Startseite
Schweiz
Für die Politik geht er bis an die gesundheitlichen Grenzen: Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen, will hoch hinaus. Das Nein zur Altersreform ist sein bisher grösster Sieg.
«Trotz unserem Sieg besteht kein Grund zur Euphorie», sagt Andri Silberschmidt ins SRF-Mikrofon, er sagt es später auch zu den andern Medien. Den ganzen Nachmittag über wiederholt er diesen einen Satz, der so gut erklärt, wie der 23-jährige Zürcher tickt. Er ist zurückhaltend und kein Blender, vor allem aber ist er überlegt und strategisch gewieft. Wie es seinem Charakter entspricht, hat sich der Präsident der Jungfreisinnigen den Satz schon im Verlauf der Woche zurechtgelegt und ihn mit befreundeten Kommunikationsexperten besprochen.
Wohl überlegt ist auch seine Garderobe: Während die Kollegen Parteiuniform tragen – Massanzug, Hemd und Krawatte – betritt Silberschmidt den von den Gegnern der Altersvorsorge gemieteten Raum im Bahnhof Bern kurz vor Mittag im schwarzen T-Shirt mit V-Ausschnitt.
Das passt zwar nicht ins Klischee, doch perfekt zur Argumentation der Jungfreisinnigen im Abstimmungskampf. «Die Parlamentarier haben nur an ihre Generation gedacht», sagt Silberschmidt. «Beim nächsten Anlauf wollen wir Jungen uns ebenfalls Gehör verschaffen.» Nötig sei eine Reform, die «sozialverträglich und langfristig durchdacht» ist.
Seit Anfang Mai hat Silberschmidt täglich vier Stunden für den Kampf gegen die Altersreform aufgewendet, zusätzlich zu seinem 90-Prozent-Pensum bei der Zürcher Kantonalbank. Die Partei verdankt es ihm mit einem 2.-Klass-Generalabonnement der SBB und – was ihm viel wichtiger ist – mit Gefolgschaft und Begeisterung. In allen Kantonen haben sich Jungfreisinnige in den vergangenen Monaten gegen die AHV-Vorlage ins Zeug gelegt, wofür Silberschmidt gestern von Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt, FDP-Chefin Petra Gössi und SVP-Chef Albert Rösti gedankt wird. Trotz fehlender Euphorie: «Eine gehörige Last ist mir von den Schultern gefallen», gibt er zu.
Als es vor einem Jahr gegen die AHVplus-Initiative des Gewerkschaftsbundes ging, schlief Silberschmidt kaum noch. Nicht nur gegenüber seinen Gegnern, auch gegenüber seiner Gesundheit war er nicht zu Kompromissen bereit. Auch nach Nächten, in denen er kein Auge zugemacht hatte, klingelte sein Wecker um zwanzig nach fünf und war er um sechs Uhr im Fitnessstudio, bevor er um Viertel vor acht bei der ZKB begann.
Am Ende war AHVplus besiegt, aber auch Silberschmidt am Ende. Trotzdem paart sich seine Zufriedenheit gestern mit Müdigkeit. Eigentlich habe er sich im vierten Quartal des Jahres etwas Ruhe gönnen wollen, sagt Silberschmidt. Am 10. Oktober aber beginnt die Referendumsfrist gegen das Geldspielgesetz.
Silberschmidt stört sich daran, dass der Zugang zu ausländischen Onlinegeldspielen gesperrt werden soll. «Inhalte zu sperren, damit die Schweizer Casinos profitieren, ist aus liberaler Sicht ein Graus», sagt Silberschmidt, und man spürt, wie sein Kampfgeist erwacht.
Vor ein paar Wochen startete Silberschmidt – vier Tage nach seiner Bachelorfeier – einen Masterlehrgang in Finanzmanagement an einer Londoner Fernuniversität. Wenn alles nach Plan läuft, schliesst er seine universitäre Laufbahn unmittelbar vor den Nationalratswahlen 2019 ab. Für diese will er auf jeden Fall kandidieren, und spätestens vier Jahre später will er dann auch wirklich in Bern politisieren.
Eine steile Karriere für einen, der im Gymnasium in den 10-Uhr-Pausen mit Kollegen kiffte und die Schule 15-jährig schmiss, um eine Banklehre zu beginnen. Jedes Jahr hält einer der Lehrlinge der Kantonalbank an der Bundesfeier auf dem Bürkliplatz eine Rede, 2011 fiel die Wahl auf Silberschmidt. Es war der Anfang seiner Politkarriere.