Migration
Keine Entspannung in Sicht

Die Nachfrage nach Beratung in Notsituationen beim Roten Kreuz Zürich hat sich innert Jahresfrist verdoppelt. Ein Grund dafür ist die Verschärfung des Asyl- und Ausländergesetzes. Eve Ehrensperger Sharan, Leiterin Migration, rechnet mit keiner Entspannung.

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Asylsuchende im Bergermoos

Asylsuchende im Bergermoos

Limmattaler Zeitung

Andrea Trueb

Das Angebot des Zürcher Kantonalverbandes des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) richtet sich an alle Menschen, unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus. Am häufigsten aber - zu 90 Prozent - wird die SOS-Beratung von Migranten genutzt. Seit Januar 2008 werden Personen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde oder auf deren Gesuch nicht eingetreten wurde (NEE), von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Das revidierte Asyl- und Ausländergesetz sieht für sie lediglich Nothilfe vor; 60 Franken in Migros-Gutscheinen pro Person und Woche, ein Platz in einer Notunterkunft und die nötige medizinische Versorgung. Laut Eve Ehrensperger Sharan, Leiterin Migration beim SRK Kanton Zürich, hat diese Verschärfung zum massiven Anstieg der Nachfrage nach SOS-Beratungen beigetragen.

Viel konkrete Hilfe kann das SRK den Menschen mit NEE oder abschlägigem Entscheid nicht geben. Ehrensperger betont aber, dass nicht unterschätzt werden darf, welche Wirkung es auf einen verzweifelten Menschen hat, wenn ihm jemand zuhört und ihn ernst nimmt. Ausserdem bleibe die Hoffnung, dass ein Schicksal als Härtefall anerkannt wird. Nachdem der Kanton Zürich für seine harte Praxis kritisiert worden war, setzt der Regierungsrat auf den 1. September 2009 wieder eine Härtefallkommission ein, die alle Fälle noch einmal unter die Lupe nimmt.

Besonders verletzliche Personen

Ein besonderes Augenmerk legt das Beratungsteam auf die Gruppe der «besonders verletzlichen Personen»; ältere Menschen, Kranke, Familien mit Kindern und Minderjährige ohne Begleitung. Um ihren Alltag zu verbessern, hat sich das SRK in acht Fällen an Regierungsrat Hans Hollenstein gewandt mit der Bitte, die Betroffenen unter besseren Bedingungen unterzubringen. «Bisher ohne Erfolg», sagt Ehrensperger. Das einzige Echo sei die Eingangsbestätigung gewesen. Ehrensperger hofft, dass ein geplantes Gespräch mit dem Regierungsrat und dem Chef des kantonalen Sozialamtes zu positiven Resultaten führt.

Dass die Notunterkünfte für besonders verletzliche Personen ungeeignet sind, weist Ruedi Hofstetter von sich. Der Chef des kantonalen Sozialamts hält fest, dass sein Team jeden Fall persönlich kenne und er die Notunterkünfte mit Familien regelmässig besuche: «So viele Spielsachen auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen.» Auch das Anliegen des SRK, Kranke ihren Bedürfnissen entsprechend unterzubringen, hält Hofstetter weder für wünschbar noch für machbar: «Wenn jemand wirklich krank ist, wird er ins Spital gebracht oder in der Unterkunft ärztlich behandelt.» Insgesamt betont Hofstetter, dass es sich bei allen Betroffenen um Asylsuchende handelt, deren Gesuch nach gründlicher Prüfung abgelehnt worden ist und die kein Recht haben, sich in der Schweiz aufzuhalten.

Nebst den 35 Prozent der Beratungen für Personen mit NEE oder abgelehnten Asylgesuchen, kümmert sich das SRK um vorläufig Aufgenommene und Personen mit laufendem Asylverfahren. Oft geht es dabei um finanzielle Probleme, erzählt Ehrensperger. So bekommt diese Gruppe der Asylsuchenden einen Drittel weniger Sozialhilfegeld als «normale» Klienten. Das führe zu Engpässen, die das SRK überbrücken helfe: «Wir haben viele Familien mit vielen Kindern. Wenn ein Kind ins Schullager fährt und Wanderschuhe braucht, ist das Budget bereits überlastet.» Auch Augen- oder Zahnkorrekturen brächten Familien in Not. Weitere Anliegen sind Arbeitssuche, Familiennachzug oder der Wunsch nach einer Ausbildung.

Zu den freudigen Erlebnissen gehört für Ehrensperger dann auch, dass das SRK eine Stiftung dafür gewinnen konnte, einem jungen Mann eine Ausbildung zu finanzieren. Auch der Familienvater, ein anerkannter Flüchtling aus Eritrea, der nach jahrelangem Engagement des SRK Kanton Zürich seine Kinder in die Schweiz holen konnte, ist ihr in Erinnerung geblieben. Und nicht zuletzt der Sans-Papier, der schliesslich eine Aufenthaltsbewilligung bekam. Belastend sei, so Ehrensperger, wenn Familien auseinandergerissen würden, die Mutter mit dem Säugling etwa dem Kanton Tessin und der Vater dem Kanton Zürich zugewiesen würde. Oder wenn Tuberkulosekranke oder Menschen mit HIV in engen, lauten Notunterkünften «alles andere als adäquat» untergebracht würden und man wisse, dass sie nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat nicht auf die notwendige medizinische Versorgung hoffen könnten.

«Ohne Sozialromantik»

Auch im Ausschaffungsgefängnis unterhält das SRK Kanton Zürich eine Beratungsstelle. Dort geht es laut Ehrensperger überwiegend darum, die Betroffenen davon zu überzeugen, freiwillig auszureisen und damit eine Zwangsausschaffung per Sonderflug in Handschellen zu verhindern: «Auch wenn wir oft das Gefühl haben, die Leute in die Gefahr zu schicken ist es besser, wenn sie freiwillig ausreisen. Sonst müssen sie nach der Landung mit einer Verhaftung rechnen.»

Das SRK-Team habe keine sozialromantischen Vorstellungen und berate seine Klienten realitätsbezogen, hält Ehrensperger fest. Sie selber halte an RK-Gründer Henry Dunant als Vorbild fest: «Er machte auf dem Schlachtfeld keinen Unterschied zwischen den verfeindeten Parteien - das tönt etwas pathetisch, aber dieser Grundgedanke ist unglaublich und er löste Unglaubliches aus.»