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Schweiz
Zum zweiten Mal machte die Formel E Halt in der Schweiz. Was war, was bleibt und wie es weitergeht.
Die Umarmung kommt überraschend. Reto Nause fällt Pascal Derron förmlich um den Hals, herzt ihn und lacht. Vor wenigen Minuten hat Berns Sicherheitsdirektor noch den Rennfahrern Jean-Eric Vergne, Mitch Evans und Sébastien Buemi die Hände geschüttelt, zu Platz 1, 2 und 3 beim E-Prix in Bern gratuliert. Jetzt liegt er dem Veranstalter in den Armen und schwärmt wenig später über das Formel-E-Rennen: «Die Bilder, die heute raus in die Welt gingen, waren absolut grandios. Das war ein Event der Extraklasse. So etwas hat Bern noch nie gesehen. Wir haben uns heute weltweit Freunde geschaffen.» Für die Stadt hätte das Rennen nicht besser laufen können. Schon bei der ersten Schikane kommts zur Massenkarambolage, Rennunterbruch. Noch scheint die Sonne, und die Antennen senden rund 45 Minuten lang Bilder der Berner Altstadt und der türkisfarbenen Aare in den Äther. Das Herz der Touristiker hüpft im Doppeltakt.
Am Freitag, einen Tag vor dem zweiten Formel-E-Rennen in der Schweiz, kritisierte derselbe Nause den Veranstalter noch. Er sprach von erheblichen Problemen beim Aufbau, gebrochenen Vereinbarungen seitens des Veranstalters, Pannen in der Informationspolitik. Doch jetzt ist das Rennen vorbei, mehr als 100'000 Menschen tummelten sich am Samstag im und rund ums Obstberg-Quartier in der Nähe des Bärengrabens, staunten ob der surrenden Boliden. Volksfeststimmung wie schon in Zürich vor einem Jahr. Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried spricht von Familien im Rosengarten mitten in der Rennstrecke, von Bobby Car fahrenden Kindern in der Altstadt, von Begeisterung allenthalben. «Häufig sind solche Grossevents eher anstrengend, aber was ich heute erlebt habe, war sehr relaxt», zeigt sich der Stadtpräsident positiv überrascht.
Die Formel E hat viel Staub aufgewirbelt. Schon letztes Jahr in Zürich, noch mehr dieses Jahr in Bern. Ein Wohnquartier war für eine Woche praktisch abgeschnitten, das Gewerbe klönte über den Aufbau des E-Village zwei Tage vor dem Rennen, die ausbleibenden Kunden. Am Donnerstagabend demonstrierten 1000 Velofahrer gegen die Formel E, es kam zu Sachbeschädigungen in der Höhe von bis zu 400'000 Franken. Die Formel E und Bern – irgendwie passt das nicht so richtig. Veranstalter Pascal Derron weicht aus, wenn man ihn fragt, ob die Formel E nach Bern zurückkehre, auch die Berner Politiker geben sich bedeckt. Ob das Rennen 2020 wie vom Veranstalter geplant in Zürich stattfindet, ist fraglich. Auch dort gibt es Opposition. Mitte Juli soll Klarheit herrschen.
Die Demonstration in Bern war der bisher heftigste Ausdruck von Widerstand gegen die Formel E in der Schweiz. Aber sie war bewilligt von der Stadt Bern. Ein Fehler? Sicherheitsdirektor Nause: «Wir können darüber nur spekulieren. Aber vielleicht hätten wir nicht einen so ruhigen Renntag gehabt, wenn wir die Demonstration nicht bewilligt hätten. Ich glaube, dass wir richtig entschieden haben.» Noch ist der angerichtete Schaden nicht endgültig beziffert, der Veranstalter prüft, ob es zu einer Anzeige kommen wird. Derron sagt: «Wir haben Videobilder, wir wissen, wer es war.»
Derron ist ein Mann, der mit Kritik umgehen kann. Er braucht sie sogar, sagt: «Die Veranstaltung war auch so viel in den Medien, weil es Opposition und Kritik gab. Und jetzt schauen Sie, wie viele Leute heute gekommen sind. 130'000 Besucher sind für eine Stadt wie Bern sehr viel. Das darf man auch einmal in Relation setzen zu den 1000 Demonstranten vom Donnerstagabend.» Auch der grüne Stadtpräsident Alex von Graffenried sprach von einem «versöhnlichen Abschluss».
Unmittelbar nach dem Rennen begann der Abbau. Bis Ende Juni ist alles weg. In Erinnerung wird dann vor allem das Positive bleiben. Die vielen Menschen, die schönen Bilder. Darauf baut Derron. Er muss. Er hat für einen zweistelligen Millionen-Betrag die Rechte erworben, um während neun Jahren Formel-E-Rennen in der Schweiz zu veranstalten. Wenns in Zürich nicht klappen sollte, dann steht Genf bereit. Die Vorbereitungen dort laufen schon. Die Romandie ist dem Motorsport deutlich positiver gesinnt als die Deutschschweiz. Man darf also davon ausgehen, dass die Formel E die Schweiz auch künftig elektrisiert. Nur in Bern ist das am vergangenen Wochenende unwahrscheinlich geworden.