Guy Parmelin liefert in Brüssel eine deutliche Botschaft ab: Kriegt der Bundesrat nicht, was er will, wird er das institutionelle Rahmenabkommen nie unterschreiben. Die EU-Kommission ist darüber perplex und bezeichnet die Forderungen als «inakzeptabel».
Tiefblauer Himmel, strahlender Sonnenschein: Wettermässig mangelte es gestern sicher nicht an Klarsicht beim mit Spannung erwarteten Treffen von Bundespräsident Guy Parmelin und EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen. Beste Voraussetzungen also, um reinen Tisch zu machen: Sieht die Schweizer Regierung noch eine Chance, das umstrittene institutionelle Rahmenabkommen zu unterzeichnen? Oder ist nach sieben Jahren Verhandlungen endgültig die Luft draussen und die Zeit reif für einen Gesprächsabbruch?
Um zehn Uhr in der war es so weit. In Begleitung einer belgischen Polizeieskorte fuhr Parmelin mit der Schweizer Delegation vor der EU-Hauptzentrale, dem Brüsseler Berlaymont-Gebäude, vor. Nach der Begrüssung durch Kommissionschefin von der Leyen und dem Austausch einiger Nettigkeiten ging es nach oben in den 13. Stock zum rund eineinhalbstündigen Gespräch, das jeder in seiner Muttersprache führte: er auf Französisch, sie auf Deutsch.
Dabei hat der Schweizer Bundespräsident nach eigenen Angaben durchaus Klartext gesprochen: Es gebe noch immer «erhebliche Differenzen», was die Einschätzung des vorliegenden Abkommenstexts angeht, so der SVP-Bundesrat Parmelin bei einer Pressekonferenz in der Schweizer Botschaft. Zwar wolle die Landesregierung weiter die bilateralen Beziehungen «konsolidieren und weiterentwickeln». Ohne «zufriedenstellende Lösungen» im Bereich des Lohnschutzes, bei den staatlichen Beihilfen und der Unionsbürgerrichtlinie werde der Bundesrat das Rahmenabkommen aber nicht unterschreiben, so Parmelin in aller Deutlichkeit.
In den sechs Gesprächsrunden der Chefunterhändlerinnen seit Januar hätte die Schweiz «konkrete technische Vorschläge» gemacht, betonte Parmelin. Damit begegnete er explizit auch Behauptungen aus der EU-Zentrale, die Schweiz hätte nie eigene Lösungsansätze aufgezeigt und keinen Willen gezeigt, eine Einigung herbeizuführen. Aber:
«Diese Diskussionen haben nicht den nötigen Fortschritt gebracht.»
Parmelin sagte, man müsse die Gesamtbilanz des Abkommens im Auge behalten. Die Schweiz habe der EU mit dem Einverständnis zur dynamischen Rechtsübernahme eine «enorme Konzession» auf den Tisch gelegt. Das dürfe man nicht unterschätzen. Um «die Waage wieder ins Gleichgewicht zu bringen», müsse Brüssel sich deshalb bei den drei offenen Fragen erkenntlich zeigen. «Falls der Bundesrat dieses Rahmenabkommen unterzeichnen soll, muss er in der Lage sein, das Parlament, das Volk und auch die Kantone zu überzeugen.» Im Moment sei das aber nicht möglich, so Parmelin.
Die EU-Kommission ihrerseits zeigte sich einigermassen perplex über die deutlichen Ansagen des Schweizer Bundespräsidenten. Man begrüsse es zwar, dass nun Klarheit über die Position des Bundesrats herrsche. Gemäss von der Leyens Chefsprecher Eric Mamer sei es aber «inakzeptabel», dass der Bundesrat den Lohnschutz, die Unionsbürgerrichtlinie und die Staatsbeihilfen einfach komplett vom Abkommen «ausklammern» wolle. Und zwar nicht nur einen oder zwei Punkte. Sondern alle drei. Es handle sich dabei um für die EU «fundamentale» Bereiche, und das sei so nicht möglich.
Gleichwohl verstehe man die Probleme der Schweiz. Präsidentin von der Leyen habe betont, dass die EU bereit sei für weitere Verhandlungen und sie zu «praktikablen Lösungen Hand» biete. «Wir schlagen der Schweiz vor, jetzt auf Kompromisse einzugehen», so der EU-Sprecher. Parmelin wollte auch auf mehrmaliges Nachfragen weder bestätigen noch dementieren, dass die Schweiz wirklich die komplette Ausklammerung der drei umstrittenen Bereiche fordere. Stattdessen wiederholte er, dass die Schweiz eine «ausgeglichene Lösung im Rahmen des Globalpakets» anstrebe.
Wie es nun weitergeht, ist unklar. Die EU-Kommission sagt, dass sie die Verhandlungen von sich aus nicht abbrechen werde. Chefsprecher Mamer:
«Unsere Türe bleibt offen.»
Laut Parmelin, der nach seinem Gespräch sich kurz via Telefonkonferenz mit dem Gesamtbundesrat koordinierte, werde man jetzt die Situation analysieren und auch die zuständigen Parlamentskommissionen, die Kantone und die Sozialpartner konsultieren. Die Chefunterhändlerinnen würden in Kontakt bleiben. Neue Verhandlungsrunden sind zurzeit aber keine angedacht. Es sei «bedauerlich, dass offenbar keine Kompromissbereitschaft zur Lösung der Streitpunkte bestand», kommentierte Andreas Schwab, Leiter der Schweiz-Delegation im EU-Parlament, das Treffen. Schwab weiter:
«Während die Schweizer Uhrwerke präzise ticken, scheint es im Schweizer Verhältnis zur EU gewaltig zu knirschen.»
Die Unionsbürgerrichtlinie, die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und die staatlichen Beihilfen – sie sind seit dem ersten Tag der Verhandlungen im Jahr 2014 zentrale Streitpunkte. Die EU möchte, dass die Schweiz ihre Lohnkontrollen für entsendete Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland mit europäischen Regeln in Einklang bringt, die Sozial- und Niederlassungsrechte von EU-Bürgern in der Schweiz stärkt und ihr Wettbewerbsrecht anpasst. Gleich lange Spiesse, das «sogenannte Level Playing Field», sei das Grundprinzip im gemeinsamen Binnenmarkt, so von der Leyen.
Aus Kreisen der Europäischen Union heisst es, die Kommission werde diese Forderungen nun «sicher nicht einfach über Bord werfen». Man sei der Meinung, dass Kompromisse möglich seien, und habe auch Angebote präsentiert. Der Bundesrat sei aber nie darauf eingestiegen. In Brüssel findet man, der Ball liege nun eindeutig im Schweizer Feld. Tue die Schweizer Regierung nun einfach nichts, würden die bilateralen Beziehungen fortlaufend Schaden nehmen, angefangen mit dem Marktzugang der Medizinalbranche Ende Mai und der Forschungszusammenarbeit.
Angesprochen auf die Frage einer Erosion der Bilateralen wollte Parmelin nicht ins Detail gehen. Aber: «Wir haben deutlich gemacht, dass wir gewisse Druckversuche als total kontraproduktiv erachten», so der Bundespräsident.