Datenschutz
Lauschangriff in der Schweiz: Polizei will ohne Verdacht Handys überwachen

Durch die Hintertür eröffnet die laufende Revision des Bundesgesetzes zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) der Polizei die Möglichkeit, die Identifikation aller Handybesitzer ermöglichen - ohne richterliche Ermächtigung.

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Polizei soll Bürger via Handy ausspionieren können (Symbolbild).

Polizei soll Bürger via Handy ausspionieren können (Symbolbild).

Keystone

Die Polizei soll das Mobiltelefon jeder Bürgerin und jedes Bürgers für Personenkontrollen zu nutzen können - ohne jede richterliche Ermächtigung, ohne konkreten Verdacht und ohne jede Straftat, wie die Zeitung «Schweiz am Sonntag» schreibt.

Damit erhalten die Behörden einen Freipass zur Handyüberwachung. Der Grund dafür liegt in der Überarbeitung der Strafprozessordnung, die parallel zur Büpf-Revision durchgeführt wird und den Einsatz so genannter Imsi-Catcher zur Identifikation und Überwachung von Handynutzern rechtlich regelt.

Der Imsi-Catcher simuliert eine Mobilfunkzelle, in die sich alle eingeschalteten Handys im Umkreis von 300 Metern einloggen und die den Behörden automatisch die «International Subscriber Identity» (IMSI) übermittelt - ein 15stelliger Code auf jeder SIM-Karte, mit der sich jeder Handybesitzer zweifelsfrei identifizieren lässt.

Zur Identifikation von Handynutzern ist nach Darstellung der Justiz- und Sicherheitsbehörden in jedem Fall eine richterliche Ermächtigung nötig. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Bei einer Überwachung mit dem Imsi-Catcher werden nicht nur die Daten der Zielperson erfasst, dessen Überwachung ein Richter bewilligt muss, sondern auch die Daten aller Personen im Umkreis der überwachten Person.

Für die Auswertung dieser Daten, also die Identifikation des Handybesitzers via Imsi-Code, braucht die Polizei keine richterliche Bewilligung, wie Recherchen zeigen. Das Bundesamt für Justiz bestätigt diesen Sachverhalt: «Da es sich um Daten handelt, die dem Fernmeldegeheimnis nicht unterstehen, dürfen sie von der Polizei zwecks Erfüllung von Polizeiaufgaben ohne Anordnung der Staatsanwaltschaft und ohne Genehmigung eines Zwangsmassnahmengerichts verlangt werden.»

Doch damit nicht genug: Die Polizei soll für die Identifikation nicht einmal mehr die Mobilfunkanbieter anfragen müssen, wie die «Schweiz am Sonntag» schreibt: Gemäss Büpf-Entwurf müssen die Anbieter sicherstellen, «dass die Daten [...] im Abrufverfahren zugänglich sind und dass die Mitteilung der Daten kostenlos und rund um die Uhr» erfolgen kann.

«Die Polizei kann sich somit selber Auskunft über Personen erteilen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Gebiet waren, ohne jede Kontrolle», sagt Martin Steiger, Rechtsanwalt und Mitglied der Digitalen Gesellschaft, welche die Büpf-Revision als «rechtsstaatlich unhaltbar» ablehnt.

Konfrontiert mit den Recherchen reagiert auch FDP-Nationalrat Ruedi Noser alarmiert: «Dass beim Einsatz eines Imsi-Catchers massenhaft Daten von Personen erhoben werden, die weder Verdächtigte noch Beschuldigte sind, ist grundsätzlich ein Problem. Dass die Polizei diese Daten ohne richterliche Verfügung auswerten dürfen soll, ist inakzeptabel». Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen, sagt: «Die Möglichkeit der Massenidentifikation kommt einer polizeilichen Ausweiskontrolle via Handy gleich. Dabei kennt die Schweiz bisher - zu Recht - nicht mal die Ausweispflicht».