Der Ruf nach weiteren Ausbildungsplätzen für Ärzte wird lauter. Dabei stehen heute 1,4 Milliarden Franken zur Verfügung. Nur weiss niemand, wo das Geld verschwindet.
1377 Millionen Franken. So viel Geld butterten die Universitäten 2013 in die Lehre und Forschung des Fachbereichs Medizin. Doch das Geld reicht nicht, um genügend Ärzte auszubilden. Die hiesigen Universitäten haben die Ausbildungsplätze für Medizinstudenten zwar massiv aufgestockt, der Bedarf an Ärzten kann dennoch nicht gedeckt werden. Dazu müssten pro Jahr 1300 Studenten das Medizinstudium abschliessen, heisst es beim Bundesamt für Gesundheit. Heute wird damit gerechnet, dass künftig etwas mehr als 800 Studenten pro Jahr ausgebildet werden können.
Jährlich melden sich fast 4500 Kandidaten fürs Medizinstudium an. Das Potenzial an künftigen Ärzten wäre vorhanden, doch es mangelt an Studienplätzen. Um deren Anzahl zu erhöhen, stehen zwei Ideen im Raum:
1.Abschaffung des Numerus clausus: Während in der Westschweiz jeder Bewerber aufgenommen wird, muss sich der Kandidat in der Deutschschweiz einer Aufnahmeprüfung – eben dem Numerus clausus – stellen. Regelmässig kommt die Forderung, diesen abzuschaffen. Allerdings entstünden dadurch keine neuen Studienplätze. Auch hat das System der französischen Schweiz seine Kehrseite: Während hier rund 90 Prozent das Studium abschliessen, sind es in der Westschweiz knapp die Hälfte.
2.Bund muss zahlen: Die grünliberale Nationalrätin Margrit Kessler (SG) wollte mittels parlamentarischer Initiative erreichen, dass der Bund die Finanzlücke für weitere Medizinplätze füllt. Ohne Erfolg. Sowohl die nationalrätliche Gesundheitskommission wie der Ärzteverband FMH lehnen sie ab. Das Parlament setzt vielmehr auf die Bildungsbotschaft. Sie legt die entsprechenden Ausgaben des Bundes für die Jahre 2017–2020 fest. Darin wird festgelegt, wie viel Geld der Bund den Universitäten geben muss. (wan)
Der Haken an der Diskussion: Keiner weiss genau, wie viel ein Studienplatz überhaupt kostet. Die Universitäten weisen zwar einzelne Kostenpunkte aus. Wie das Geld jedoch verwendet wird – und ob es tatsächlich den Studenten zukommt – darüber scheint niemand Rechenschaft ablegen zu müssen.
Mindestens drei Mal startete man in den letzten zwanzig Jahren den Versuch, mehr Transparenz in die Rechnung der medizinischen Fakultäten zu bringen. Vergebens. Zwar führt das Bundesamt für Statistik genaustens Buch, welche Fakultät wie viel Geld wo einsetzt. Doch der Fachbereich Medizin besetzt eine Sonderstellung – jene des «Spezialfalls». Denn es gibt von den Universitäten keine genauen Zahlen, wofür die insgesamt 1,4 Milliarden Franken jedes Jahr ausgegeben werden. Das Bundesamt für Statistik hält nur rudimentär fest, dass 17 Prozent in Infrastruktur und die Nachdiplomstudien flossen. Das Gros von 67 Prozent ging in die Forschung und mickrige 16 Prozent wurden für Bachelor- und Masterstudiengänge aufgewandt.
Dass lediglich 16 Prozent für die Medizinstudenten übrig bleiben, kann Margrit Kessler kaum fassen. «Diese Zahlen machen mir Bauchweh», sagt die St. Galler Nationalrätin: «Da kämpfen wir für die Ausbildung von Schweizer Ärzten um jeden Franken und wissen nicht einmal, wohin das Geld eigentlich geht.» Die Grünliberale vermutet nämlich, dass ein grosser Teil, den die Universitäten unter «Lehre und Forschung» abbuchen, nie bei den Studenten ankommt, sondern irgendwo zwischen Lehrstühlen und Universitätsspital versickert. «Dass ein Medizinstudium zwischen 500 000 und 700 000 Franken kostet, stimmt einfach nicht!» Kessler rechnet mit einem Betrag von zwischen 150 000 und 200 000 Franken.
Gemeinhin wird aber mit dem doppelten oder dreifachen Betrag gerechnet. Woher kommt diese Diskrepanz? Die Nachfrage bei den hiesigen Universitäten stiftet mehr Verwirrung, als sie Klärung bringt: Zwar gibt Reto Caluori, Leiter Kommunikation der Universität Basel, auf Anfrage an, dass ein Medizinstudent pro Jahr Bachelorstudium etwa 20 000 Franken koste, im Masterstudium seien es etwa 40 000 Franken. Überschlagen ergibt das etwa den Betrag, den Kessler berechnet hat, den das Bundesamt für Statistik angibt und den die Universitäten von ausserkantonalen Studierenden erhalten. Nur: Sowohl Zürich als auch Bern halten den Richtwert von 250 000 Franken pro Studierendem für viel zu klein. «Auch wenn die genauen Ausbildungskosten nicht bekannt sind, so kann man dennoch davon ausgehen, dass damit die Kosten eines Medizinstudiums sicher nicht abgedeckt werden», schreibt die Uni Bern. Aus Zürich tönt es genau gleich.
Wie ist das möglich? Christian Schirlo, Stabsleiter des Dekanats der Medizinischen Fakultät Zürich, sagt, die Schwierigkeit beginne bei der Frage, was alles für die Ausbildung berechnet werden soll. So seien in Zürich fünf universitäre Kliniken in das Studium eingebunden. Jede Universität ist allerdings anders aufgestellt. Ausserdem seien die Grenzen zwischen Forschung und Lehre fliessend. Dass Geld von der Forschung in die Lehre verschoben werden könnte, ist zwar nicht unmöglich. Schirlo warnt aber: «Letztlich könnte die Umverteilung von Beträgen aus der Forschung und Entwicklung zugunsten der Lehre wiederum der forschungsbasierten Ausbildung schaden.»
Valérie Clerc hat sich als Geschäftsführerin der Schweizerischen Hochschulkonferenz mehrfach mit der Thematik befasst. Sie bestätigt, es sei schwierig, die Kosten eines Medizinstudiums zu erheben, weil die Studenten nicht nur in Hörsälen sitzen, sondern für die klinische Ausbildung viele Stunden im Spital verbringen. Ausserdem änderten die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Uni und Spital je nach Kanton. Trotzdem will die Hochschulkonferenz einen neuen Anlauf nehmen und die Kosten endlich bestimmen. Ein Bericht ist für 2017 geplant.
Ob es gelingt, mehr Transparenz zu schaffen, bezweifelt Margrit Kessler. Die Politikerin hegt einen anderen Verdacht: «Die Unis wollen nicht, dass man weiss, wohin das Geld fliesst. Denn so können sie die Spitäler quersubventionieren.» Ihre Aussage stützt sie auf einen Fall, da ein von der Uni angestellter Forscher mehr im Operationsraum stand, als sich der Forschung widmete. Ob solche Fälle zum courant normal gehören, lässt sich kaum nachweisen. Doch Kessler hat daraus gelernt: «Wenn der Bund weitere Gelder spricht, dann müssen sie zweckgebunden sein. Das heisst, alleine der Ausbildung von Ärzten dienen.»