Mangelnde Innovation
«Da kommen mir fast die Tränen»: Beamte sind laut neuer Umfrage frustriert, weil Chefs ihre Ideen nicht unterstützen

Eine deutliche Mehrheit der Schweizer Verwaltungsangestellten wünscht sich mehr Innovation von ihrem Arbeitgeber. Der Frust über ängstliche Vorgesetzte und eine mangelnde Fehlerkultur ist gross. Expertinnen sagen, wie man das Problem angehen kann.

Christoph Bernet
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Beamte wünschen sich mehr Innovation: Blick ins Steueramt des Kantons St.Gallen (Archivbild 2010).

Beamte wünschen sich mehr Innovation: Blick ins Steueramt des Kantons St.Gallen (Archivbild 2010).

Gaetan Bally / KEYSTONE

Ein Büro voller Aktenordner, wo wenig Betriebsamkeit herrscht und Beamte, die Dienst nach Vorschrift leisten, sich auf die Minute pünktlich in den Feierabend verabschieden. So sieht Klischeevorstellung von der Arbeit bei der öffentlichen Verwaltung aus.

Doch in der Realität wünschen sich die Angestellten der öffentlichen Verwaltung ein Arbeitsumfeld, das mit diesem Klischee wenig Gemeinsamkeiten hat. Eine klare Mehrheit von 57 Prozent wünscht sich mehr Innovation im Arbeitsumfeld, weitere 31 Prozent sehen teilweisen Handlungsbedarf. Nur gerade elf Prozent sehen keinen Handlungsbedarf. Lediglich 43 Prozent der Befragten erhalten von ihren Vorgesetzten viel oder sehr viel Unterstützung, wenn sie eigene Ideen einbringen. Der Rest erhält mittelmässig, wenig oder gar keine Unterstützung. Dies zeigen die Ergebnisse einer bisher unveröffentlichten repräsentativen Umfrage unter mehr als 500 Verwaltungsangestellten aus allen Sprachregionen und Verwaltungsebenen (Bund, Kantone, Gemeinden).

In Auftrag gegeben worden ist diese Umfrage von CivicChallenge. Die Organisation ist gemäss Selbstbeschreibung ein «Inkubator für innovative Projekte im öffentlichen Sektor». Bereits zweimal hat CivicChallenge einen Wettbewerb zur Förderung von Innovation in der Verwaltung durchgeführt.

«Eine lähmende Angst vor Fehlern»

«Die Verwaltung ist voller innovativer, dynamischer Menschen», sagt Anja Wyden Guelpa, Präsidentin von CivicChallenge. Doch leider verzweifelten viele gute Leute angesichts der fehlenden Innovationsmöglichkeiten im Arbeitsumfeld und verliessen die Verwaltung wieder, sagt Wyden Guelpa. Die 49-Jährige war zwischen 2009 und 2018 als Staatskanzlerin oberste Chefin der Verwaltung des Kantons Genf.

«Es braucht einen Mentalitätswandel»: die ehemalige Genfer Staatsschreiberin Anja Wyden Guelpa (Archivbild 2015).

«Es braucht einen Mentalitätswandel»: die ehemalige Genfer Staatsschreiberin Anja Wyden Guelpa (Archivbild 2015).

Bild: Martial Trezzini / Keystone

Seither ist sie unternehmerisch tätig und berät Verwaltungen, Firmen und andere Institutionen zum Thema Innovation. Nur gerade 2,6 Prozent der befragten Verwaltungsangestellten gaben an, die öffentliche Verwaltung sei ihrer Meinung nach «sehr innovativ». Für Wyden Guelpa ein ernüchternder Wert: «Da kommen mir fast die Tränen», sagt sie.

Die Ursachen für die mangelhafte Innovation bei der öffentlichen Verwaltung seien vielfältig und komplex. Zwar sei der Effizienzdruck unterdessen ähnlich gross wie im Privatsektor. Doch die öffentliche Verwaltung funktioniere unter speziellen Rahmenbedingungen. Sie sei gegenüber der Öffentlichkeit und der Politik rechenschaftspflichtig und müsse besonders haushälterisch mit dem Budget umgehen, da dieses aus Steuergeldern stamme.

Die seit den Neunzigerjahren unter dem Stichwort New Public Management verbesserte Finanzkontrolle und die einfacher nachvollziehbaren Prozesse hätten sicher zu mehr Transparenz geführt. «Doch leider ist in den letzten 15 Jahren die Bürokratie gestiegen»: Ein enorm grosser Anteil der Arbeitszeit müsse dafür aufgewendet werden, die eigene Arbeit zu dokumentieren und zu rechtfertigen. Das gehe auf Kosten der produktiven Arbeitszeit. Und der Rechtfertigungs- und Effizienzdruck führe teilweise zu «einer lähmenden Angst vor Fehlern». Innovation heisse Neues machen und Neues berge Risiken. Wyden Guelpa sagt:

«Die Nullfehlerkultur im öffentlichen Sektor ist Gift für Innovation.»

Für Wyden Guelpa braucht es einen Mentalitätswandel. Sie sieht die politischen Verantwortungsträger in der Verantwortung: «Sie müssen eine Arbeitskultur schaffen, bei der Mitarbeitende auch mal Risiken eingehen und dabei Fehler machen können. Dafür braucht es die Rückendeckung durch die Führung.» Eine solche Arbeitskultur erhöhe die Motivation, fördere Innovation und erlaube es der Verwaltung, Talente zu rekrutieren. Wichtig sei es auch, in der hierarchisch strukturierten Verwaltung Gefässe und Zeitfenster zu schaffen, um über Innovation nachdenken, Neues ausprobieren und sich austauschen zu können: «Nur so kann der alte Trott überwunden werden.»

Nationalrätin Maja Riniker (FDP/AG).

Nationalrätin Maja Riniker (FDP/AG).

Bild: Keystone

Die Aargauer FDP-Nationalrätin Maja Riniker hat schon mehrere Vorstösse zum Thema eingereicht. Sie ist von den Ergebnissen der Umfrage wenig überrascht. Ähnlich wie Wyden Guelpa fehlt es für Riniker an Gefässen, die kreatives Denken und innovative Lösungen ermöglichen: «Man denkt sehr stark in Silos und orientiert sich an den bestehenden Strukturen.» Die Bereitschaft, neue, etwa im Rahmen von Wettbewerben oder Thinktanks entwickelte Lösungen im Arbeitsalltag zu integrieren, sei leider noch zu gering, konstatiert Riniker.

«Ob das Essen schmeckt, hängt von der Verwaltung ab»

Danny Bürkli ist Co-Geschäftsführer des Thinktanks Staatslabor. Er erlebe die Bereitschaft zu mehr Innovation unter den Verwaltungsangestellten als sehr gross. Aber es brauche die Priorisierung durch die Führung, damit aus dieser Bereitschaft an der Basis «Bottom-up» etwas wachsen könne: «Wenn man Innovation nur in einzelnen Projekten oder Wettbewerben fördert, dann bleibt sie episodenhaft.»

Weil die Verwaltung in der Schweiz insgesamt recht gut funktioniere, fehlen vielleicht auch der Leidensdruck und das öffentliche Interesse. Dabei habe die Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung, die 170'000 Personen beschäftigt und 33 Prozent des Bruttoinlandprodukts für ihre Aufgaben ausgibt, einen fundamentalen Einfluss auf unsere Lebensqualität. Bürkli verwendet eine Restaurant-Metapher. Es sei zwar die Politik, die das Menu bestimme: «Aber ob das Essen schmeckt und der Abend gelungen war, hängt von der Arbeit der Verwaltung ab.»

«Hierarchische Strukturen sind per se innovationshemmend»

Die als Küchenmannschaft dargestellte Verwaltung äussert sich in Person von Anand Jagtap, dem Sprecher des Eidgenössischen Personalamts (EPA): «Die Bundesverwaltung ist bestrebt, gute Rahmenbedingungen für ein innovationsfreundliches Arbeitsumfeld zu schaffen.» Dies geschehe etwa durch ein modernes Personalmanagement, welches der Führung und der Arbeitskultur grosses Gewicht beimesse.

Ein wichtiger Hebel für den Innovationsgrad sei zweifellos das Schaffen einer offenen Arbeitskultur, bei der sich Mitarbeitende und Führungskräfte mit ihren Ideen einbringen können. Es gebe auf Bundesebene keine zentrale Stelle, die sich mit Innovationsvorschlägen befasse. Diese würden in den einzelnen Departementen und Bundesämtern, die sich regelmässig untereinander austauschten, geprüft und nach Bedarf umgesetzt.

Die Basler Staatsschreiberin Barbara Schüpbach-Guggenbühl in einer Aufnahme aus dem Jahr 2015.

Die Basler Staatsschreiberin Barbara Schüpbach-Guggenbühl in einer Aufnahme aus dem Jahr 2015.

Bild: Nicole Nars-Zimmer / BLZ

Die baselstädtische Staatsschreiberin Barbara Schüpbach-Guggenbühl präsidiert die Schweizerische Staatsschreiberkonferenz, welche die kantonalen Verwaltungen zusammenbringt. Sie stimme mit den Ergebnissen der Studie insofern überein, als «dass wir eindeutig mehr Innovation brauchen».

Die Studie zeige, dass sich die Mitarbeitenden oft Fortschritte bei der Prozessoptimierung und der Digitalisierung vorstellen. «Die Digitalisierung ist aktuell der Motor der Innovation», sagt Schüpbach-Guggenbühl. Digital affine Mitarbeitende auf allen Stufen seien gefragt. Damit deren Einbezug gelinge, müssten die hierarchischen Strukturen – die gemäss der Basler Staatsschreiberin «in der DNA einer Verwaltung liegen» – für einmal auf die Seite geschoben werden: «Es braucht einen klaren Führungsentscheid, der den Mitarbeitenden signalisiert: Wir schaffen Entwicklungsteams mit digital Interessierten ohne Rücksicht auf die organisatorischen Strukturen, damit innovative Ansätze für eine digitalisierte Verwaltung entstehen können.»

Ein Überdenken der hierarchischen Strukturen wünscht man sich auch bei der Gewerkschaft VPOD, welche die Mitarbeitenden der öffentlichen Dienste vertritt. Solche Strukturen seien per se innovationshemmend, sagt Natascha Wey, stellvertretende Generalsekretärin: «Unsere Leute sagen uns oft, dass sie sich eine gewisse Autonomie bei der Arbeit wünschen», sagt Wey. Schliesslich seien die allermeisten Verwaltungsmitarbeitenden sehr motiviert und brächten viele Kompetenzen mit. Um diese optimal zur Geltung bringen zu können, brauche es eine moderne Arbeitskultur, in der auch mal Fehler passieren dürfen, betont Wey.