Die Schweizer Reisebranche fürchtet sich nicht vor einer Flugticketabgabe. Im Gegenteil, sie befürwortet diese jetzt. Nur: Was bringt eine solche Ökosteuer überhaupt? Werden wir seltener fliegen, wenn der Preis steigt?
Greta Thunberg? Eine Populistin. Klimawandel? Eine Lüge. Flugverkehr? Zu Unrecht am Pranger. Man kann sich vorstellen, dass die Reisebranche so oder ähnlich auf die grüne Welle reagierte, während grosse Teile der Gesellschaft nach Klimaschutz schreien und dabei sogar einen neuen Begriff kreierten: Flugscham.
Und weil ein breiter Konsens herrscht über eine CO2-Abgabe auf Flugtickets, könnte man zum Schluss kommen, den Reisebüros gehe es in den nächsten Jahren ans Eingemachte. Denn Ziel ist es, durch die Abgabe den Flugverkehr und damit den CO2-Ausstoss zu reduzieren, was sich negativ auf den Geschäftsverlauf der Reisebranche auswirken könnte. Trotzdem sagt Roger Geissberger, Chef der Knecht Reisen Gruppe, des viertgrössten Reiseveranstalters der Schweiz: «Ich bin für eine Flugticketabgabe, aber...»
Geissberger ist kein Einzelfall unter den Touristikern. Auch Kuoni und Tui, die Nummern 1 und 3 der Branche, halten eine CO2-Abgabe auf Flugtickets für sinnvoll. Ausserdem sitzt Geissberger im Vorstand des Schweizer Reise-Verbands. Und dieser will heute Mittwoch der Öffentlichkeit nicht nur die neusten Zahlen präsentieren, sondern auch ein klares Statement zu nachhaltigerem Reisen und einer Flugticketabgabe abgeben.
Schliesslich hat der Verband erst vor zwei Wochen einen Nachhaltigkeitstag durchgeführt. Die Branche bemüht sich um einen grünen Anstrich und opponiert nicht gegen die bundesrätliche Vorgabe, bis 2050 CO2-neutral zu werden. Ob aus opportunistischen Motiven oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle.
«Ich finde es richtig, dass der Bund ambitiöse Ziele formuliert», sagt Geissberger. «Ob diese erreichbar sind, ist für mich eine technische Frage.» Er nennt ein Beispiel: Anfang der 1980er-Jahre war der Hallwilersee wegen des hohen Anteils an Phosphaten quasi tot. Niemand konnte sich vorstellen, dass man in diesem See irgendwann wird baden können. «Und heute», sagt Geissberger, «kann sich keiner mehr vorstellen, dass es mal gesundheitsgefährdend war, in diesem See zu baden.» Etwa dank künstlichen Belüftung.
30 bis 120 Franken, abgestuft nach Distanz, soll die Ökosteuer auf Flugtickets betragen. Mit Ausnahme von Hotelplan («als neutrales Unternehmen äussern wir uns grundsätzlich nicht zu politischen Themen») geben die grössten Player der Branche grünes Licht. Sie verknüpfen den Support aber mit der Auflage, dass die Abgabe zweckgebunden in den Klimaschutz investiert werden soll.
«Fliegen ist unverschämt günstig und wird durch die Abgabe nur geringfügig teurer.»
Roger Geissberger, Chef der Knecht Reisen Gruppe.
Und Kuoni-Mediensprecher Markus Flick antwortet auf Anfrage: «Wir unterstützen eine mögliche Abgabe, wenn sie international und national einheitlich gilt und moderat ausfällt.» Das ist Wunschdenken. Frankreich hat die Flugticketabgabe bereits beschlossen. Jedoch eine viel tiefere. Davon betroffen ist der Flughafen Basel, weil er auf französischem Gebiet liegt. Ein tieferer Ansatz könnte dazu führen, dass Basel-Mulhouse auf Kosten von Zürich weiter wächst. Trotzdem proklamiert Flughafendirektor Matthias Suhr den Schweizer Ansatz.
Nur: Wird durch eine Verteuerung der Tickets die Frequenz im Luftverkehr tatsächlich reduziert? Markus Flick: «Wir sind überzeugt, dass sich die traditionell grosse Reisefreudigkeit von Schweizerinnen und Schweizern nicht mindern wird. Eine Reduktion des weltweiten Flugverkehrs scheint auch angesichts des Bevölkerungswachstums und der wachsenden Mittelschicht in bevölkerungsreichen Staaten keine realistische Zielsetzung zu sein.»
Ähnlich sieht es auch Geissberger. «Fliegen ist unverschämt günstig und wird durch die Abgabe nur geringfügig teurer.» Der Flugverkehr mache 2 bis 3 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses aus. Eine Zahl, die von ETH-Klimaforscher Reto Knutti bestätigt wird. Das sei zwar nicht unwesentlich, sagt Knecht-CEO Geissberger. «Aber wenn man assoziiert, der Flugverkehr sei der Haupttreiber der Umweltbelastung, stimmt das nicht.» Apropos CO2-Aussstoss im Luftverkehr: In der Schweiz liege der Wert laut Knutti bei 18 bis 24 Prozent. Also etwa auf gleicher Höhe wie der Gebäudeausstoss.
Ist die Flugticketabgabe also bloss Balsam für unser Gewissen? Jedenfalls schlägt sich die «grüne Welle» nicht in den Zahlen nieder, die der Flughafen Zürich ausweist. Im ersten Halbjahr 2019 erhöhte sich die Zahl der abgefertigten Passagiere um 2,4 Prozent auf 14,9 Millionen. Flugscham sieht anders aus. Die Zürcher Zahlen überraschen selbst Touristiker. «Denn die internationale Dachorganisation der Fluggesellschaften Iata verzeichnet global leicht rückläufige Zahlen», sagt Geissberger.
Wie hält es also der Tourist mit dem Klimaschutz? Die Kunden seien zwar sensibilisiert, sagt Markus Fässler von Hotelplan. «Und sie fragen zum Teil auch proaktiv nach, wie man Flüge kompensieren kann. Jedoch stellen wir keinen kompletten Verzicht auf Flugreisen oder ein verändertes Buchungsverhalten fest, auch nicht im Speziellen bei jüngeren Kunden.»
Konkret arbeiten die Reiseveranstalter mit Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsorganisationen wie myclimate zusammen. Die Resultate sind indes ernüchternd. «Nur etwa 15 Prozent unserer Kunden kompensieren ihre Flüge», sagt Geissberger.
Das hält die Reisebüros nicht davon ab, ihre Anstrengungen zu intensivieren. Kuoni erhöht die Anzahl nachhaltigkeitszertifizierter Unterkünfte und setzt überarbeitete Tierschutz- und Menschenrechts-Standards um. Hotelplan kompensiert beispielsweise seit 2006 alle Geschäftsflüge der Mitarbeiter und spendet die Gelder für ein Klimaschutzprogramm in Brasilien.
Zudem kooperiert Hotelplan mit OceanCare, Smiling Gecko und Friends of African Wildnis. TUI wiederum unterstützt Wein- und Olivenölbauern auf Kreta, verfolgt mit «better holidays better world» das Ziel, die CO2 effizientesten Airlines und Reedereien zu betreiben. Ausserdem «putzen unsere Reiseleiter in ganz Europa Ende der Saison die Strände, wo unsere Kunden während der Saison Plastik liegen gelassen haben», schreibt Mediensprecherin Mili Vujcic.
Aktionismus? Vielleicht, ein bisschen. Knecht Reisen würde jedoch seit zwölf Jahren jedes Jahr drei nachhaltige Themen lancieren, für die die Kunden und das Unternehmen einzahlen, um vor Ort definierte Projekte zu unterstützen, hält Geissberger fest.
«Vor zehn Jahren hat sich die Reisebranche keine Gedanken über die Klimaerwärmung gemacht. Geschweige denn, irgendwelche Umweltschutzmassnahmen ergriffen. Aber wir sehen, was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher. Dann sind die Malediven in wenigen Jahrzehnten im Meer versunken. Deshalb ist jeder Unternehmer verantwortungslos, wenn er dem Klimaschutz nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Und da muss auch der Tourismus seinen Anteil leisten. Es muss jedem bewusst sein, dass wir Geschäftsmodelle brauchen, die über die nächsten 10, 20 Jahre greifen.»
Vielleicht kommt dann die Zeit des bedenkenlosen Fliegens. Mit Flugzeugen, die mit Wasserstoff- oder Solarenergie betrieben werden. Airbus-Chef Guillaume Faury liess schon mal verlauten: «Unser Ziel ist das vollkommen emissionsfreie Fliegen.» Bis es so weit ist, würden zwar noch «einige Jahre vergehen, nicht aber Jahrzehnte.»
14,9 Millionen Passagiere wurden im ersten Halbjahr 2019 am Flughafen Zürich abgefertigt. Das entspricht einer Steigerung
von 2,4 Prozent.
Etwa 15 Prozent der Kunden von Knecht Reisen kompensieren ihre Flüge.
2 bis 3 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses macht der Flugverkehr aus.