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Die Beziehung zwischen Landwirten und Umweltverbänden ist kompliziert. Sehr kompliziert sogar. Im Abstimmungskampf zu den Agrarinitiativen werden die Bauern von linken Kreisen als Umweltsünder verunglimpft. Beim CO2-Gesetz sollen sie nun aber für ein Ja auf dem Land sorgen. Gleichzeitig mobilisieren die Umweltvorlagen in den grossen Städten nur unterdurchschnittlich.
Die beiden Nationalrätinnen Christine Badertscher (G/BE) und Priska Wismer-Felder (Mitte/LU) diskutieren angeregt in der Wandelhalle des Bundeshauses. Ihre Gespräche drehen sich seit Tagen nur um eine Frage: Wie können wir die ländliche Bevölkerung von einem Ja zum CO2-Gesetz überzeugen? Wie erklären wir ihr, dass die zusätzlichen Kosten des Gesetzes die Städter viel stärker trifft als die Bevölkerung auf dem Lande? Weil Städter etwa mehr Fliegen und öfter mit Öl heizen. Dass Geld auch zurückerstattet, umweltfreundliches Verhalten also belohnt wird?
Die beiden Nationalrätinnen gehören unterschiedlichen Parteien an. Doch sie haben Gemeinsamkeiten: Beide haben einen bäuerlichen Hintergrund. Beide sind für das CO2-Gesetz. Und beide sind gegen die Trinkwasserinitiative.
Letzteres ist ein wesentlicher Punkt. Es ist sozusagen ihr Vertrauenskapital in der Schlussphase dieses Abstimmungskampfes, der geprägt ist durch eine Polarisierung zwischen Stadt und Land. Besonders deutlich ist der Graben bei der Pestizid- und Trinkwasserinitiative. Die Skepsis gegenüber den Volksbegehren wirkt sich auch auf das CO2-Gesetz aus. Wer zwei Mal Nein zu Agrarinitiativen sagt, ist versucht, auch beim CO2-Gesetz ein Nein einzulegen. Das CO2-Gesetz ist in dieser Perspektive ein Ansinnen linker Städter - auch wenn das Gesetz die Handschrift von Mitte und FDP trägt. Es ist offensichtlich: Der Abstimmungskampf hat Wunden hinterlassen, gerade auch bei den Bauern. Seit Monaten werden diese massivst von Umweltverbänden angegriffen. Das zeige sich nun auch beim CO2-Gesetz, sagt ein Beobachter im Bundeshaus.
Die Beziehung zwischen den Bauern und den Umweltverbänden ist ohnehin grad kompliziert. Das war nicht immer so. 2018, als die Fair-Food-Initiative der Grünen an die Urne kam, empfahl der Bauernverband Stimmfreigabe. Einzelne Exponenten, wie Bauernpräsident Markus Ritter, sprachen sich gar öffentlich für das Volksbegehren aus. Nach den Wahlen 2019, bei dem die grüne Welle das Parlament erfasste, umwarb Ritter in einem programmatischen Interview mit der «Sonntagszeitung» die ökologischen Kräfte für eine Allianz. Der Bruch kam, als die Organisationen WWF, Pro Natura, Greenpeace und Birdlife die Kampagne «Agrarlobby stoppen» lancierten. Diese zielte vor allem darauf ab, den Bauernverband und ihren Präsidenten Ritter an den Pranger zu stellen, weil er alle ökologischen Reformen blockiere. Der Bauernpräsident wechselte wieder die Seite und suchte die Allianz mit den Wirtschaftsverbänden, an deren Seiten er gegen die Konzernverantwortungsinitiative kämpfte.
Das schwierige Verhältnis zeigt sich nun am 13. Juni, der für die Umwelt ein grosser Tag hätte werden sollen. So dachte nicht nur SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die dem Vernehmen nach glaubte, die Agrarinitiative würde die städtische Bevölkerung derart stark mobilisieren, dass das CO2-Gesetz locker passieren würde. Gleich dachten auch die Grünen. Drei Mal Ja zu Biodiversität und Klima lautet ihr Slogan für den Umweltabstimmungssonntag.
Seit das Forschungsinstitut gfs.bern am Mittwoch die letzten Trendumfragen zu den Abstimmungen publiziert hat, stieg im Lager der CO2-Gesetz-Befürworter die Hektik. Zwar hat die Vorlage noch eine Mehrheit von rund 54 Prozent, doch der Nein-Anteil nimmt stetig zu - besonders auf dem Land.
Diesen Trend gilt es nun zu kehren. In der Kampagne der Befürworter kommen nun plötzlich viele Landwirte und Landfrauen zu Wort. Die Landwirtschaft sei besonders stark vom Klimawandel betroffen, heisst es in Inseraten. Zunehmende Dürre, Unwetter und Trockenheit würde zu Ernteverlusten führen. Die beiden Nationalrätinnen Badertscher und Wismer-Felder haben am Donnerstag Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit bäuerlichem Hintergrund aufgeboten. Ein gemeinsames Foto soll als Weckruf dienen, dass das CO2-Gesetz der Landwirtschaft hilft. Auf dem Foto posieren nebst Badertscher und Wismer-Felder die Ständeräte Maya Graf (G/BL) und Damian Müller (FDP/LU) sowie die Nationalräte Heinz Siegenthaler (Mitte/BE) und Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR). Alle sind sie gegen die Trinkwasserinitiative aber für das CO2-Gesetz. Die Botschaft ist klar: Stimmen Sie differenziert ab!
Derweil schauen die Befürworter auch bange auf die Städte, wo die erwünschte Mobilisierung nur mässig gut gelingt. Obwohl Umweltthemen im Trend liegen, gehen Städter nicht eher zur Urne als bei anderen Abstimmungen. In kleineren Städten wie Zug, Solothurn oder Aarau aber auch in Bern, Winterthur und St. Gallen liegt der Rücklauf der Stimmunterlagen im Mittel der letzten Abstimmungen.
Allerdings stimmt das für die grossen, bevölkerungsreichen Städte Zürich, Lausanne und Basel nicht: Dort hinkt die Mobilisierung den Erwartungen hinterher.
Auch Martina Mousson, Projektleiterin bei gfs.bern, sagt, sie komme auf ein ähnliches Ergebnis, was die Mobilisierung in den Städten betreffe. Sie vergleiche die Werte aber auch mit älteren Abstimmungen. «Hier sehen wir, dass Zürich und Luzern etwas im Verzug sind.»
Können ein paar hundert Stimmen den Abstimmungsausgang entscheiden? Mousson warnt davor die jetzigen Zahlen für bare Münze zu nehmen: «Die aktuellen Werte der Stimmbeteiligung sind mit Vorsicht zu geniessen, weil verschiedene Mechanismen hineinspielen. Beispielsweise entscheiden sich viele Wähler bei fünf Vorlagen etwas später. Die Abgabe der Stimmunterlagen hängt aber auch davon ab, wann sie an die Bevölkerung verteilt wurde.» Auch die verschiedenen Kanzleien der Städte weisen darauf hin, dass erfahrungsgemäss im Endspurt noch viele Stimmcouverts eintrudeln.
Was aus den Zahlen bei älteren Abstimmungen im Hinblick auf den 13. Juni festzuhalten ist: Je tiefer die Stimmbeteiligung 10 Tage vor der Abstimmung, desto tiefer war sie am Abstimmungssonntag. Für Städter und Bauern, welche das CO2-Gesetz unterstützen bedeutet das: Sie müssen in der letzten Woche doppelt aufholen. Die Gegner überzeugten und mobilisierten die Wählerschaft zuletzt besser, wie Mousson sagt. Der Nein-Trend wachse. So könnte durch die starke Emotionalisierung - vor allem auf dem Land - die Idee eines grossen Umweltsonntags für die Linken plötzlich zum Boomerang werden.