide Volksbegehren werden derzeit in Bern geprüft.

Einstimmiger Richterentscheid

Viel unterschiedlicher auf das Urteil aus Lausanne reagiert die Politik. Geht es nach Daniel Jositsch, Zürcher SP-Nationalrat und Strafrechtsprofessor, hat das Bundesgericht «völlig erwartungsgemäss» entschieden. Das Gesetz regle klar, wann ein Täter lebenslänglich verwahrt werden dürfe.

Gleich argumentiert Ratskollege Andrea Caroni (FDP/AR), der wie Jositsch in der Rechtskommission sitzt. Die restriktive Gesetzesauslegung fordere vom Staat den Beweis, dass ein Täter dauerhaft nicht therapierbar sei, damit die lebenslängliche Verwahrung ausgesprochen werden könne.

H. werde aber dennoch nicht freikommen, weil ja immer noch die lebenslängliche Freiheitsstrafe gelte. Auch unter anderem Titel könne er verwahrt werden. «Er kommt nicht frei und soll auch nie mehr freikommen», sagt Caroni.

Kein populistischer Entscheid

Laut Alec von Graffenried (Grüne/BE), dem Präsidenten der Rechtskommission, zeigt der Entscheid des Bundesgerichts, dass die hohe Schwelle für eine lebenslange Verwahrung ein Problem darstellt. «Wir haben schon immer darauf verwiesen, dass es eine schwer umsetzbare Gesetzgebung ist», sagt von Graffenried.

Als «richtig und mutig» bezeichnet Nationalrätin Doris Fiala (FDP/ZH) den Entscheid. Einerseits hätten die Bundesrichter einstimmig entschieden. Von Relevanz sei dies, weil sich auch zwei SVP-Richter für die Aufhebung der lebenslänglichen Verwahrung ausgesprochen hätten. «Es ist also kein linkes Gremium, sondern besteht aus allen politischen Lagern.»

Andererseits zeige der Entscheid, dass sich die Richter vom Druck der Gesellschaft oder der Medien nicht haben einschüchtern lassen. Dies spreche für den Rechtsstaat Schweiz. «Aus meinem Gerechtigkeitssinn heraus und emotional betrachtet, macht mich aber der Entscheid dennoch betroffen», sagt Fiala.

Vorstösse bereits aufgegleist

Weitaus heftiger fallen die Reaktionen in der SVP-Fraktion aus. «Einmal mehr wird der Täterschutz über den Opferschutz gestellt», empört sich der St. Galler Nationalrat Lukas Reimann. Es handle sich um einen gefährlichen Wiederholungstäter. Es sei verantwortungslos, dass nun auf eine lebenslängliche Verwahrung verzichtet werde.

Ins gleiche Horn stösst die Zürcher Rats- und Parteikollegin Natalie Rickli: «Wir müssen sicherstellen, dass so brutale Täter nicht mehr freikommen.» Rickli fordert ein Umdenken bei der Verwahrung – weg von der Diskussion über die Therapierbarkeit hin zur Gefährlichkeit. «Wenn bei jemandem nur schon die Verwahrung in Betracht gezogen wird, ist er besonders gefährlich. Die Bevölkerung muss also vor ihm geschützt werden», sagt Rickli.

Bereits in der Herbstsession hat sie drei Vorstösse zum Thema Verwahrung eingereicht. Sie gehen im nächsten Jahr zur Beratung in die Rechtskommission. Auswirkungen auf einen ähnlichen Fall hätte ihre Forderung, dass Wiederholungstäter – sei es bei Mord, vorsätzlicher Tötung, schwerer Körperverletzung oder Vergewaltigung – automatisch verwahrt werden. Rechtsexperten verweisen allerdings darauf, dass ein Automatismus sowohl gegen Bundesverfassung als auch gegen die Menschenrechte verstosse.

Josef Sachs: «Ein logisches Urteil»

Wenn Lucies Mörder nicht lebenslänglich verwahrt werden soll, wer dann? Eine Frage, für die Josef Sachs, Chefarzt Forensik der Psychiatrischen Dienste Aargau, durchaus Verständnis hat. Denn hinter der Forderung nach Verwahrung stehe auch der Sühnegedanke, dass jemand mit seiner Tat das Recht verwirkt habe, jemals wieder auf freien Fuss gesetzt zu werden. Dennoch ist das Urteil des Bundesgerichts für Sachs keine Überraschung und «nichts als logisch». «Die Verwahrungsinitiative ist nicht umsetzbar, wenn man den Entscheid für die Verwahrung an die Prognose zur Therapierbarkeit knüpft», sagt Sachs. Ein wissenschaftliches Urteil, ob ein Straftäter auf unabsehbare Zeit nicht therapierbar ist, könne kein forensischer Psychiater abgeben. Auch deshalb, weil eine persönliche Entwicklung auch ausserhalb und unabhängig von einer Therapie stattfindet. Diese könne man aber nicht verlässlich voraussagen. «Eine psychiatrische Prognose hat immer ein Verfalldatum», so Sachs, sie sei nicht auf Lebenszeit möglich. Der Handlungsbedarf liegt damit für den Forensiker klar auf der Seite von Justiz und Politik: Nur bei einer Gerichtspraxis, der auch eine unschärfere Prognose zur Persönlichkeitsentwicklung für einen Verwahrungsentscheid ausreicht, könne es zu lebenslangen Verwahrungen kommen. Druck auf die Psychiatrie, sich auf lebenslange Prognosen festzulegen, befürchtet Sachs kaum. Auf entsprechenden Gutachten basierende Urteile würden vor Bundesgericht wohl auch wieder kaum Bestand haben. (mou)