Vermögende werden nicht stärker besteuert. Die 99-Prozent-Initiative der Juso scheitert am Ständemehr. Das hat auch mit den Coronahilfen zu tun: Sie stärkten das Vertrauen, dass es in der Schweiz relativ gerecht zu und her geht. Ein Kommentar.
Die Schweizer haben keine Lust, an ihrem Steuersystem etwas zu ändern. Und sie haben offensichtlich auch nicht das Gefühl, dass die Vermögen zu ungerecht verteilt sind. Das zeigt die Abstimmung über die 99-Prozent-Initiative nicht nur mit dem Resultat: Fast zwei Drittel der Stimmenden sprechen sich gegen das Anliegen aus. Und es scheitert am Ständemehr.
Der geringe Veränderungswillen zeigte sich bereits in der Diskussion zuvor: Es blieb ruhig, klassenkämpferische Töne fanden wenig Widerhall. Die Lust, auch über Tatsachen wie sich öffnende Vermögensscheren zu debattieren, war gering. Am Ende mobilisierte die Initiative nicht über das links-grüne Lager.
Vielleicht wissen viele, dass tiefe Steuern bei Konzernen und gute Bedingungen für KMU ein Schweizer Geschäftsmodell sind. Vielleicht gilt das Bonmot: Am Sonntag stimmt der Schweizer für Vermögende, weil er hofft, schon am Montag zu erben oder bereits am Dienstag im Lotto zu gewinnen. Viel eher aber dürfte die Coronakrise gewirkt haben: Der Staat organisierte rasch Hilfe in hohem Mass. Innert Kürze wurden Milliarden an Steuergeldern umverteilt: Zu denjenigen, die wirtschaftlich bedroht waren. Das stärkte das Vertrauen in das System. Und es hat dazu beigetragen, dass viele Stimmende finden: So schlecht kann es nicht sein.
«Es geht uns gut» verhindert in der Schweiz ab und an Reformen und erstickt Debatten früh im Keim. Der Druck für Änderungen fehlt. Bei der 99-Prozent-Initiative mag die Trauer darüber gering sein. Doch andernorts ist dieses Muster verheerend: Die AHV ist das sozialste Sozialwerk, weil sie tatsächlich umverteilt. Doch dem Vorsorgewerk fehlt das Geld; es geht um Milliarden. Trotzdem kommt die Reform nicht voran. Es geht uns halt gut, manchmal fast etwas zu gut.